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Tagebuch MI
2006-05-04 09:52
Eindrücke zum Prometheus (4)
Es gibt neben der schon erwähnten Stelle im "Prometheus" weitere Textstellen, die mir ein Gefühl vermitteln, als würde sich da gerade ein Tür öffnen. Ich wußte, was sich hinter dieser Tür verbirgt, habe sie aber geschlossen, weil das, was ich wußte, was dahinter sein würde, etwas "Verbotenes" an sich hatte.

Das durfte nicht gedacht werden, das gehört ins Land der Phantastereien.

(Hinweis: es geht hier nicht um eine Buchrezension, sondern nur darum, daß ich meine Eindrücke schildere. Das Buch "aus einer anderen Welt" löst viel in mir aus, das halte ich hier fest).

Damit meine ich jetzt gar nicht - wie man vielleicht argwöhnen könnte - so eine Art sexuelle Befreiung in dem Sinne: endlich spricht es mal jemand aus, endlich sagt es mal einer, was für eine, ja, Scheiße, das alles ist.

Wobei, auch das, auch das! Als Beispiel der Lehrer, der seinen Schülern sexuellen Austausch ermöglicht, damit sie sich gegenseitig dabei unterstützen, ganz Mensch zu werden.

Mainzer schafft es, die Sexualität ganz frei und nüchtern und gelöst von all dem Popanz zu beschreiben, der darum gewachsen ist. Sexualität in unserer Gesellschaft, das gibt es ja gar nicht. Die ganze sexuelle "Revolution" der 68er war völlig für die Katz, und ich vermute sie war in ihrem Ansatz schon komplett falsch, denn sonst hätte sie ja was bewirkt - oder doch zumindest: verhindert.

-

Ich mußte an der Stelle, als dieser Lehrer, der nicht nur aufklärend wirken wollte, sondern vor allem praktisch, vor Gericht stand und abgeurteilt wurde, ein paar mal tief durchatmen. Natürlich, die Beschreibung dieses Schauprozesses war in gewisser Weise einseitig und "zurechtgeschrieben", wenn man so möchte, schwarz und weiß standen sich da gegenüber.

Nur: ist das heute und in der Realität denn wirklich anders? Man muß nur mal Berichte lesen, wie Frauen oder Männer, die sich an Minderjährigen "vergreifen", geradezu wie Hexen und Ketzer verfolgt und bestraft werden. Dabei findet da einfach nur eine extrem starke - sicher ungewöhnliche - Anziehung zweier Körper statt. Erst der ganze Popanz, der darum gemacht wird, vergiftet doch die Leute und die jungen Erwachsenen.

Gott, wenn ich da mal an meine eigene völlig verkorkste Pubertät denke. Was hätte ich dafür gegeben, wenn es so etwas wie eine "Einweihung" in das Thema "Sex" gegeben hätte. Aber man stand alleine damit, schämte sich für manchen selbst herbeigeführten Erguß und mußte notfalls sein wachsendes Glied verstecken, weil das ja etwas "Komisches" war, worüber irgendwie keiner spricht, was aber trotzdem geschieht.

Vielleicht ist das heute auch schon etwas besser, und es gibt bestimmt Elternhäuser, in denen mit dem Thema "Sex" sehr bewußt umgegangen wird. Aber mein Eindruck in der Breite ist der, daß zum Thema "Sex" in vorderster Linie der Arztbesuch steht, damit ja nicht etwas Ungewolltes geschieht. Und ansonsten sind die Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern bis zu der Pubertätszeit sowieso schon so brüchig, daß einem Pubertierendem möglicherweise kaum etwas Schlimmeres passieren kann, als daß seine Eltern mit ihm/ihr über Sex sprechen möchten.

Und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Und daß es sich bei Sex um etwas Heiliges handelt, um etwas, das keineswegs nur auf genau diese zwei Körper beschränkt ist, sondern etwas, das mehr ist wie ein Schmetterling, zart, zerbrechlich, scheu, der sich mal hier, mal dort niederläßt, das geht alles unter und so wächst die nächste verkorkste Generation heran. Verdorben von dem ganzen Schund, der ihr tagtäglich präsentiert wird, und dem sie nicht einmal dadurch entfliehen kann, in dem sie den Fernseher ausläßt.

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Aber es geht nicht nur um dieses "Verbotene". Das Wort trifft es auch nicht ganz. Eher das Beiseitegeschobene, das Aufgegebene. Plötzlich lugt es mich an, bringt etwas in mir zum Schwingen, verschafft mir sogar in mancherlei Hinsicht eine Genugtuung und so manches Aha-Erlebnis.

Ich mochte zum Beispiel auch besonders gerne die Stelle, wo Jude auf Jude traf und der eine vom anderen Unterstützung einfordern wollte: in Klammern wurde da eben auch gesagt, daß wer in einer Diaspora und praktisch nur von Feinden umgeben wäre, sich auch gegenseitig helfen und unterstützen müsse, dies am besten in Form von Organisationen.

Doch zur völligen Überraschung reagierte der Jude Brand lapidar:

"Keine Or-ga-ni-sa-tio-nen".

Er sei nicht an Menschen interessiert, die sich organisierten, sondern nur an denen, die den Titel "Mensch" auch wirklich verdienten. Und das wären vielleicht zwei von tausend. Egal ob Jude, Christ, Moslem oder Hindu (letzteres von mir hinzugefügt, kenne die Stelle nicht auswendig).

