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2006- 02- 15 16: 44 Der Verkauf von Schwächen
Es ist wieder soweit, daß ich das Telefon abstöpseln muß, damit ich in Ruhe und konzentriert meine Arbeit erledigen kann. Mich begleitet bei meiner Arbeit eigentlich dauerhaft Gefühle, daß ich nicht schnell genug arbeite, also nicht effektiv bin. Dann bin ich wieder nicht sorgfältig genug, was ich an vielen Details erkennen kann. Was mich wieder dazu veranlaßt, langsamer zu arbeiten. Unter dem Strich bleiben dann Tage stehen, die zwar von oben bis unten ausgefüllt sind, mich jedoch mit einem unbefriedigenden Gefühl hinterlassen.
Parallel beschäftige ich mich weiter mit Bewerbungsstrategien. In einem Online-Test über das richtige Aufsetzen von Bewerbungsschreiben und den Auftritt bei einem Bewerbungsgespräch habe ich überraschend schlecht abgeschnitten, nur jeweils 15 von 25 erreichbaren Punkten. Dabei hatte ich gedacht, das ABC des erfolgreichen Bewerbens einigermaßen verstanden zu haben und umsetzen zu können.
Aber ich mache immer noch diese Anfängerfehler, ich bin immer noch bereit, nur allzu ehrlich auf Fragen zu antworten. Zum Beispiel wurde gefragt, wie ich reagieren solle, wenn ich nach meinen größten Schwächen gefragt werde. Soll ich ehrlich antworten, oder soll ich zwar überzeugend, aber dennoch verbergend antworten?
Erst dachte ich, es sei richtig, zwar seine Schwächen anzuspielen, sie aber dennoch nicht explizit beim Namen zu nennen. Dann dachte ich um und habe mich für "Ich antworte ehrlich" entschlossen. Das war falsch. Richtig ist es, irgendetwas überzeugend vorzugeben, seine eigentlichen Schwächen aber zu verbergen.
Alle anderen Fallstricke bei Bewerbungen laufen nach dem gleichen Strickmuster. Es ist schon merkwürdig, aber es ist einfach nicht meine Sache, etwas von mir zu verheimlichen oder zu umspielen. Natürlich wird auch nicht empfohlen, allzusehr in eine Show abzugleiten, das merkt ja sowieso jeder sofort. Aber eben auch nicht gleich mit den ganzen Wahrheit herauszurücken.
Meine größte Schwäche ist wohl, daß ich mich ab einem gewissen Punkt unbedingt ablenken muß. Ich kann nicht verstehen, wie Menschen von früh bis spät dienstbeflissen ihrer Arbeit nachgehen können. Ich muß zwischendurch, ganz plötzlich oder auch durch ein Gefühl des Unbehagens vorangekündigt unbedingt etwas ganz anderes machen, etwas "arbeitfremdes", sozusagen: meine Zeit "verschwenden" und einfach "nichts" tun. Zum Beispiel Tagebucheinträge verfassen. Wie wenn ich damit etwas am Leben erhalten wollte.
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Es ist klar, daß auch selbst ich so etwas in einem Vorstellungsgespräch nicht sagen würde. Aber mir fällt da etwas anderes ein, was tatsächlich eine sehr, sehr große Schwäche von mir ist, die ich bei so einer Gelegenheit wahrscheinlich auch nicht sagen darf: ich kann nicht lügen. Das ist tatsächlich so. Ich kann einfach nicht lügen. Vielleicht mal eine Notlüge, die mir so rausrutscht, und die vielleicht wirklich insgesamt gesehen für alle Beteiligten das Beste ist.
Aber allgemein betrachtet ist es mir unmöglich, irgendwelche falschen Tatsachen - absichtlich, das füge ich sicherheitshalber hinzu - vorzuspielen. Ich habe da auch gar kein Interesse daran. Was soll das denn bringen? Ich glaube, wenn es jeder einfach nur bei der ganz einfachen Wahrheit belassen würde, egal wie sie gerade ausfallen mag, dann wäre auch so eine hochgezüchtete und doch wohl hysterisch anmutende Gesellschaft mit all ihren Verstellungen und Vorspielungen unnötig.
Tatsächlich ist ein Leben, bei dem man die Wahrheit nicht verstecken muß, sehr einfach. Es gibt dann gar nichts mehr zu tun. Tun, das ist immer etwas für Lügner. Lügner sind besonders aktiv, in jeder Hinsicht. Lügen ist wie ein Dammbau gegen Hochwasser. Und in fast allen Fällen genau so aussichtslos, und in ALLEN Fällen langfristig aussichtslos und vertane Zeit und vergeudete und Energie.
Ich war jedenfalls etwas von mir enttäuscht, anscheinend mache ich hinsichtlich Bewerbungsstrategien keine sonderlichen Fortschritte. Wobei ich schon glaube, die Tendenz zu haben, mich eher unter- als überzubelichten. Das mag naturgegeben sein oder anerzogen, bzw. das ungezwungene Darstellen meiner selbst wurde mir aberzogen. Vielleicht trifft es das eher.
In meiner ersten weggeschickten Bewerbung habe ich im Nachhinein noch zwei Fehler gefunden, wobei man die nicht unbedingt bemerken muß. Es hat mich aber sehr geärgert. Zu allem Überfluss überkamen mich plötzlich Zweifel, ob ich meinem ersten Bewerbungsschreiben eine Kopie meiner Promotionsurkunde beigelegt habe, obwohl ich doch zum Abschluss alles nochmal genau durchgesehen habe.
Ich sehe an diesen Dingen, daß auch mir diese dummen, kleinen und großen Fehler passieren, von denen ich dachte, daß sie nur "die anderen" machen. Meine zweite Bewerbung war schon besser, auch mit akteullem Foto. So taste ich mich iterativ an die "perfekte Bewerbungsmappe" heran. Und wie interessant der Weg dorthin: ohne Fehler geht es wohl einfach nicht.
Und was ist jetzt mit meinen "Schwächen"? Wie soll ich sie "verkaufen"? Diese Fragen bleiben bestehen.
Michael
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