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Tagebuch Rynnertau
2005-05-15 04:35
Zusammenhänge
Ich habe schon lange nichts mehr hier hinein geschrieben.
Was nun nicht bedeutet, dass ich meine Gedanken und Erinnerungen ausgelöscht habe und diese Zeit vorbei ist.
Aber ich habe Angst davor, mich wieder an diese Zeiten zu erinnern – es berührt mich jedes Mal dabei zutiefst.

Ich habe nun gerade meinen zweiten Text gelesen, musste mich daran erinnern, wie ich nach dem Posten bedrückt aufgestanden bin, um bis zur letzten Treppenstufe zu kommen und dort in Tränen auszubrechen.
Nie habe ich mich geschämt zu weinen – selbst beim Bund nicht, unter all den „harten Kerlen“ , vor allem nach tiefgründigen Gesprächen, mit meiner Liebe als Thema.
6 Jahre... was ist das doch eine Zeit.
Im Leben ein 14tel, im Jahrhundert ein 16tel und trotzdem eine so lange Distanz für meine Gefühle.

Ich habe mir oft anhören müssen, wie ich denn einem Tier solche Bedeutung geben kann und wie ich es nur verantworten kann, vor den Menschen denen es in der Welt schlecht geht, einem Hund mehr Beachtung zu schenken.
Ich verstehe nicht was mich darin zu einem „normalen“ Tierhalter unterscheidet. (?)
Weint jener nicht um seinen Gefährten, um seinen Freund?
Mehr war er denn für mich auch nicht – ein guter Freund.

Sicher, es mag eine seltsam wirkende Vorstellung sein, wenn man sich einen Soldaten vorstellt, in Uniform und mit Barett auf dem Kopf – der seit fünf Minuten zum Morgenappell angetreten sein sollte, aber nicht kann, weil er weint und schluchzt und ein Stabsunteroffizier ihn trösten muss.

Ich hatte mein Lebtag von dem Wort „Kameradschaft“ nichts gutes gehalten – es war mir so nazistisch veranlagt... aber nach diesem Erlebnis nicht mehr.
Ich wurde dann krankgeschrieben, von einem befreundeten Sani des Stuffze und hatte zwei Tage Dienstfrei.
Er begleitete mich nach Hause unter dem Vorwand ich könnte vielleicht umkippen (so elend wie ich mich fühlte, wäre das auch sicher geschehen).
In seinem Auto versuchte er mich abzulenken und erzählte aus seiner Familie einige Geschichten... sein Großvater sei in Stalingrad als Fahnenflüchtiger von den Russen aufgegriffen worden, sie haben ihn vor die Wahl gestellt, Mitkämpfen gegen die Nazis – oder Internierungslage (sprich: der sichere Tod).
Er wusste, er würde sterben – durch eine deutsche Kugel oder durch russische Kälte und Infektionen.
Da geriet er an einen Major der ihn auf der Pritsche eines wartenden LKW’s sah und ansprach, weil er eine Kette mit einem Medaillon daran um den Hals hatte (er hatte sie unter großer Gefahr im Mund geschmuggelt.
Sein Großvater dachte schon, er würde ihn betrafen – aber nein, er zeigte ihm mit der Hand, dass er gerne hineinschauen würde.
Er öffnete das Medaillon und der Major erblickte seine Frau und den Säugling auf dem Arm – ein Stück Foto das sie ihm mit der letzten Kriegspost geschickt hatte.

Der Major war von dieser Mühe des Großvaters, ein Bild seiner Frau zu schmuggeln, so überwältigt, dass er seinem Adjutanten anwies den LKW-Fahrer zu befehlen den Motor auszumachen – sein Großvater wurde nicht interniert sondern in ein Polnisches Gefängnis überführt – dies verlies er nach Kriegsende, da er lediglich Soldat gewesen war und konnte seine Familie wiederfinden... der Säugling war des Stuffzes Vater.

Als er mich zur Tür meiner winzigen Wohnung, die ich mir gerade so damals leisten konnte, brachte und er die noch jüngere Rynn darin an der Tür schnüffeln hörte, sagte er mir einen sehr liebenswerten Satz, denn ich wortwörtlich auswendig kann:

„Jemand der so ehrlich trauert, wie Du, ist kein schlechter Mensch. Ich kann nicht zulassen, dass Du deshalb Ärger bekommst. Egal was auch darüber gesagt wird. Wenn sonst keiner dabei ist, kannst Du mich Horst rufen“

Er lächelte, klopfte kurz auf meine Schulter, drehte sich um und ging.

Rynn tröstete mich dann vollends und ich genoss die freien Tage daheim und in den umliegenden Wäldern... bislang musste ich nicht mehr derart reagieren, wenn ich mich an diese Zeit erinnerte.

Ich spreche auch nicht oft und schon gar nicht ausführlich darüber – ich stelle gerade fest, dass ich sehr viele Absätze und wenig Information geschrieben habe... aber, ich will es nun nicht mehr ändern.

Für Jemanden der mich attackieren möchte, wird dieses Erlebnis ein gefundenes Fressen an „Schwäche“ sein – das weiß ich schon lange.
Ich deute es aber nicht als Schwäche, denn ich bin niemals stark, oder schwach.
Es ist eines der Kapitel in meinem bisherigen Verweilen auf dieser Erde, dass ich nun mal nicht gerne auseinanderklamüsre.

Hier habe ich einen Vorteil, gegenüber den meisten Gesprächen in reellem Umfang – ich kann meine Schriften immer aufs neue nachlesen.... Beurteilungen interessiere mich wenig, bis gar nicht. Davon habe ich persönlich am Ende nichts – zumindest nicht mehr als vorher.

