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Tagebuch MI
2006-03-08 18:28
Uralte Fragen

Eine Menge Leute freuen sich auf den Frühling. Sie haben die Schnauze voll von tiefen Temperaturen, Schneefall und vereisten Autos und wollen vor allem eins: Sonne und Wärme.

Im Grunde geht es mir nicht anders. Jetzt habe ich mich zwar mittlerweile an die tiefen Temperaturen gewöhnt (das gilt nicht nur für die Wettertemperaturen) und könnte im Grunde so weiterleben, ohne daß das mein Wohlbefinden allzusehr beeinträchtigen würde. Ich mag verschneite Landschaften. Und zwar freue ich mich auch darauf, wieder mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren zu können

(das geht im Prinzip jetzt auch schon, aber ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, nach dem Winter erst dann wieder auf das Rad umzusteigen, wenn er auch wirklich um ist, und ich nicht doch aus Versehen wieder über glatte Straßen fahren muß),

andererseits habe ich so auf dem Weg zur Arbeit doppelt soviel Zeit, ein Buch zu lesen (der Weg ist immer eine Kombination aus S-Bahn und Fahrrad oder S-Bahn und Bus). Und so habe ich zum Beispiel einige Bücher mehr über interessante Naturwissenschaftler lesen können: Kepler, Galilei, Nobel u.a. Ich komme sonst wenig zum Lesen von Büchern, aber im ÖPNV habe ich die Gelegenheit dazu.

Der Winter hat noch andere Vorteile, die zunächst einmal gar nicht so sehr ins Auge springen, die im Grunde auch gar keine Vorteile sind. Zu den klaren Vorteilen zählt in jedem Falle auch, daß ein ziemlich durchgeknallter Mann im Nachbarhaus im Winter nicht am Fenster steht und herumpöbelt. Das macht er nur in der warmen Jahreszeit. Ich sehe in diesem Sinne den Frühling eben auch immer mit einem weinenden Auge kommen, da dieser einzelne Mann es schafft, den Hinterhof für dutzende von Mietparteien unerträglich zu machen. Und selbst massive Anzeigekampagnen und Proteste beim Bürgeramt scheinen nichts zu nutzen. Und das alles auch noch auf Kosten des Sozialamtes, also auf Kosten der Allgemeinheit.

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Worauf ich eigentlich hinaus will, und dies wurde heute wieder angestoßen und rumort schon eine Weile in mir und nun ist es soweit, daß ich darüber schreiben muß: es ist die für mich völlig ungeklärte Sexfrage. Und das ist einer der "Pseudovorteile" des Winters. Denn wenn es draußen kalt ist und überhaupt sich die Menschen verkriechen, dann ist Sex für mich kein großes Thema. Nur wenn dann der Frühling kommt, wenn die Knospen sprießen, die Tiere balzen und die Vögel flattern, dann fängt es auch bei mir wieder an zu flattern.

Hier ein kurzes Höschen, den Blick auf zwei hübsche Beine bietend, dort ein flatterndes Röckchen auf einem Fahrrad, eine Sonnenbadende am Seeufer, ein turtelndes Pärchen, ein netter Blick in der S-Bahn. Und dann ist sie plötzlich wieder da, die ungelöste Sexfrage. Mit Sex hatte ich eigentlich nie einen besonders aufregenden Vertrag. Ich sehe nicht schlecht aus, bin aber auch kein muskulöser Kerl, den viele Frauen sich offenbar heimlich dann doch wünschen (da sind sie ja genauso selektiv, wie die Männer, denen das so gerne vorgehalten wird).

Also kein Draufgänger. Ich habe es einmal probiert, wollte es erzwingen - mit schrecklichen Folgen, ich meine gefühlsmäßig. Bei meinem Bruder war das immer ganz anders, ihm flogen die Frauen nur so zu, und es konnte sich so recht eigentlich keiner erklären warum. Er hatte "was", das war es wohl, was immer "das" ist. Seine vielen Beziehungen haben nie lange gehalten, und es war auch mal die Rede von einer ungewollten Schwangerschaft. Heute lebt er aber offenbar in einer stabilen Partnerschaft.

