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Tagebuch paranoid
2006-10-02 19:58
Mein Besuch in der Psychiatrie
Erst heute ist mir etwas wahnsinnig Wichtiges klargeworden.
Eine Lektion die wohl jeder irgendwie kennt, auch ich kannte sie ewig, aber richtig spüren tu ich sie erst jetzt.
Das tut wahnsinnig weh, aber auch gleichzeitig gut.
Ich habe gelernt nicht alles als selbstverständlich zu betrachten.
Überall auf der Welt beschweren sich die Leute darüber dass ihr Partner zuviel arbeitet, mal zu spät kommt, mal was beim Einkaufen vergisst.
Und niemand erkennt wirklich- ja ich meine WIRKLICH- wie glücklich er sich eigentlich schätzen kann einen gesunden Partner zu haben den man jederzeit oder sehr oft sehen darf.
Klingt abgegriffen, ich weiß, aber noch nie im Leben ist mir so bewusst gewesen wie sehr das Leben ein Geschenk ist.
Wie ich das gelernt habe?
Ich habe meinen Freund heute in der geschlossenen Abteilung der Klinik besucht.
Es hat viel Überwindung gekostet, war ein ziemlich weiter Weg, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten.
Ich wurde also da rein geschleust und musste ein paar Minuten warten.
Da drin waren echt Leute die man "draußen im normalen Leben" niemals sehen würde.
Ich saß auf dem Sofa und plötzlich kam eine alte Frau auf mich zu und beginnt plötzlich hysterisch mich zu beschimpfen.
Sie kenne mich schon, ich wäre eine Diebin und wolle ihr ihr ganzes Geld klauen, ich solle mal schnellstens hier verschwinden.. und so weiter... ungefähr 5 Minuten am Stück dasselbe Spielchen.
Danach kam ein älterer Mann der auf den ersten Blick völlig normal gewirkt hat.
Er fragte sehr freundlich nach meinem Namen und warum ich hier bin.
Nach 30 Sekunden nochmal dasselbe. Und nach 30 Sekunden nochmal dasselbe. Dann hat ein Pfleger ihn weggebracht.
Und dann kam mein Freund.
Er musste von den Pflegern gestützt werden, da er nicht richtig laufen konnte.
Er sah total fertig aus, aber ich habe gespürt wie sehr er sich gefreut hat mich zu sehen.
Wir haben uns umarmt. Er fühlte sich sehr dünn an.
Er flüsterte die ganze Zeit wie froh er doch sei dass ich hier bin, dass er es einfach nicht glauben kann so ein Glück mit einer Frau wie mir zu haben. Wie sehr er mich liebe.
Ich habe ihn einfach im Arm gehalten und gefragt wie es ihm geht.
Ihm geht es besser als noch Ende letzter Woche.
Da habe ich mich ja mit seiner Tante getroffen die mich über seinen Zustand informiert hat.
Jetzt ist er wenigstens wieder bei Verstand und weiß was er redet.
Der schlimmste Teil des Entzugs ist auch vorbei.
Jetzt muss er sich eben erstmal erholen, viel schlafen, Medis gegen die Panikattacken und Psychose nehmen.
Der Pfleger sagte er macht sich sehr gut, ihm gehts von Tag zu Tag besser.
Ich habe ihn dann nicht viel gefragt, obwohl ich tausend Fragen im Kopf hatte. Aber ich war erstmal nur glücklich ihn einfach nur im Arm zu halten.
Jetzt habe ich wieder Hoffnung.
Sein Zustand bessert sich, die Drogen sind weg und bleiben hoffentlich auch für immer weg.
Als ich das erste Mal gehört habe dass er in der Klinik ist dachte ich einfach nur "Oh Gott, oh nein..."... aber jetzt warte ich einfach nur darauf bis er rauskommt.
Ich weiß nicht wielange das dauert, werd morgen den Arzt fragen.
Ich hatte bis vor Kurzem noch so wahnsinnig viele, materialistische Ansprüche an das Leben, doch wenn es wirklich um etwas geht, vergisst man das alles.
Mir ist Geld sowas von egal geworden.
Ich will einfach nur dass er rauskommt, wir zusammen in eine kleine Wohnung ziehen können und genug Geld zum Überleben haben.
Mehr will ich nicht.
Dass er wahrscheinlich noch Jahre in Therapie sein muss, weiß ich.
Ich akzeptiere es.
Das Leben ist eben kein Wunschkonzert, es kommt wie es kommt.
Und all diese Dinge machen einen stärker und haben mir gezeigt, wie stark ich eigentlich sein kann.
Ich muss auch stark sein, für mich und für ihn, bis er das selbst wieder kann.
Klar, alle Leute raten einem "Gib ihn auf, du machst dich nur selbst kaputt", aber ich sage dazu:
Ich liebe ihn. Für mich ist er das Wichtigste auf dieser Welt, wichtiger als mein eigenes Leben. Ich weiß dass er dasselbe für mich tun würde.
Ich verlasse ihn nicht, nur weil wir an einem derartigen Tiefpunkt angekommen sind. Und was die Lügen betrifft... es ist nunmal leider ein Fakt dass daran die Psychose, Schizophrenie und Drogen schuld sind.
Was natürlich nichts entschuldigt, aber obwohl ich nicht der total gläubige Mensch bin, sage auch ich: Vergebung ist wichtig.
Was nicht heißt dass ich für immer alles durchgehen lassen würde.
Aber er braucht mich jetzt, und ich brauche ihn.
Ich weiß, dass wir es zusammen schaffen.
Ich durfte heute nur 15 Minuten zu ihm. Aber jetzt jeden Tag etwas länger.
Genau das zeigt mir wie glücklich soviele Menschen dieser Welt doch sein können.
Ich muss, um meinen Freund zu sehen, 2 Stunden hin- und zurück fahren, nur um ihn dann einige Minuten sehen zu dürfen.
Und das macht mich überglücklich und lässt mich alle Anstrengungen als lohnend betrachten.
Ja, auch ich darf mich eigentlich glücklich schätzen, überhaupt am Leben zu sein, frei zu sein und ihn sehen zu dürfen.

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leben 

Kommentare

21:19 11.10.2006
Danke euch.
Und ich sage: Es hilft.
Ihm geht es jetzt schon viel besser und er wird in den nächsten Tagen entlassen.
Ich bin so froh.
Anfangs haben die Ärzte die Sache ja viel schlimmer eingeschätzt.
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20:17 02.10.2006
Vor allem kannst Du erstmal stolz auf DICH sein.
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unbekannt
20:01 02.10.2006
Ein wirklich schöner Eintrag, du bist sehr stark und diese Stärke braucht er. Es kann so glücklich sein dich zu haben und du wirst sehen das es sich lohnt zu kämpfen und er nathürlich auch.

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2006-10-02 19:58