Ich mag gar nicht an unsere Zukunft denken.
Vielleicht, wenn ich Rynn gerade offiziell zum zweitenmal heiraten durfte und ich den Schrieb gerahmt aufgehangen habe... vielleicht endet da auch schon Ihr Leben und der nächste Punkt ist für mich gekommen, gegen die Gedanken anzukämpfen.
Gedanken der Verlorenheit, Einsamkeit, Schuldgefühls und die Selbstmordgedanken vielleicht auch wieder – von denen ich jetzt noch denke, sie unter Kontrolle zu haben.

Ich muss eine Strategie entwickeln, die mich davor schützen wird – ansonsten zerbreche ich womöglich doch noch an diesem Verlust.
Da ich sicher weiß dass er kommen wird, wenn ich nicht eines unnatürlichen Todes sterben sollte, muss ich mich über kurz oder lang damit auseinandersetzen.

... nun fehlt nur noch eine Frage, nach dem Motto: „Und was bringt Dir dass dann alles?“

Ich bin glücklich – immer – auch wenn ich unglücklich bin.
Das klingt bekloppt, ist aber meine Auffassung von meinem Leben... egal was passiert, wie ich handle und was ich erlebe – alles ist richtig, auch „falsches“ ist richtig.

Das ich einmal wieder in Tränen ausbrach und sein Gesicht vor meinen Augen vorbeiziehen sah... das passiert wirklich kaum noch. Manchmal wache ich auf und denke, er läge neben mir, meistens hat dann Rynn geschnarcht oder im Schlaf leise gebellt.

Rynn ist die Liebe, von der ich am Anfang überrascht war, weil ich sie nicht erwartet hatte... Rynn war mir als Welpe in die Hände gefallen und ich hatte nie die Absicht aus diesem „normalen“ Hund, eine Lebensgefährtin – sagen wir mal – „zu züchten“.
Sie erfreute mich mit Ihrer Aufgewecktheit... ich habe nie zuvor ein so liebliches und interessiertes Wesen gesehen.
Für alles interessierte sich die Kleine und schaute mich stets fragen an, was ich denn da rede und was da passiert.

Zu diesen Zeiten hatte weder Rynn, noch ich, eine Ahnung, dass wir uns näher kennenlernen würden, als es Hund und Mensch allgemein tun.

Wir waren stets vergnügt miteinander unterwegs, tollten auf den Wiesen herum, gingen in Flüssen und Seen schwimmen (ich entdeckte damals Survival als mein liebstes Hobby).
Auf den vorigen, spärlichen, Reisen in einige naheliegende Ziele kam ich mir immer einsam vor und wünschte mir das Rynn von nun an meine Begleitung sein könnte.
Sie meisterte die Anforderungen daran bravourös und heute können wir sogar in die entferntesten Ländereien ziehen.

Es war unser erster Kuss, der alles andere, was wir heute sind, ins Rollen brachte.
Auf diesem einen Kuss baut sich unsere ganze Liebe auf... und dabei war er mehr ein Verstehen.
Rynn hatte ein Glas Apelsaft mit Ihrem fröhlich wedelndem Schwanz umgeworfen und ich ärgerte mich, als ich auf dem Boden rumkroch um den Saft aufzuwischen.
In dieser Position kam Sie nicht an meine Nase, um dort als Entschuldigung zu stupsen... so kam es denn, dass wir uns kurz mit den Lippen berührten.
Vielleicht verdanken wir unsere Liebe also mehr dem Glas und dem Saft darin.

Damals noch als bloße Geste der Entschuldigung; heute zusätzlich zur Geste des Vertrauens, zur Bestätigung eines Glücksgefühls, der Nähe und zur Zärtlichkeit geworden.

Ich hatte nie realisiert welches Bedürfnis an Zärtlichkeit und Nähe Rynn sucht – und dass ich im Grunde immer auf Distanz zu Ihr war.
Sie musste alleine schlafen, obwohl sie stundenlang vor der Schlafzimmertür lag und hineinwollte.
Sie wollte gern überall mit, wo ich auch immer hinging... und ich verstand es als „normal“ an, Sie zuhause zu lassen, wo ein Hund nun einmal zu sein hat (so die allgemeine Meinung).

Ich habe lange gebraucht, ehe ich alles verstand, was Sie wollte und wonach Sie suchte. Wir haben in dieser Zeit einiges an Dingen erlebt, die so manches Liebespaar lieber nicht erleben möchte.

Dieser Schritt – vom gehaltenen Hund, zum gleichwertigem Lebenspartner – er hat mein Leben völlig verändert.
Ich denke nun so, wie ich denken will und es uns glücklich macht.
Meine Gedanken kreisen heute um Rynn und um uns.
Ich denke nicht mehr, was „man“ macht und wie ich mit Ihr umgehen solle.
Ich habe mein Verhalten Ihr gegenüber vollkommen revidiert.
Sie – ist Sie geworden. Sie ist nicht mehr ein „es“ für mich und ich hasse Personen die das nicht akzeptieren können.
Ich ertappe mich dabei, undeutlich und schlecht formuliert in Gesprächen und hier im Internet aufzutreten, indem ich es für ganz normal ansehe, dass jeder versteht, dass wenn ich von „meiner Frau“ spreche, ich eigentlich meinen Hund meine.
Aber eben diese Art der Umschreibung „meinen Hund“, kann ich nicht leiden.

Er zerstört alles, für das ich meine Mühen aufgebracht und Rynn als Person zugelassen habe.

Und all dass, was ich nun hier geschrieben habe – all diese Erlebnisse – stehen in direkter Verbindung mit dem Tod meines ersten wahren Freundes.

Ich habe Ihm wirklich viel zu verdanken.

Wo er doch „nur“ ein Hund gewesen sein soll... wie seltsam dies doch ist.

Rynnertau

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trauer 

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