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Tagebuch MI
2006-02-24 15:41
Wo der Teufel steckt - und die Lösung

Ich habe schon wieder einen ganzen Eintrag damit verbracht, die herrschenden Mißstände anzuführen und die Richtung, in die es hier geht, klarer zu umreißen. Aber das ist wichtig, ohne das geht es nicht. Mathematisch könnte ich auch sagen: es ist notwendig, aber nicht hinreichend. Wo soll es hinreichen? Zur Umkehr.

Und auch wenn der nächste Schritt in gewisser Weise bereits vorgesehen oder absehbar ist, und es vielleicht WIEDER ein falscher Schritt sein sollte, so ist es doch immer noch ein Unterschied, ob ich mir nun 100%ig darüber im Klaren bin, wieder etwas gegen besseres Wissen getan zu haben, als völlig unbewußt daherzutappen (ich behaupte, das tun die meisten). Dies mit einem komischen Gefühl im Bauch, daß irgendetwas falsch ist, irgendetwas schief läuft, aber im Grunde nicht weiß, was das ist.

Daher: Aufklärung der Lage und Bestimmung des Status quo ist Pflicht, das Pflichtprogramm sozusagen. Das muß absolviert werden. Wenn das getan ist, kann es in die Kür gehen. Es geht jetzt darum, anzuerkennen, was offensichtlich ist, und dann bei der nächsten Gelegenheit gegenzuhalten und gegenzusteuern.

Selbstverständlich wird das gesamtgesellschaftlich nichts nutzen, zumindest bezweifle ich das sehr. Aber die Sache ist ganz einfach die, daß es darum überhaupt nicht geht. Es geht nicht darum, Mißstände zu erkennen und diese dann möglichst mit Pauken und Trompeten und gehörigem finanziellen und personellen Aufwand per Dekret, per Aktion, per Projekt anzugehen und aus der Welt zu schaffen. Das kann man getrost den Profilneurotikern überlassen. Sondern es geht darum, diese Umkehr ganz allein für sich selbst zu machen und dann sein Handeln nur noch - aber wirklich nur noch - nach der neuen Maxime auszurichten.

(Und es wäre dann im Übrigen völlig falsch, sich etwaige "größeren" positiven Veränderungen als Belohnung ans Revers zu heften. Wer in der Umkehr an sich nicht den Lohn findet, der ist gar nicht umgekehrt, sondern tappt immer noch im Dunkeln).

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Was ist die zentrale Erkenntnis, auf die es bei mir im Grunde immer wieder hinausläuft? Das ist - für mich, ganz subjektiv - Ausbeutung. Selbstverständlich bekomme ich auch immer etwas vom Leben, selbstverständlich profitiere ich an der einen oder anderen Stelle. Und selbstverständlich sind viele Leute hier noch viel schlimmer dran als ich. Ich selbst bin nur irgendwo im "Ausbeutungsmittelfeld".

Trotzdem ist dies für mich ein neuralgischer Punkt, der mich betrifft, seit ich denken kann. Ich fühle mich ausgebeutet. Nein, ich will gar nicht jemand anderes als Ausbeuter hinstellen. Es geht nicht um so etwas wie "Das sind die bösen Ausbeuter" und "Das sind die, die ausgebeutet werden". Das nicht. Aber etwas anders formuliert wird schon ein Schuh daraus: "Das sind die, die - ob sie es nun wollen oder nicht -, davon profitieren, daß sich andere Leute bereitwillig ausbeuten lassen. Und das sind diese anderen, die das zulassen".

Das heißt: wenn ich das Gefühl habe, ausgebeutet zu werden, dann ist das nichts anderes als ein Signal an mich selbst, mich nicht ständig ausbeuten zu lassen! Gelegenheit macht Diebe, das wissen wir doch alles. Und wenn es da Menschen gibt, die einfach ihren Krams (ihre Gutmütigkeit, ihre Zeit, ihre Energie, ihr Leben) herumstehen lassen und anderen als leichte Beute zur Verfügung stellen, ohne dafür eine adäquate Gegenleistung zu verlangen, dann gibt es ganz natürlicherweise auch die, die das gerne aus-nutzen.

