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Tagebuch Sayu
2010-10-06 13:41
Beruf verfehlt
Ich hätte Psychologie studieren sollen.
(vielleicht hätte ich das mit nem besseren Schnitt ja sogar getan... )

Nachdem mir gestern morgen bereits Klara ihr Herzeleid geklagt hatte und ich versucht habe ihr hilfreiche Tipps zu geben, war gestern Abend Phil an der Reihe. (Ganz davon abgesehen, dass ich natürlich weit entfernt davon bin hilfreiche Beziehungstipps geben zu können)

Ich wollte früher ins Bett als gewöhnlich, weil ich hundemüde war.
Da kriegt Phil - natürlich - direkt nen Zusammenbruch.

Alles ist scheiße.
Alles ist schlecht.
Und außerdem wird es immer so bleiben.
Weil das sein Schicksal ist und daran kann er nichts ändern.

Phil leidet ja an Morbus Chron. Das ist so ne Darmsache. Die Krankheit ist nicht heilbar, allerdings auch nicht tödlich. Das Ganze verläuft in Schüben, während denen man wohl ziemliche Schmerzen hat. Und Phil muss auch recht starke Medikamente nehmen und so.
Aber alles in allem - und das muss man so radikal mal sagen - ist aber ein normales Leben möglich.
(Wenn man mal vom Tablettennehmen und so absieht)

Klar, ist das keine schöne Sache.
Aber Phil benutzt das irgendwie dazu sich vor der Welt und vor sich selbst zu entschuldigen, dass er sein Leben nicht anpacken muss.

Er ist ja schon seit jeher Single und wirklich ein Einzelgänger. Aber er hätte ja so gerne eine Freundin.

Und sein Jura-Studium ist mittlerweile ein ziemliches Debakel. Nachdem er das zweite und dritte Semester quasi hatte brachliegen lassen (sprich er hat nichts getan und nichts gelernt), ist er durch mehrere Klausuren mehrmals durchgerasselt und hat nun große Lücken, die er erst mal überhaupt aufholen müsste, um vernünftig weiterzustudieren.

Aber das kann er nicht tun, weil er Morbus Chron hat.

Eine Frau kennenlernen....das kann er nicht, weil er Morbus Chron hat.

Sich aufrappeln und positiv denken.... das kann er nicht, weil er natürlich Morbus Chron hat.

Und wenn ich versuche ihn aufzurütteln und ihm in den Hintern zu treten...dann werde ich gleich angefahren, weil ich kein Morbus Chron hab.

...

Natürlich ist das schlimm und furchtbar, wenn das Leben ein Stück weit von einer fiesen Krankheit beeinträchtigt wird. Aber mal ehrlich...was hat man denn für eine Wahl?
Man kann sich, wie Phil, verkriechen, sich bemitleiden und sich beklagen wie schlecht die Welt ist.
Oder man beißt die Zähne zusammen, wenns sein muss millionenmal und geht die Sache an, macht was aus seinem Leben.
Die Frage ist was besser ist.

Und der große Witz ist:
Phil war auch vor der Diagnose Morbus Chron nicht anders.

Phil ist der wohl passivste Mensch, den ich kenne.
Er tut absolut gar nichts.
Regt sich aber in einer Tour darüber auf, dass nichts passiert.

Und ganz ehrlich: diese Einstellung macht mich bisweilen fuchsteufelswild.

Ich bin sicher es gibt Millionen von Frauen, die damit umgehen könnten, dass Phil diese Krankheit hat.
Umso weniger Frauen gibt es allerdings, die damit umgehen könnten, dass er ständig jammert und alles schlecht redet.

"Wer will schon ein psychisches Wrack wie mich?" heißt es ständig.

Was soll man da noch tun.

...

Letztendlich bin ich dann doch erst um zwei in mein Bett gekommen. Und bei Phil bin ich wohl auch kein Stück weiter gekommen.

Ich gebe mich ihm ein Stück weit mitleids- und verständnisloser als ich tatsächlich bin. Aber ich bin einfach der Meinung, dass ständige Bemitleidung und Betüdelung ihn nur in seiner Passivität bestätigt und bestärkt.

Und davon wird nun mal nichts besser.

...
Keine Ahnung, warum ich andere Leute mit Feuereifer zu therapieren versuche und bei mir selber selten was wirklich gebacken kriege.

Kommentare

19:32 06.10.2010
du bist schon eine liebe
auch ohne psychologiestudium, da lernt man eh keine empathie, sondern nur statistik
Good luck!
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16:47 06.10.2010
Wenn das bei Phil schon jahrelang so ist, dann kannst du ihm, glaube ich, auch nicht mehr helfen.
Aber traurig, dass er sich wegen einer Krankheit so hängen lässt und wenn er es schon so lange hat, dann sollte er sich damit anfreunden und das Beste daraus machen.
Aber lieb von dir, dass du ihm solange zugehört hast, obwohl du keinen Schritt voran gekommen bist.
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13:47 06.10.2010
Ist doch immer so. Ich bin auch ganz groß im zuhören und hilfreiche Tipps geben, die ich selbst nicht einhalten kann.
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2010-10-06 13:41