Ich komme gerade von einem 2stündigen Besuch bei meiner 'Nenntante', die seit 5 Wochen in einem Hospiz dem Sterben entgegenlebt - Hirntumor.

Jede Woche kann sie weniger Funktionen ihres Körpers beherrschen. Vorige Woche saß sie noch im Rollstuhl und konnte kleine Schritte zum Bett gehen. Heute war es ein Erfolg, dass sie sich aus dem Liegen aufsetzen konnte.

Vorige Woche aß sie mit der Gabel vom Teller, wenn ich ihr die Stücke zurechtlegte. Heute musste ich ihr die Kuchenstückchen in die Hand geben, weil sie ansonsten versuchte, das komplette Teil in den Mund zu schieben.

Ihr ganzer Körper zuckt immerzu ein bisschen. Nerven? Keine Ahnung.

Sie scheint vieles zu verstehen, kann aber kaum antworten. Wenn sie selbst die Worte suchen muss, misslingt das. Wenn man ihr Vorgaben macht, von denen sie dann eine nachsagen kann, dann klappt es. z.B. "Möchtest du dich aufsetzen - oder möchtest du liegen bleiben?" - "Setzen."

Ich habe ihr den Rücken massiert - naja, eher gekrault. Und nach etwa 20 Minuten sagte sie 'Schön!'. Das ist wohl weit mehr, als sie in den letzten Tagen aktiv herausbekommen hat. Also habe ich mir Massageöl mit Zitrusduft besorgt (die Angestellten sind superhilfsbereit) und ihr Arme, Beine, Wangen und Rücken damit massiert. "Riecht gut", sagte sie. Und sie hielt mir von allein den anderen Arm und das andere Bein hin. Also war das wohl das Richtige.

Dann hielten wir nur noch Händchen, aber auch hier griff sie aktiv immer wieder nach meiner Hand, wenn sie sich zB an der Nase gekratzt hatte. Als ich einmal weinte, streichelte sie meinen Kopf - und sie lächelte mich immer mal wieder an - auch wenn das offenbar anstrengend ist für sie. Schließlich schlief sie ein - und alle Zuckungen hörten auf und sie entspannte sich.

Hinterher hörte ich von der Schwester, dass Tante H wohl seit gestern nur noch vor sich hin gedämmert hat. Ich hätte wohl einen sehr hellen Moment erwischt. Wie schön! - Ich bilde mir jetzt einfach ein, dass es für sie 'heller' war, weil ich da war Wer weiß das schon.

Immer, wenn ich sie besuche, nehme ich mir aus dem Hospiz eine Rose mit. Die kann man dort für kleines Geld kaufen - vermutlich, um sie den Kranken zu schenken. Bei Tante H steht auch immer eine solche Rose; von wem auch immer. (Ich schenke ihr nie was.) Aber ich nehme so eine Rose immer für mich mit und stelle sie in mein Wohnzimmer. Wenn ich sie ansehe, denke ich an meine Tante. Vermutlich werde ich bei gelben Rosen mit rot-orangem Rand nun immer an sie denken. Es gibt Schlimmeres, oder? - auch wenn es im Moment traurig ist.

Schwere Stunden. Aber auch gute Stunden. Irgendwie. So ruhig und ohne Worte voller Bedeutung...