Tja, was für ein revolutionärer Gedanke! Keine Organisationen bitte. Vielleicht sind ja Organisationen schon der Anfang vom Ende des ganzen Menschen. Vielleicht ist das ja schon die erste gesellschaftliche Aufrüstung, die andere Menschen zu einer Gegenrüstung nötigt. Wenn andere sich organisieren, dann tue ich das doch besser auch, dann bin ich auch "schlagkräftig".

Am Ende gibt es dann nur noch Organisationen mit Vorständen und Mitgliedern, aber es gibt keine Menschen mehr.

Man könnte da auch ruhig sagen, wer Frieden will und Menschlichkeit, wer Abrüstung will und die weltweite Vernichtung der Atomwaffen, der sollte es konsequenterweise dann auch vermeiden, eine Organisation zu gründen oder sich einer anzuschließen (ich spreche von Organisationen und Interessenverbünden, nicht von vereins- oder schulähnlichen Strukturen. In praktischen Dingen kann es natürlich sinnvoll sein, sich zusammenzutun. Es darf dann nur nicht darum gehen, so eine Art Front gegen imaginäre "Feinde" zu bilden).

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"Feinde", wo ich schon dabei bin. Eine andere Stelle, die ich sehr erhellend fand: "Feinde macht man sich nicht, Feinde hat man".

Volltreffer, sehr gut ausgedrückt. Nur bin ich da auch immer drauf reingefallen. Wenn ich mal auf mein bisheriges Leben zurückblicke, dann war es zu keinem geringen Prozentsatz von der Angst geprägt, daß ich mir mit irgendeiner Handlung Feinde machen könnte (hier fällt mir sogar besonders mein Vater ein). Damit kann man sich das Leben schön zur Hölle machen.

Tatsächlich ist es aber so, daß diese "Feinde" schon immer da waren und sind. Sie kommen nur aus ihren Löchern, wenn sie sich auf irgendeine Art und Weise von mir angegriffen fühlen. Und das lustigste ist, daß es gar nicht an mir liegt, sondern daß diese "Feinde" es selbst bestimmen, wann sie sich angegriffen fühlen, ich kann da machen was ich will.

Das Leben ist in diesem Sinne wie ein Schachspiel. Tut man einen Zug, kommt man unweigerlich jemand anderes näher oder gar ZU nahe. Es liegt jetzt an ihm/ihr, ob das als feindlich oder als neutral-unabsichtlich oder vielleicht sogar als sympatisch empfunden wird. Und selbstverständlich an mir, ob ich eine Reaktion überhaupt als "feindlich" empfinde. Auf persönlicher Basis mag das gehen, auf Bewußtseinsbasis ist es unmöglich, Feinde zu haben.

Es erleichert mir das Ziehen (und wer leben will, der muß nun einmal ziehen), wenn ich weiß, daß ich mir mit meinen Zügen niemals Feinde mache, sondern daß sie sich dadurch bestenfalls zeigen.

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Und selbstverständlich habe ich die Szene in dem Buch genossen, als die typisch männliche Borniertheit und das Besitzanspruchsdenken gegenüber Frauen (und wohl dem Leben ganz allgemein) an der Figur des Borgseel auseinander genommen wurde.

Ja, ich muß es ehrlich sagen: das hätte ich meinem Vater einmal gegönnt (und zwar im positiven Sinne). Da wäre er wenigstens einmal in seinem Leben zur Ehrlichkeit gezwungen worden. Ich habe schon viele Tränen an ihm gesehen, aber noch nie diese, die Borgseel an dieser Stelle der vollkommen Demütigung weinte.

Michael

Kommentare

06:50 11.05.2006
Es heißt einfach nur 'Prometheus' und ist geschrieben von Otto Mainzer. Gruß, Michael
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23:28 10.05.2006
warte mal, warte mal: um welches buch handelt es sich hier genau? habe das nicht ganz mitbekommen. weil, das buch, welches mich am meisten bewegt hat, ist nämlich auch eins mit dem wort "prometheus" im titel
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19:22 04.05.2006
Ich hatte auch die ganze Zeit schon so ein komisches Gefühl, daß ich hier zu einseitig war... Über meine eigenen Erfahrungen in Sachen und Frau und Besitzstanddenken habe ich ja berichtet. Du hast ganz recht, da tut sich nicht viel. Grüße, Michael
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unbekannt
19:10 04.05.2006
"..Besitzanspruchsdenken gegenüber Frauen..." .
Ha, Michael, die Frauen sind ja genau die, die am stärksten an diesem Weltbild festhalten. Sie verteidigen es, als gelte es ihr Leben - denn sie halten dieses Anspruchsdenken genauso aufrecht, wie die Männer. Vielleicht sogar noch mehr. Nein, beide Geschlechter sind hier glaichstark involviert - wäre es nicht so, die Frauen hätten längst einen Weg gefunden sich zu befreien. Keiner will sich befreien - Freiheit - ja Freiheit, das ist ihr größter Feind. Stell dir doch nur vor, was da alles passieren könnte, wenn die Menschen frei wären, zu tun und zu lassen, was immer sie wollen. OhGottohGott - Fuuuurchtbaaaar! Chaos hoch drei...

lieben Gruß
Dieter


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