Bei mir sollte das nicht sein. Immerhin brauche ich mir nicht vorwerfen, daß ich es nicht versucht hätte. Und immerhin habe ich kurz vor dem Beginn meiner heutigen Partnerschaft eine schöne intensive sexuelle Erfahrung machen dürfen. Manchmal ist es ja nicht gerade die Quantität, die über ein gutes oder schlechtes Gefühl entscheidet. Davon zehre ich manchmal noch, erwische mich bei den Gedanken: wenigstens dieses eine Mal war mir ein schönes mehrtägiges Abenteuer gegönnt.

Mit meiner heutigen Partnerin begann schon sehr kurz nach dem Geschehnis ein weiteres Abenteuer, daß dann eben in eine feste Partnerschaft mündete. Wir hatten damals viel Sex, jedoch ließen mich manche Dinge dabei unbefriedigt (z. B. der Oralsex, der ihr nicht viel bedeutete, oder ein gemeinsamer Orgasmus, der nicht klappen wollte). Sie war durch ihre sehr "lebendige" Zeit an einem amerikanischen College weit erfahrener als ich, und vielleicht deswegen auch nicht mehr so experimentierfreudig. Auch ist sie während dieser Zeit einmal gegen ihren Willen zu Sex gedrängt worden, was bei ihr Spuren hinterlassen hat.

Ihre vielen sexuellen Erfahrungen hatten mich zu dem damaligen Zeitpunkt sehr eifersüchtig gemacht, der Gedanke, daß so viele Männer vor mir... Aber ich konnte mich nach einiger Zeit mit dem Gedanken anfreunden und es war schließlich überwunden.

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Wir bekamen drei Kinder. Das letzte geht zurück auf unseren letzten (und spontanen) Sex. Allein das viele Gebastel an den Kindern ist leider auch irgendwann von Lust in "Muss" umgesprungen. Wenn es eben lange Zeit mit einer Schwangerschaft nicht klappt, dann verspürt man immer mehr den Druck, jetzt - wo gerade die fruchtbare Zeit ist - Sex zu haben. Wir wollen doch eine Familie gründen. Am zweiten Kind haben wir auch eine Weile gebastelt, nur das dritte wurde uns regelrecht geschenkt. Und wir konnten es kaum glauben, wie einfach das war, wo wir zuvor hundert Anläufe pro Kind brauchten.

Seit dem ist Stille. Wir haben seit dem Zeugen unseres dritten Kindes keinen Sex mehr miteinander, und wir schlafen getrennt, weil nur so in Anbetracht der vielen Unterbrechungen durch die Kinder ein ordentlicher Schlaf gewährleistet ist. Zwar hat sich die Situation gebessert, doch ist nun aus dem Ausnahmezustand Gewohnheit geworden.

Daß wir keinen Sex mehr haben, liegt zum einen sicher daran, daß diese völlig unerwartete dritte Schwangerschaft ein Schock für uns war (von wegen, es wird schon nichts passieren), und zum anderen auch damit, daß meine Partnerin wirklich keine Lust mehr hat. Sie hat einfach kein Interesse mehr an Sex. Ich weiß nicht, ob das noch mal wieder zurückkommt.

Ein anderer Punkt ist der, daß sich bei uns der Sex auch nicht richtig weiterentwickelt hat. Er ist an einer bestimmten Stelle stehen geblieben und kommt da nicht drüber hinaus. Und es ist ein sehr komisches Gefühl, wenn man Sex hat und es überfällt einen, daß man irgendwie, ja, gelangweilt dabei ist. Natürlich ist da der körperliche Reiz, aber es fehlt ansonsten der Reiz des Neuen, des Unvorhersehbaren. Das mag nun wiederum an mir liegen. Ich würde gerne sexuelle Erfahrungen mit anderen Frauen haben. Warum denn eigentlich nicht? Ich bräuchte da einfach mal Neuland: andere Haare, ein anderer Duft, ein anderer Körper, ein anderes Anschmiegen. Allein darüber zu schreiben ist sehr stimulierend.

