Wasserflaschen-Zweibeiner
Heute war ich ganz viel unterwegs ... und wen trifft man nun wieder alle naselang? Erwachsene Menschen mit Wasserflaschen in der Hand. Die deutsche Gesellschaft scheint quasi kollektiv kurz vorm Verdursten zu sein - die Wasserflasche wird wieder, kaum das es etwas wärmer geworden ist, zum unentbehrlichen Gegenstand, wenn man sich denn ein paar Schritte vor die Haustür wagt.

Das ist wohl leicht übertrieben, das Wasserflaschen-Mitgetrage, rührt aber vermutlich daher, da uns die Mediziner jahrelang eingeredet haben der Mensch müsse mindestens drei Liter pro Tag trinken um gesund zu bleiben. Vorgestern sind bekanntlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse veröffentlicht wurden. Es wurden über mehrere Jahre Menschen mit wenig und mit viel Wasserkonsum beobachtet und stellte keine Unterschiede im Gesundheitszustand fest. Die jahrelange Theorie, dass es gesund sei mehr Wasser zu trinken als man Durst habe, ist also wieder vom Tisch. Und so ist das ja häufig mit medizinischem Wissen, was heute dringend angeraten wird, darüber wird man sich womöglich in zehn Jahren kaputt lachen. Das Leben und auch die Erkenntnisse der Wissenschaft sind eben einem ständigen Wandel unterzogen. Merke: man sollte vor allem seinen Sinnen trauen. Was einem gut bekommt, was einem Spaß macht und was einem schmeckt, kann für einen so schlecht nicht sein.

Ich war heute beim Baumblühtenfest in Werder. Ein kleiner Ort in Brandenburg, also in der Nähe von Berlin, indem alljährlich das Erblühen der Bäume gefeiert wird. Sehen auch wirklich toll aus, wenn die Bäume so mit ihren aufgehenden Blühten vor uns angeben. In Werder ist die Hauptstraße als Fußgängerzone umgestaltet und es gibt überall Markstände mit Obstwein und Obstler, das sind hochprozentige Schnäpse mit Fruchtaromen. Sie schmecken zuckersüss und verlockend. Man merkt beim Konsum gar nicht, dass man hier gerade Alkohol mit ziemlich viel Umdrehungen zu sich nimmt. Ich habe einen Obstler probiert, war sehr lecker, und es dann dabei belassen.

Nun hat die Stadt Werder pikanterweise jedes Jahr zwei Probleme bei ihrem Fest. Das erste Problem löst sie seit Jahr und Tag auf die exakt gleiche Weise: das Problem der vielen Schnapsleichen. Viele Menschen unterschätzen nämlich die Wirklung des Obstbranntweines, trinken viel zu viel und verlieren tatsächlich das Bewusstsein. Der medizinische Laie spricht in diesem Fall von Schnapsleichen. Extra dafür engagierte Helfer von der Stadt sammeln entlang der Fußgängerzonen ein und laden diese Personen zur Ausnüchterung auf eine große Wiese außerhalb des Ortes, wo sie sich dann wahlweise

a) ihren Rausch ausschlafen können

oder

b) ihrer Übelkeit in den Gräsern freien Lauf lassen können, ohne dass es einen Bewohner der Stadt Werder stört.

Das zweite Problem ist difiziler. Überall dort, wo sich viele Menschen versammlen, die viel trinken, entsteht ein großer Druck auf der Blase, dem bekanntlich, ob man nun will oder nicht, nachgegeben werden muss. Politiker drücken dies etwas feiner aus und sprechen nicht von Pinkeln sondern von Notdurft. Viele tausend Menschen treffen auf eine sehr begrenzte Anzahl von Toiletten in den umliegenden Restaurants. Folge dieser Mangelversorgung an Toilletten: es gibt haufenweise Wildurinierer und -urinerinnen, die sich in die Vorgärten von anständigen ostdeutschen Reihenhäusern ergießen, was die Eigentümer verständlicherweise nicht erfreut. Was dagegen tun? In diesem Jahr hat der Bürgermeister zwei Ideen dazu entwickelt.

1. Es wurden entlang der Strecke 1000 Dixi-Klos aufgestellt, die entgeltfrei zu bedienen sind. Wer schon mal auf so einem moblien Klo war, wird sich ganz sicher noch an die unvergesslichen Duftessenz in diesen Plastikbehausungen erinnern. Oftmals ist der Gestank derart ätzend, dass einem Verstand und Gefühl davon abhalten, diesen unheiligen Ort zu besuchen.

2. Es wurde schnell ein Verordung erlassen, dass das Ordnungsamt Werder kontrolliert: Urinieren im Freien ist per Gesetz in Werder verboten. Wer doch im Freien pinkelt, begeht eine Ordnungswidrigkeit die mit 59,00 Euro Ordnungsgeld geahndet wird. Noch nie war pinkeln so teuer. Fragt sich nur, ob diese innovative Maßnahme Erfolg hat.

Nach meiner persönlichen Beobachtung wurden die Dixi-Klos kaum benutzt, allerdings habe ich trotz diverser Freiluft-PInkler keine Politesse entdeckt, die diese Ordnungswidrigkeit tatsächlich geahndet hätte. Und auf der Wiese vor Werder lag eine beträchtliche Anzahl von schlafenden Menschen mit Rausch. Mit anderen Worten: alles wie immer in Werder.

Wieder in Berlin angekommen, habe ich mir am Hermannplatz in Neukölln eine Schokoladentorte gegönnt, mir die stark überschminkten türkischen Frauen mit breiten Becken angeschaut und darüber sinniert, wie gut ich es mir heute habe gehen lassen.