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Tagebuch MI
2005-08-23 20:46
Kindliche Konditionierung(en)
Chorwochenende. Kirchenchor, evangelisch. Ich sitze mit den dazu angereisten Chormitgliedern am Lagerfeuer und wir singen Lieder (ich fand das sehr schön). Meine beiden Söhne (5 J. und 8 J.) habe ich auch mitgenommen. Mein ältester Sohn hat dann auch gesanglich zu diesem Abend beigetragen, was mich erfreut hat und wodurch sich in mir Stolz-Gefühle ausbreiteten. Kinder sind viel Arbeit, und die Erziehung auch. Und wenn Kinder dann schon mal in Gesellschaft sind, dann soll sich das doch auch irgendwie bemerkbar machen, daß man es gut gemacht hat.

Ein paar Witze wußte er auch zu erzählen. Und ich habe mich immer schön zurückgehalten, wollte ihn weder zu irgendetwas drängeln, noch ihn von irgendetwas abhalten, wenn ich auch in gewisser Weise wachsam war, daß er es nicht zu toll treibt. Die Sympatien der Menschen können schließlich genau so schnell verloren gehen, wie sie gewonnen sind. Also nur nichts übertreiben.

Da gibt es die berühmten "Die-letzten-Worte"-Witze. Doch, etwas habe ich mich da eingemischt. Ich sagte zu ihm, wenn er damit anfangen wolle, wäre es gut, wenn er nicht nur einen Witz kenne, sondern vielleicht ein paar (wer "A" sagt, muß doch auch ein "B" parat haben). Also riefen wir schnell in Erinnerung, welche Witze dieser Art wir so kannten.

Da ist der Sportlehrer. Sein letzten Worte sind: "Alle Speere zu mir!" Oder der Bombenentschärfer: "Hm, das rote oder das blaue Kabel?" und der Pilot: "Schlechte Sicht heute". Die hat er dann auch schön runtergerasselt und ich dachte sofort, ich solle doch einfach meine Klappe halten und wenn der Junge halt nur einen erzählt und ihm dann kein weiterer einfällt, dann ist das halt so. Und wenn er zehn erzählt und mehr, als es den Erwachsenen lieb ist, dann ist das eben auch so. Also, Klappe halten und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. - Schließlich wußte auch noch eine Mitsängerin die letzten Worte des Beifahrers: "Rechts ist frei". Na bitte, klappt doch.

Dann - woher eigentlich? - kam die Runde auf die "Hattu-Möhrchen"-Witze. "Ach, gibt es die immer noch unter den Kindern?", fragte ganz begeistert ein etwas älteres Chormitglied. Und da sagte ich zu meinem Sohn, er kenne doch welche, ob er nicht welche erzählen wolle (schon wieder eingemischt). Klar könne er das, aber die wären etwas brutal.

Brutale "Hattu-Möhrchen"-Witze? Wieso brutal? "Na ja", fängt mein Sohn laut an zu berichten, "der sagt halt so was wie "Ich schlag dich wie Jesus ans Kreuz, wenn Du nochmal "Hattu Möhrchen?" fragst" und "Beim nächsten Mal schlage ich dir die Zähne aus" und dann fragt das Häschen am Ende "Hattu Möhrchensaft?" "

Da war ein Moment Stille in der Runde. Es war fast schon wieder absurd. Und ich wußte auch nicht, was ich dazu hätte sagen sollen. Ich war nur zusammengezuckt, mein ganzer kindlich verinnerlichter Katholizismus brach in mir aus, anerzogene Verhaltensweisen überfielen mich, Vorstellungen darüber, was man in religiösen Kreisen sagen darf - und was nicht, liefen kreuz und quer durch meinen Kopf und ich dachte mir, nichts könne jetzt falscher sein, als meinen ersten Impulsen zu glauben und zu folgen.

Ich habe ihm dennoch, nachdem der "Ausrutscher" verdaut war, gesagt, daß er ja nicht unbedingt alles erzählen müsse, was er so auf Lager hat. Aber, so mein Sohn, er hätte doch nur auf die Frage geantwortet, wieso die "Hattu-Möhrchen"-Witze brutal wären. Da sagte ich ihm, daß das ja gut sei, wenn er das weiß, daß aber die Antwort nicht unbedingt so ausführlich hätte geschehen müssen und daß man manche Sachen, die man weiß, auch für sich behalten kann.

Und ich kam mir wie ein spießiger Erwachsener vor, der sein Kind auf eine Welt trimmt, in der man lernen muß, daß man nicht so einfach alles sagen darf, was man denkt und weiß.

