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Tagebuch MI
2006-03-19 20:34
Sonntag Abend
Immer von den drei Kindern umgeben, ist es nicht gerade leicht, etwas vom Tag für sich abzuknapsen. Gerade an Sonntagen merke ich dann, daß ich irgendwann nicht mehr will. E. geht es auch so, und wir sehen mittlerweile speziell Sonntag Nachmittagen mit einem gewissen Schauern entgegen. Einfach, weil man da mal eine Pause bräuchte, Zeit, Ruhe, die es aber in der Familie nie geben kann, außer man gestaltet das wiederum aktiv. Nur müssen dann die sehr unterschiedlichen Interessen einer Dreijährigen, eines Sechs- und eines Neunjährigen unter einen Hut gebracht werden.

So passiert es dann, daß wir die Sonntag Nachmittage "schleifen" lassen, weil wir auch einfach nicht mehr können und wollen. Vorhin sagte E. noch zu mir, ihr Akku sei leer. Das beschreibt es am besten. Da ist einfach kein Saft mehr in der Maschine. Notdürftig schleppen wir uns also irgendwie durch den Tag und sind froh, wenn abends Ruhe ist und wir vielleicht noch ein Stündchen für uns haben.

Eigentlich schade, denn sonst sind die Wochenenden sehr schön, speziell die Samstage gestalte ich gerne aktiv mit den Kindern. Nur bekommt man dann halt am Sonntag nicht die "Belohnung". Es ist so ein Gefühl, daß man doch jeder für sich die ganze Woche für die Familie und die Kinder da war, und gestern (Samstag) auch noch etwas tolles gemeinsam gemacht hat, und da ist es doch eigentlich nicht zuviel verlangt, wenn der Sonntag Nachmittag mal den Eltern allein gehören würde. Aber das klappt nicht.

-

Gestern war noch ein sehr nettes Fest bei unserer Nachbarin R., die unter uns wohnt. Sie feierte ihren Ausstand, hört in zwei Wochen auf zu arbeiten. Und ihren Geburtstag glaube ich auch. Ich habe da nie so ganz den Überblick, und manchmal fallen mir noch nicht mal mehr die Vornamen von Nachbarn ein, die ich eigentlich gut kenne, aber eben nicht so oft sehe und selten mit ihrem Namen anspreche. Und so stehe ich plötzlich da, will gerade etwas über jemanden sagen, und weiß plötzlich den Namen gar nicht mehr (..."na, die Mutter von C., ich weiß gerad den Namen nicht..."). Ich versuche mich dann irgendwie aus der Peinlichkeit herauszuwinden - es ist mir peinlich. Irgendwie gelingt es mir auch. Vielleicht habe ich auch schon ein bißchen ein zerstreutes "Image".

Bei der Feier ist mir mal wieder aufgefallen, daß ich "normale" Gespräche gar nicht mehr führen kann. Wenn es nur darum geht, etwas "Tolles" von sich zu erzählen und wenig bis gar nicht daran gedacht wird, auch mal Interesse für das etwas weniger Tolle des Gegenübers aufzubringen, kann ich mich von meinem Gesprächspartner gleich verabschieden. Solche Gespräche gehen immer nur auf meine Kosten.

Es war dann später aber noch eine sehr nette Runde, als nur noch der Kern des Hauses beisammen war. Jeder kennt so die Probleme des anderen, auch die "wunden Stellen" (beim einen das Alter, beim anderen die Strapazen mit den Kindern, beim Dritten gesundheitliche Malessen usw.). Dabei entsteht eine Atmosphäre des "Ich muß dem anderen nichts vormachen", was sehr angenehm ist. Man kann auch ruhig einmal wunde Punkte ansprechen, ohne daß der andere gleich beleidigt das Gesicht verzieht. Eher reagiert er mit einem kleinen Scherz und am besten gleich mit einer Gegenparade, so daß der Pfeil direkt wieder zurückgeflogen kommt.

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Jetzt, an diesem Sonntag Abend, bin ich müde. Gerade nach der gestrigen Feier fühlt man sich mit einer Familie ja doch wie durch den Fleischwolf gezogen. Da gibt es kein Ausruhen nach einer Party, sondern da muß wie jeden Tag Programm gemacht werden, wenn man nicht an herumtobenden Kindern seine Nerven lassen will.

Ich habe mir noch das Buch "Minimum" besorgt und gerade zur Hälfte gelesen. Nach den vielen Vorschußlorbeeren kann ich wohl nur von einer Enttäuschung sprechen. Natürlich, ich hatte im Grunde nicht erwartet, daß der Herausgeber einer der größten überregionalen Tageszeitungen auch nur ansatzweise auch mal sich selbst beleuchtet, anstatt immer nur intellektuell - wenn vielleicht auch in unterhaltsamer Weise - über "die Gesellschaft" und deren Zukunft zu reüssieren.

Dennoch hatte ich mir mehr von diesem Buch versprochen, da ich es vom Ansatz her ganz interessant fand. Jedoch, wenn man es gewohnt ist Texte zu lesen, in denen Menschen auf sich selbst fokussieren und da kompromisslos ehrlich sind, kommen einem diese typisch intellektuellen Aneinanderreihungen von Studien, Experten"statements" und historischen Analoga, jeweils artistisch mit der eigenen Argumentationslinie verwoben - nur noch abgeschmackt und gekünstelt vor.