Warum tun Menschen so etwas, warum lassen sich Menschen ausbeuten? Nicht, weil sie nett sind, nicht, weil sie "die Guten" sind. Nein, sie tun es, weil sie "die Guten" sein wollen, und nicht "die Bösen". Mit der vorgeschobenen Gutmütigkeit erkauft man sich ein gutes Gewissen. - Und letztlich doch eigentlich nur wieder einen weiteren Aufschub der Begegnung mit sich selbst (ja, ja, was scheut man diese Begegnung doch immer wieder!).

Das Leben wird nämlich auf einmal hochinteressant, wenn man mal aufhört, pathologisch immer nur zu geben. Und mal mit den Nehmen beginnt. Da kommen sehr interessante Fragestellungen auf, mit denen man sich wohl unbewußt nie gerne auseinandersetzen wollte. Zum Beispiel die Frage: bin ich das denn überhaupt wert? Habe ich überhaupt das Recht, so zu handeln? Ist das nicht unanständig, übervorteile ich nicht den anderen? Usw.

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Diese Fragen stellen sich nie, wenn man immer nur gibt. Geben ist in diesem Sinne eine Flucht vor diesen Fragen, deren Beantwortung aber elementar ist, und eigentlich gar nicht so schwierig. Aber: eben nur experimentell zu ermitteln. Man muß sich da schon ganz drauf einlassen. Und jetzt nicht schon wieder an die großen Sachen denken. Nein, es sind die Kleinigkeiten.

Zum Beispiel funktionierte gestern der Netzanschluß meines Arbeitsplatzrechners nicht. Ich habe dann bei der Datenverarbeitung angerufen, um das zu melden und den Fehler zu beheben. Mir wurde gesagt, daß gerade wieder einige Sachen umgestellt worden wären, und da wäre das wohl aus Versehen passiert, daß mein Rechner aus dem Netz geflogen sei. Als nächstes wurde mir eine Person mitgeteilt, an die ich mich wenden sollte (heißt: hinterhertelefonieren, hinterherlaufen), die mir den Rechner wieder anmelden kann.

Da genau ist diese Stelle, die Weggabelung. Früher habe ich da nie drüber nachgedacht und das getan. Vielleicht habe ich mich hinterher darüber geärgert, daß ich nun wieder die Malessen mit etwas habe, was eigentlich andere verbockt haben. Heute aber ist das anders. Erfreulicherweise. Und das ist eben die kleine, stille Umkehr, die eigentlich ein jeder - für sich selbst - vollziehen muß. Ich sah das nicht ein, daß ich das nun machen sollte, denn es war ja nicht mein Fehler. Und wenn ich umgekehrt bei der DV wäre, hätte ich sicher angeboten, das rasch wieder in Ordnung zu bringen.

Ich antwortete: "Ich möchte vom Verursacherprinzip ausgehen. Demnach habe ich keinen Anteil an der Sache und es wäre doch nur korrekt, wenn Sie nun einen Ihrer Mitarbeiter Bescheid sagen, daß er meinen Rechner wieder an das Netz anmeldet." Das wurde zwar mürrisch entgegengenommen. Aber letztlich dann doch umgesetzt.

Ein anderer Fall: aus der letzten Ferienbetreuung meiner Kinder am Institut habe ich noch eine Kinderjogginghose hier, die nicht meinen Kindern gehört. Ich vermute, die Betreuerin hat sie versehentlich in die Tasche meiner Kinder gesteckt. Mein Job bei der Geschichte ist es, dies bei dem Verein, der die Betreuung organisiert, zu melden. Ich würde auch noch die Hose dort abgeben. Was ich aber nicht tue ist, dem Besitzer hinterherzulaufen. Trotzdem fragte mich die Vereinsvorsitzende, als ich die Hose bei ihr gemeldet habe, ob ich nicht...vielleicht...eine Rundmail? - Das aber hatte ich genau von ihr erwartet, und ich meine berechtigterweise.