Da schließlich viele Versuche, unser Sexleben irgendwie wieder zu aktivieren, nicht erfolgreich sein wollten, und ich auch Sex überhaupt nicht will, wenn er nur "mir zu Liebe" geschieht, stand ich irgendwann vor der Frage, wie es weitergehen soll. Einerseits gibt es in meiner Partnerschaft kein Sexualleben mehr, andererseits kann das doch nicht für mich auch das Ende bedeuten, jedoch würde ich E. sicher verletzen, wenn ich mich nun für anderweitige Sexerfahrungen öffnen würde.

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Wie das Leben so spielt, lernte ich über das Web eine Frau kennen, die ebenfalls in einer festen Partnerschaft ist. Und wir lernten uns so kennen, daß wohl nur die räumliche Entfernung das "Schlimmste" verhindern konnte. Aber allein schon der virtuelle Kontakt und Telefonate und Briefe brachten die Schiffe beider Familien bedrohlich nahe ans Kentern. Natürlich, wenn der Sturm gerade tobt, fühlt er sich immer schlimmer an, als wenn er vorbei ist, und vielleicht war alles nur eine Art Geschmack davon, wie es wäre wenn - und es war vielleicht nie wirklich ernst. Aber sicher wissen kann man das letztlich auch nicht.

Da war sie also, meine große Chance, doch noch mal wieder auf dem Felde Mann-Frau zu neuen Erfahrungen zu gelangen, mich dort jemandem hingeben zu können, vielleicht ganz andere Gespräche führen zu können, ganz neue Seiten an mir entdecken zu können, und auch neue Lust spüren und leben zu können. Nun aber ist das Fenster wieder zu und ich gucke wie von einem Turm auf die Frauenwelt und stehe vor der Frage, ob ich denn überhaupt noch mal in meinem Leben Sex haben werde oder auch nur einen romantischen Abend zu zweit, ein gemeinsamer Konzertbesuch mit ein bißchen Knistern, ein Abendessen mit ein bißchen Flattern.

Oder müssen fortan die mich alljährlich überfallenden Frühlingsgefühle bis an mein Lebensende unter Dusche abgelassen werden? Wenigstens bietet das Web mittlerweile gute Möglichkeiten, ganz gepflegt zu masturbieren. Aber ist das denn eine Lösung? Oder will ich zuviel? Sollte ich nicht zufrieden sein mit dem, was ich habe?

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Es war just im letzten Jahr, als ich mich noch einmal gegen das vermeintliche Schicksal wehrte. Aber vielleicht ist das Thema ja auch völlig überdimensioniert. Was hat man nicht alles für Wünsche und Sehnsüchte und wer sagt, daß müsse alles erfüllt werden? Kann ich nicht einfach glücklich sein, Kinder zu haben, eine gute Partnerin zu haben, zwar nicht leidenschaftlich, dafür aber..., ja was? Wir haben viele harmonische Stunden, wir können streiten und uns wieder versöhnen, wir haben viel gemeinsam unternommen, Reisen, Unsinn, das verbindet. Warum kann mir das nicht genügen und kann ich nicht einfach auf das verzichten, was ich halt nicht bekomme? Beklage ich mich nicht oft genug über die "Ich-will-alles-Gesellschaft"? -

Ich habe mich auf die Suche nach Seitensprungmöglichkeiten begeben. Vor einem Jahr. Allein die ganze Auseinandersetzung mit der Thematik war für mich befriedigend, denn wenigstens TAT ich was. Im Geiste formulierte ich schon die Anzeigentexte. Aus den vielen unseriösen Angeboten habe ich dann auch drei seriöse Seiten gefunden, denen ich wohl vertrauen kann (bei solchen Angeboten ist mir übrigens wichtig, daß nicht nur die Männer für den Kontakt bezahlen, sondern daß auch die Frauen einen Obulus entrichten müssen).

