Allgemein
Ich hab eben die Rollläden bis auf den letzten Ritz dicht gemacht. Mir war gar nicht bewusst, wie grausam sich künztliches Licht anfühlen kann, wenn man depressiv ist. Normalerweise macht mir das nichts aus. Heute schon.
Ich fühle mich rastlos, hab eigentlich noch viel zu tun.
Lauter kleine Enttäuschungen die letzten Tage. Da hat sich was angesammelt...
Ich hab jetzt im halbdunklen eine Kerze an. Das ist wundervoll. Ich liebe es.
Mein Leben kommt mir seit einer Weile sehr unreal vor.
Alles kommt mir so weit entfernt vor, selbst wenn es genau neben mir stattfindet oder ich gar mithandel.
Mir fällt es schwer zu atmen. Meine Gefühle drücken zu schwer auf meine Brust.
Ich versenke mich in Musik.
Mein Kopf scheint anzuschwillen.
Nichts kommt raus, nur immer mehr rein.
Meine Lippen kribbeln. Das kommt von meiner inneren Anspannung.
Ich wünsche mir von ihm in den Arm genommen zu werden. Mit ihm meine ich Nori, nicht Martin. So leid es mir tut.
Martin...
Ich weiß nicht was ich von ihm halten soll.
Ob ich ihn liebe.
Ich weiß es tatsächlich nicht.
Ich dränge die Gedanken an ihn so wie es nur geht von mir.
Mit der Vorstellung, dass ich ihn verletzten und verlieren könnte, kann ich nicht umgehen.
Was ist Liebe? Wen liebe ich?
Der mit dem ich zusammen sein möchte?
Das wäre dann Nori.
Der mit dem ich auch wirklich zusammen sein kann?
Das wäre dann Martin.

Meine innere Ruhe ist gestört.
Ich bin jetzt nicht mehr nur rastlos, sondern auch hektisch.
Mir ist ganz schwindelig vor Angst.
Morgen ist Unterricht.
Ob mein Bruder mich wohl zum Bahnhof bringen kann?
Oder soll ich heute Abend noch zu meiner Mutter?
Eher nicht. Sie kann mich nicht abholen und zum Bus fahren ist es mir zu spät.
Außerdem hab ich zu viele Sachen zum mitnehmen.
Und hier noch zu viel zu erledigen.
Was soll ich nur machen? Mir wird ganz kotzig und schwummrig.
Es zereisst mich innerlich. Mein Kopf wird zerspringen. Er platzt gleich. Der Druck lässt nicht nach. Ich muss mich zusammen kauern. Mein Hals und meine Nase sind trocken, die Kehle schleimig.

Das Chaos in meinem Zimmer ist zu viel für mich. Kein Anfang, kein Ende. Wo soll ich anfangen? Ich schaff das nicht alleine. Es so zu lassen macht mich allerdings auch wahnsinnig. Dabei kann mir keiner helfen. Die blosse Anwesenheit einer gewissen Person...das wäre eine große Hilfe. Ich wünschte, wir wäre so vertraut. So vertraut, dass ich mir um seine Gedanken keine Sorgen mehr machen müsste. So dass ich sein könnte, wie ich nun mal bin.
Einiges hätte ich gerne anders an mir.
Weil ich geliebt werde möchte und mich manchmal als nicht liebenswert genug empfinde.

Unten im Wohnzimmer sitz die Freundin meines Bruders. Ich geh nur kurz hoch, hab ich zu ihr gesagt. Außer mir, und jetzt auch ihr, ist keiner bei uns Zuhause. Glaube ich...zuimindest war es vorher noch so.
Ich hab mich seit vllt einer halben Stunde in meinem Zimmer verschanzt. Türe zu, Lichter aus, nur die Kerze brennt noch immer.
Auf die Geräusche im Haus achte ich nicht. Ich will für mich sein.
Meine Bruder wollte doch heute mit mir Abendessen...
Vielleicht kommt er bald zu mir in mein Zimmer. Das heißt, fall er endlich Zuhause angekommen ist.
Mein Zustand ist so seltsam.
Wie soll ich es Morgen nur zum Unterricht schaffen?
Eigentlich liebe ich den Unterricht.
Diese kleine Gruppe ist wie eine Ersatzfamilie.
Wir sind nur eine Stunde pro Woche zusammen, aber dann sind wir auch wirklich zusammen. Vielleicht gibt mir gerade das, das Gefühl von Familie. Wir ziehen an einem Strang. Wir haben keine besonders innige Beziehung untereinander. Im Gegenteil. Aber sind nicht mehr oder weniger als eine Arbeitsgruppe, keine Freunde. Trotzdem. Ich fühle mich irgendwie geborgen.
Vielleicht liegt das auch an meiner Liebe zu der Sprache die wir sprechen. Nihongo, Japanisch.