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Tagebuch MI
2005-05-17 09:35
Glaube, Liebe, Hoffnung
Es ist schon ein Fehler, überhaupt nur an etwas zu glauben. Glauben, das beinhaltet IMMER irgendetwas, das mit dem Hier und Jetzt nicht das geringste zu tun hat. Glauben, damit verschiebe ich die Dinge, die eigentlich JETZT angesagt sind, auf eine Zukunft, die eben Zukunft ist, und daher nie jetzt sein kann, daher NIE sein kann.

Was soll das denn? Ich glaube an Gott? Was heißt das? Oder was heißt: ich glaube nicht an Gott? Was heißt das, Agnostiker zu sein, jemand der nicht glaubt? Als wenn es keine Alternative geben würde zwischen glauben und nicht glauben. "Woran glaubt, wer nicht glaubt?", so heißt ein Gespräch zwischen Carlo Maria Martini und Umberto Eco. Habe ich vor Jahren mal mit Interesse gelesen.

Schließlich war ich ja "vom Glauben abgefallen", wie das so schön heißt. Aber heißt das nun, daß ich jetzt "nicht glaube"? Nein, heißt es überhaupt nicht. Glaube gibt es für mich weder in seiner "Ich glaube"-Form, noch in seiner "Ich glaube nicht"-Form. Weder glaube ich, noch glaube ich nicht. Es ist so ein Unsinn, die Welt in Gläubige und Ungläubige einteilen zu wollen.

Glaube kann sich nur auf etwas beziehen, das jetzt nicht ist. Wie lange bleibt dann ein Glaubender ein Glaubender? Solange, bis sich der Glaube erfüllt? Und dann, ist er dann auch ein Ungläubiger? Wieso eigentlich "Ungläubiger"? Müßte es nicht "Unglaubender" heißen oder Nicht-Glaubender? Es heißt doch auch nicht "Gläubiger", bzw. ein Gläubiger ist ja wohl etwas ganz anderes als ein Glaubender.

Aber vielleicht ja auch nicht. Ist es nicht so, daß ein Glaubender auch ein Gläubiger ist? Also jemand, der irgendwo in der Zukunft eine Schuld einlösen will? Der etwas haben will, das vermeintlich ihm zusteht? Er hat etwas verliehen, und das will er irgendwann wieder zurückhaben. Und was hat der Glaubende, der Gläubiger, verliehen? Seine Erdenzeit. Sein Jetzt!

Er gibt seine Erdenzeit ab, er verzichtet darauf, jetzt schon im Paradies zu sein, dafür glaubt er an (und erwartet er) das Paradies nach seinem Tode. Ein dummes Geschäft. Das kann ja gar nicht funktionieren.
Und wer ist der Schuldner? Natürlich Gott. Gott schuldet seinen Gläubigern (das sind die Glaubenden) das Paradies, das ewige Leben. Tatsächlich, es steckt nur ein Kuhhandel hinter all dem Glauben, es ist nichts als ein Kuhhandel.

Ich glaube nicht, ich glaube aber auch nicht nicht. Glaube interessiert mich nicht. Glaube ist immer nur Vertröstung, nichts anderes. Und an dieser Vertröstung hängen parasitär wiederum alle möglichen Menschen, die den Glauben unterstützen und ihn mehren. Sie betrügen die Menschen, wenn und weil sie das Paradies und das ewige Leben auf die Zukunft verschieben (und das sind nicht nur Kirchenleute, sondern ALLE, die JETZT Opfer verlangen, damit es SPÄTER schön ist).

Hier und jetzt ist das alles: ewiges Leben, Paradies, Vollkommenheit, Einheit, Einssein, Wiedervereinigung, Himmelfahrt, Auferstehung. Das beschreibt alles immer nur wieder das gleiche: alles, was ich suche, ist hier und jetzt da. Und nirgendwo anders. Hier und jetzt hört alles suchen auf. Und alles glauben.

Wenn ich hier und jetzt doch alles habe, was und woran soll ich denn dann noch glauben? Das macht überhaupt keinen Sinn. Sehr tückisch das ganze mal wieder. Glauben als Instrument der Ablenkung vom Hier und Jetzt. Und warum soll niemand hier und jetzt sein? Weil er nur hier und jetzt seine Vollkommenheit sieht und hier und jetzt dadurch völlig unberechenbar wird (zumindest für die, die ihn davon abhalten wollen). Hier und jetzt braucht er nichts mehr, er ist hier und jetzt völlig immun gegen jede Art von Bedürfniserzeugung.

Hier und jetzt wird er erkennen, was für ein Unsinn das alles ist, was sich um ihn ausgebreitet hat. Er wird nicht verstehen, warum er an etwas glauben soll. Warum er etwas suchen soll. Warum er andauernd an seine Zukunft denken soll (was ist das: Zukunft? Wo ist sie? Ich sehe sie nicht). Warum die Wirtschaft wachsen muß (Wohin?). Was das ewige Leben sein soll (Was ist denn hier nicht ewig?). Was Liebe sein soll (Ist etwas nicht Liebe?). Was an ihm verkehrt sein soll (Wer ist das: ihm?).

Er wird das alles nicht wissen, und sich daher auch nichts einreden lassen, das er tun oder lassen soll. Er handelt seiner Natur entsprechend. Und seine Natur braucht keine zehn Gebote und keine Gesetzesparagrafen. Er weiß und erfährt unmittelbar, daß alles, was er tut, er sich selbst tut. Braucht er da noch Richtlinien? Braucht er da noch einen Verstand, um "gut" und "schlecht" voneinander zu unterscheiden? Braucht er da "1000 ganz legale Steuertricks"? Braucht er die Bibel, den Koran, die Kabbala? Braucht er da noch Glaube, Hoffnung, Liebe, Vergebung, Absolution, Erlösung usw. usf.?

Er braucht das alles nicht. Er braucht das alles nur, wenn und weil er nicht hier und jetzt ist. Nur dann braucht er es. Denn WEIL er NICHT hier und jetzt ist, fehlt ihm etwas, nämlich er selbst. Und dann erst muß er an etwas glauben, dann erst braucht er Glaube, Hoffnung, Liebe, Vergebung, Absolution, Erlösung. Dann erst braucht er einen Erlöser. Als Ersatz für ihn selbst.

Aber was er eigentlich braucht, ist ein Wecker!

MI


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Kommentare

09:40 20.05.2005
glauben heißt nicht wissen wollen was war ist.

grüßle
atropos
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unbekannt
18:55 18.05.2005
Deine Gedanken sind echt klasse...
Glaube ist für mich Vertrauen auf das eigene Leistungsvermögen...


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10:35 17.05.2005
DANKE!! Tut mir gut!
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unbekannt
10:20 17.05.2005
Ist wirklich ein Genuss zu lesen!

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2005-05-17 09:35