Interessant: ich las über F.S., der ja mit dem Buch einen großen Wurf "pro familia" wagt, selbst einen Sohn hat, jedoch von der Mutter getrennt lebt. Was mag er da über "Familie" erzählen können, außer, was er halt darüber denkt oder gelesen bzw. als Kind vielleicht erfahren hat? Mich hätte das eigentlich viel mehr interessiert. Denn wer weiß schon, ob das in dem Buch angeführte Drama der Siedler am Donnerpass, bei dem die einst so starken und mutigen Einzelgänger früher starben als Menschen mit Familienverband, wirklich so viel mit unserer Gesellschaft zu tun hat, daß sich daraus ernsthafte Schlüsse ziehen lassen. Was kann man denn überhaupt wissen, außer das, was man aus eigener Erfahrung und eigenem Erleben weiß und was in das eigene Fleisch und Blut übergegangen ist?

Michael

Kommentare

10:11 24.03.2006
Und wie passend:

Die Mär von der weltweit niedrigsten Geburtenrate

Grüße,
Michael
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17:41 23.03.2006
RAL*FFFF*, meinte ich natürlich!!
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17:40 23.03.2006
Hallo Ralph,

ja, sehr gut, danke für die Links. Ich habe das Buch jetzt durch, hab mir den Rest halt auch noch angetan. Mich würde bei dieser Donnerpass-Geschichte ja noch interessieren, woran die starken Männer wohl gestorben sind.

Sie werden doch wohl nicht so sozial gewesen sein und sich per Holzhacken und diverser anderer schwerer Tätigkeiten für die Frauen und Kinder aufgeopfert haben? Oder woher kommt dieses "Frauen und Kinder zuerst"?

Grüße,
Michael
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unbekannt
16:14 23.03.2006
Hallo Michael,
die Ausführungen über Schirrmachers "Minimum"-Buch haben mich neugierig gemacht. Nicht auf das Buch, gewiss nicht! Aber auf einige Thesen, insbesondere die Geschichte mit dem Donnerpass.

Hier einige Links dazu:

Verwirrt am Donnerpass
http://www.taz.de/pt/2006/03/11/a0085.1/text

Das Drama am Donnerpass
http://www.abendblatt.de/daten/2006/03/18/544498.html

Garanten des Überlebens sind fast immer die Frauen
http://www.abendblatt.de/daten/2006/03/18/544497.html

Ich hatte ja auch schon einmal Schwierigkeiten mit einem Schirrmacher-Zitat.

Gruß
Ralf


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13:42 21.03.2006
Es geht sogar noch weiter. Heute las ich Passagen wie diese:

'Die mathematisch nicht quantifizierbare Liebe der Ehefrau und der Angehörigen hat in einer ausgedehnten israelischen Herzstudie an zehntausend städtischen Beamten gezeigt, dass dieses Gefühl bei Herzinfarkten zu schnellerer Heilung führt, während im umgekehrten Fall das Risiko der Wiedererkrankung drastisch steigt.' (S. 123)

Das könnte locker als 'Bushism' durchgehen. Inhaltlich ist es allerdings noch desaströser (Liebe = ein Gefühl?). Und so jemand steht an der Spitze des deutschen Journalismus.

Es gibt noch viele andere Passagen, bei denen einem die Kinnlade runterfällt, z. B.

'Arbeit, die ja vorwiegend Arbeit des Gehirns ist'

oder folgendes unkommentiert erwähnte Zitat:

'Um die Produktion von Kindern sicherzustellen', so Franz-Xaver Kaufmann, 'muss ein schrumpfender Anteil Frauen immer mehr und mehr Geburten berkstelligen.' (auch auf S. 123)

Ich hätte zu dem Begriff der 'Kinderproduktion' schon noch etwas zu sagen gehabt, Herr Schirrmacher offenbar nicht.

Dann zwischendurch die Erwähnung von Artikeln, die 'soeben' erschienen wären (das Buch wurde also wohl nicht für die Ewigkeit geschrieben).

Aber vielleicht ist das Schlechteste an diesem Buch auch, daß diesem Mann die Buchseiten nicht einmal zu schade dafür waren, ausgiebig über die Folgeerscheinungen von 'soap-operas' auf die westliche und sogar ausgewählte Teile der brasilianischen Bevölkerung einzugehen. (Motto: Gott sei Dank gibt es ja auch noch gute Medienprodukte, nichtzuletzt die FAZ, alles wird gut).

Auch wenn meine Erwartungen wirklich nicht hoch waren - zumindest aber wollte ich handfeste und kritische Information

(ich bezweilfe stark den ganzen Statistikkrams, den er anführt, auch fällt er auf die längst aufgeflogene Mär der Akademikerinnen-Kinderlosigkeit herein, so etwas kann gar nicht gemessen werden, längst schon von den Betroffenen eingeräumt)

und vielleicht auch die Historie dieses immer wieder angeführten Falles 'Donner-Pass'. Und wenn das nicht klappt, dann bitte wenigstens eine spannende, anregende Lektüre. Jedoch: alles das unterbietet dieses Buch spielend. Aber vielleicht brauchte ich noch einmal so ein schlechtes Buch, um mich von den Zeitgeistjournalisten und -autoren lösen zu können.

Grüße,
Michael
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12:10 21.03.2006
bin ganz deiner meinung zu dem buch - zumal er, wie du sagst,
sich selber ja gar nicht involviert. es ging wohl hauptsächlich
darum, nach dem erfolg seines letzten buches ein "neues fass
aufzumachen"...
fragwürdig auch die "fallschilderung" - ob da nicht sowas einfaches wie verwechselung ursache & wirkung vorliegt ?
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