Michael

Kommentare


unbekannt
12:23 30.08.2005
Du hast einen klugen Sohn - jedenfalls für sein Alter - und ich hoffe, dass er sich von nichts und niemenden "verbiegen" lässt!
LG


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19:53 25.08.2005
Nein, das stimmt auch nicht ganz, daß ich über den "Jesus-Frosch" gelacht hätte. Ich meine, zwar schon, ist einfach zu skuril so eine Idee. Andererseits denke ich dann halt auch daran, daß es diesem Mann ja wohl tatsächlich passiert ist, und das ist dann nicht lustig.
Ich glaube, die Kirchen mit ihrem Ernst bringen das mit sich. Ein Kirchengespräch findet ja erst auf der Ebene "Es gibt Gott" statt, nicht davor. Also reagieren die Kinder mit Lustigmachung.
Mein Sohn sagt jetzt schon völlig überzeugt, daß es diesen "Gott" doch sowieso nicht gibt. Der läßt sich da nichts einreden. Erst kam er hinter den Osterhasen, dann fiel der Weihnachtsmann, und schließlich mußte auch "der Gott" dran glauben.
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17:31 25.08.2005
Also, bevor das hier jetzt *allzu* ernst wird: als ich das erlebt habe, da mußte ich natürlich auch lachen, jedenfalls so in mich hinein. Und als ich das hier geschrieben habe, da mußte ich auch andauernd lachen. Und ich bin froh, daß Pandora da auch drüber lachen konnte. Denn die ganze Geschichte ist einfach saukomisch!

Die Jungs haben auch schon mal in der Küche einen Stoffrosch an die Wand gehalten, mit den Armen weggestreckt, und den dann "Jesus-Frosch" genannt. Da lachst Du dich erst mal ab. Nur wenn daß dann im Kirchenchor passiert, da ist es im Moment doch was anderes. Aber es ist eben nicht der Chor, sondern nur der ganze Krams, den man - den ich dareindenke!

Tja, und ich hab hier einiges vom Leder gezogen, von wegen Kinder und nicht Kinder. Ich weiß nicht, wie sich das als "Kinderlose" ließt. Es ist halt ein Tagebuch und das sind meine Gedanken, vielleicht auch an manchen Stellen selbstgerecht. Ich weiß nicht. Jedenfalls ihr lest es dennoch als "Kinderlose", da bin ich dankbar dafür.

Grüße,
Michael
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16:07 25.08.2005
Also, wenn du bei mir irgendwo in der Runde gesessen hättest und dein Sohn die Story zum Besten gebracht hätte, hätte ich mich wahrscheinlich vor Lachen nicht mehr halten können. Mir fällt es jetzt schon arg schwer. Na ja, vielleicht ist das in einer religiösen Runde ja anders. Aber auch das sind nur Menschen, vielleicht sogar mit einem Sinn für Humor.
Schließlich ist er erst acht Jahre alt. Da kann man das noch nicht böse nehmen.
Ist doch schön, dass dein Sohn so ehrlich ist.

Lieben Gruß
auch von einer kinderlosen
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19:20 24.08.2005
Hi Ralvieh!

Tja, das ist ja genau das, was ich mich auch in dem Moment gefragt habe. Warum halte ich nicht die Klappe und sage einfach gar nichts? Das war so eine Situation, die mir zeigt, daß ich trotz aller guten Vorsätze doch in diesem "Elternsumpf" stecke. Ich versuche es besser zu machen, als meine eigenen, logisch. Mein Kind soll keine Angst davor haben, frei zu sagen, was es denkt. Aber wenn es dann so richtig drauf ankommt, dann überfallen mich doch die alten Sachen. Das geht so schnell, so schnell kann ich gar nicht gucken.

Grüße ins Hochwasserland, und so ein Elternbesuch ist ja auch immer was "Bewegendes".
Michael
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unbekannt
11:26 24.08.2005
Nochmal ich.

Warum hast Du Deinem Sohn eigentlich gesagt, was er hätte anders machen sollen bzw. was er so nicht hätte machen sollen?
Warum hast Du ihm nicht erzählt, was seine Worte in Dir ausgelöst haben?

Gruß
Ralf,
ein Kind, das gerade den Besuch seiner Eltern verarbeitet


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unbekannt
11:23 24.08.2005
Häschen arbeitet in der Bank am Schalter.
Häschen: "Hattu Vollmacht?"
Kunde: "Ja, sicher."
Häschen: "Muttu Hose wechseln."

Mein Lieblings-Häschen-Witz.

Ich frage mich die ganze Zeit, was Dein Sohn hätte anders machen sollen. Bzw., was er eigentlich falsch gemacht hat.
Und mir fällt nichts ein.

Gruß eines Kinderlosen
Ralf


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2005-08-23 20:46