Die Adressen habe ich mir notiert. Außerdem hatte ich mir eine Art "Machobuch" besorgt, weil ich immer den Eindruck hatte, etwas bei den Frauen verkehrt zu machen: das ist wohl, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige und Notwendige auch zu auszusprechen. Aber ich kam mir dabei auch sehr albern vor, Dinge zu lesen und Ratschlägen nachzugehen, die eigentlich nicht in meiner Natur liegen.

Weiter bin ich nicht gekommen. Das alles schlummert in einem Umschlag und gibt mir das Gefühl, wenigstens angefangen zu haben und "notfalls" an dieser Stelle weitermachen zu können.

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Jetzt die Kehrseite:

Meine Partnerin würde das niemals verstehen. Wenn sie mir auch keinen Sex mehr "bieten" kann, fehlt ihr andererseits das Verständnis, daß ich in diesem Fall gezwungenermaßen neue Wege beschreiten möchte. Wobei dieses "gezwungenermaßen" auch nur die halbe Wahrheit ist. Die ganze Wahrheit ist, daß es mir durchaus das Gewissen erleichtert, wenn ich neue Gefilde betrete.

Wir haben ein tolles Vertrauensverhältnis, wir können auf engsten Raume miteinandersein, wir können uns anschreien und wieder versöhnen. Und wenn ich mal auf Geschäftsreise gehe, bewegt dies ihr Herz, ich sehe das an ihren Augen, wenn ich mich verabschiede. Die Kinder sind glücklich. Und aus eigener schlimmer Erfahrung würde ich es mir niemals verzeihen können, wenn ich die Partnerschaft aufs Spiel setze und die Kinder darunter leiden müßten.

Ein sexueller Kontakt birgt immer auch das Risiko ungewollter Schwangerschaften, auch diese kenne ich aus der Familie und will ich um Gottes Willen nicht verursachen. Natürlich, Kondome helfen da weiter. Ich war noch nie ein rechter Freund davon, also müßte ich mich da erst einmal umstellen.

Ein weiteres "Risiko" ist, daß ein sexueller Kontakt auch zu einem ganz allgemein intimen Kontakt werden kann. Schließlich: soll man sich denn etwa nur zum Sex treffen? Vielleicht möchte man ja auch noch ein paar Worte miteinander reden? Und wo es im Bett gerade so gemütlich ist: wer will da aufstehen und nach Hause in den Alltag gehen? Wie schön wäre es, einfach die Nacht miteinander zu verbringen, am nächsten Tag noch zu frühstücken und sich dann erst zu trennen?

Und dann nach Hause kommen, wo meine Partnerin gestreßt die Kinder betreut? - Unmöglich. Ich kann so etwas nicht. Auch wenn ich denke, daß im tiefsten Innern so etwas nicht gefährdend sein kann und darf. Es kratzt am Ego, es kratzt am Vertrauen. Aber was ist denn tatsächlich passiert? Ich hatte eine schöne Nacht mit einem anderen Menschen. Ich hatte eine schöne Zeit. Eine Nacht von 5.000 anderen, die ich zu Hause verbracht habe. Warum muß so etwas gleich die Welt aus den Angeln heben?

Auch an einen Partnertausch hatte ich schon gedacht. Warum denn nicht? Ist das nicht eine der berühmten win-win-Situationen? Ich bin einfach experimentierfreudig. Ich bin lebendig, ich möchte noch viele Dinge ausprobieren. Meine Partnerin konnte mit der Idee nur nichts anfangen, ich weiß nicht, ob sie das überhaupt ernst genommen hat.

Heute bin ich auf den Begriff "Swingerclub" gestoßen. Das kannte ich bisher noch nicht. Ich habe mir mal die Webseite von so einem Club angesehen und fand das durchaus ansprechend. Sonst stoßen mich "Clubs" dieses Milieus schnell ab. Aber hier scheint sich doch eine seriöse Nische aufgetan zu haben, die es Paaren und auch Singles ermöglicht, ungezwungen sexuelle Erfahrungen zu machen.

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Was wird nun werden? Ich weiß es nicht. Der Frühling wird kommen und mit ihm werden all diese Fragen aus ihrem Winterschlaf erwachen, uralte Fragen.

Michael

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