Nachschlag
Ich konnte jetzt einfach nicht anders als noch mal zu schreiben. So viele Gedanken kreisen da in meinem Kopf. Kurz nachdem ich den Eintrag heute morgen schrieb rief mich die Nachbarin meines Vaters an, der wir unendlich viel zu verdanken haben. Sie war die Vermittlerin in Krisenzeiten, sie war da für meinen Vater als wäre es ein Angehöriger von ihr. Mit Worten ist nicht auszudrücken was diese Frau für uns getan hat. Der Inhalt ihres Anrufs war, dass wir vielleicht unser Elternhaus oder vielmehr unsere Eltern verloren haben, dass aber ein Haus weiter (nämlich das ihre) jederzeit die Türe offensteht. Sie sagte, sie hätte uns so in ihr Herz geschlossen und wir sollten sie nicht vergessen, bzw. immer vorbeikommen, wann immer wir wollen. Was für eine Frau. Was für ein großes Herz. Wir schmunzelten beide noch einmal über die Traueranzeige, bzw. über den Spruch: "Mit dem Leben ist es wie mit einem Theaterstück, es kommt nicht darauf an wie lange es war, sondern wie bunt. " Jeder andere Spruch hätte dem Leben meines Vaters nicht genüge getan...

Ich vergaß heute morgen auch den komischen Zufall zu erwähnen, dass über dem Lied, dass wir in der Kirche sangen Glaube, Liebe, Hoffnung stand. Tja, das war der Spruch, den Papa sich auf die Kranzschleife hat drucken lassen als Mama starb und der Trauspruch der beiden. Glaube, Liebe, Hoffnung, und die Liebe war die stärkste unter ihnen...

Ich weiß nicht, ob ich durch die ganzen Vorfälle des letzten Jahres gealtert bin, jedenfalls bin ich gereift. Ich halte an dem fest was ich geschenkt bekommen habe und das sind vor allem Menschen. Denn trotz der vielen Verluste bin ich vielen Menschen nah geworden, habe Freunde dazugewonnen, egal welchen Alters. Es sind Freunde meiner Eltern, die nun zu den meinen zählen, die mir geholfen haben und meine Eltern unterstützen. Ich habe ein gesundes Kind in die Arme gelegt bekommen und das Gefühl das man seine Zeit nutzen sollte. Eigentlich darf ich dankbar aus dem letzten Jahr hervorgehen. Alles was sich zugetragen hat war dramatisch aber unvermeitlich. Wie sich das Umfeld verhalten hat war größtenteils überraschend.

Ich habe mich heute einige male gefragt, ob ich tatsächlich weiterhin Kontakt haben werde zu meinen Brüdern. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber ich würde es mir ehrlich gesagt trotz all der Boshaftigkeiten der letzten Zeit wünschen. Sie sind meine Familie und vielleicht ist mit meinem Vater auch der Zorn gewichen. Ich denke mein ältester Bruder konnte nie mit meinem Vater aussöhnen. Traurig für ihn. Auch der zweitälteste hatte viel Probleme mit ihm und kein leichtes Verhältnis. Dieser Schatten des Nicht-Verzeihens begleitete sie. (der Zweitälteste war im übrigen mit seinem Langjährigen Lebensgefährten auf der Beerdigung und ich fand das sehr mutig im kleinen Kaff). Jedenfalls bin ich tatsächlich ausgesöhnt mit allem was war und in keiner Weise mehr irgendwem böse. Keinem! Im Gegenteil. Sie sind meine Brüder.

Mein Freund sagte mir, er war gestern in unserem unterem Geschoss um ein bisschen Krafttraining in der Nacht zu machen. Doch im wurde ganz anders und kalt im Nacken, da er ständig das Gefühl hatte Papa wäre anwesend. Ja, er war ja doch einige Zeit in der unteren Wohnung einquartiert. Er mußte fluchtartig den Raum verlassen. Komischerweise hatte ich überhaupt nicht das Gefühl von der Anwesenheit meines Vaters. Ich gebe zu, das Bild als meine Mama unten zusammenbrach und wir sie auf ner Decke in die Mitte des Gangs zogen hat mich oft verfolgt und mich schaudert es heute noch, wenn es unten dunkel ist, bzw. das Bild ist lebhaft vor mir. Aber meinen Vater verbinde ich nicht mehr damit.

Ich wünsche mir, wenn es denn möglich ist, dass sich meine Eltern nun wieder haben. Dass mein Vater seinen Frieden gefunden hat und er weiß, dass er trotz allem geliebt war.