Wiederum: früher hätte ich das getan. Ist doch kein Problem, eine Rundmail. Da braucht man doch kein Aufhebens drum zu machen! Oder? Oder doch? Aber ja doch! Denn es ist wieder eine Weggabelung. Und einmal falsch abgebogen, lauern schon wieder viele weitere falsche Abbiegungen. Also gleich jetzt und hier den richtigen Weg eingeschlagen, auch wenn es anderen nicht schmeckt und ich damit leben muß. "Nein, das tue ich nicht. Und wenn Sie es auch nicht tun, dann lassen wir es. Wenn die Hose dem Besitzer wichtig ist, wird er sich ja bei Ihnen melden und Sie wissen jetzt, daß diese Hose bei mir ist." Tatsächlich zeigte sie auch keine Bereitschaft, sich weiter um den Fall zu kümmern. Also halte ich die Hose noch eine Weile, irgendwann werde ich sie entsorgen.

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Ich weiß nicht, das mag alles sehr kleinlich klingen. Doch ich finde, das ist genau die Falle, in die ich immer hineingetappt bin. Ist doch nur eine Kleinigkeit! Aber von wegen: das ist wie bei einem Schneeball, der den Hang runterrollt. Der fängt auch immer ganz klein an.

Und man sagt doch auch, daß der Teufel im Detail steckt. Und jawohl, da steckt er wirklich! Aber genauso auch: die Lösung. Denn allein sich in so einer kleinen Sache einmal zur Wehr gesetzt zu haben, endlich einmal anders reagiert zu haben, nicht mechanisch-unbewußt, sondern ganz bewußt, auch das Risiko einer Auseinandersetzung auf sich nehmend – nicht zuletzt: nicht mehr zu scheuen, sich auch einmal anderen Aspekten seiner selbst entgegenzustellen und diese willkommen zu heißen und zu integrieren, das ist Befreiung, das ist Glück.

Und führt im Übrigen zu weiteren Wegen, die noch mehr tolle Gelegenheiten bereithalten, sich zur Wehr zu setzen. Aber nun lerne ich ja langsam, wie das geht.

Michael

Kommentare

10:57 26.02.2006
Danke Dieter!
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unbekannt
10:51 25.02.2006
Lieber Michael,

ja, ich kann dich sehr gut verstehen. Ich bin nämlich auch so einer, der immer nur gibt. Ja, und auch ich habe immer öfter das Gefühl ausgebeutet zu werden. Eigenartigerweise habe ich das Gefühl gerade bei einem Menschen, der mir sehr nahe steht (nicht meine Frau). Nicht dass dieser Mensch mich bewusst ausbeuten würde, oh nein, ICH bin es, der sich ganz und gar gibt, weil ich mich ganz geben WILL - ich kann momentan gar nicht anders. Und es ist genau wie bei dir: ich habe das Gefühl, es kommt nicht das Geringste zurück. Es ist, wie in einer Einbahnstraße, die Energie fließt nur in eine Richtung. Ich bin schon seit längerem dabei das zu erkunden und eine Lösung dafür zu finden. Ich muss hier viel mehr auf meinen Bauch hören, von dort kommt nämlich dieses Gefühl des Ausgebeutetseins, das Herz will immer nur geben. Da ist ein Ungleichgewicht in meinem Energiehaushalt.

Danke für deinen Text, er hat mir gut getan und weitergeholfen. Ich habe sowieso das Gefühl, dass hier ein ganz bestimmter Mechanismus am Werk ist. Immer öfter lese ich bei bestimmten Menschen Dinge, die bei mir einen AHA-Effekt auslösen. Dies löst manchmal große, manchmal nur ganz kleine Knöten auf. Aber viele kleine Knoten ergeben einen großen Netzplan. Solche Menschen sind mir wertvoll. Du bist einer davon.

liebe Grüße
Dieter


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