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Tagebuch MI
2008-06-20 20:41
Der Nachbar (2)
Die Sache mit meinem Nachbarn V. geht mir doch nahe. Ich schwanke zwischen dem Akzeptieren, durch meine Neurosen (ich habe definitiv welche) eine tolle Nachbarschaft zerstört zu haben und der Hoffnung, daß ich das alles (mal wieder) viel zu dramatisch sehe, daß alles halb so wild ist. Und: daß ich am besten nichts mehr dazu sage, es auslaufen lasse.

Auch V. tut in gewisser Weise so, als wäre nichts gewesen. Nun frage mich mich: ist es vielleicht wirklich so einfach? Man tut einfach so, als wäre nichts gewesen? Kann das klappen? War im Grunde wirklich nichts? Wenn sich beide darüber einig sind, daß "nichts war" na ja, dann ist es doch eigentlich das einfachste.

Ich weiß noch sehr gut, daß in meiner Familie früher praktisch alles bis zum Geht-nicht-mehr besprochen und analysiert worden ist. Vor allem ging es darum, Schuld festzulegen. Das ist am Ende zu einer regelrechten Manie geworden. Kaum saßen wir Geschwister zusammen, wurden alte Familiengeschichten rausgepackt und von Neuem besprochen. Das konnte stundenlang gehen. Wir müssen damals den anderen Gesprächsanwesenden genervt haben.

Kürzlich habe ich einen Brief von meiner Mutter erhalten, genauer gesagt, ein kopiertes Schreiben, das als Rundschreiben an alle ihre Kinder ging. Es waren Kopien von handschriftlichen Aufzeichnungen von vor etwa 4 Jahren. Sie mußte wohl ihre Seele erleichtern, oder irgendwie noch einmal etwas klarstellen, ich weiß es nicht. Er erschien aus heiterem Himmel.

Ich habe dann gemerkt, daß ich so etwas einfach nicht mehr kann. Ich habe keine Energie mehr für die Vergangenheit und auch nicht für Rundbriefe. Ich habe keine Lust mehr, in kalten Suppen nach irgendwelchen Sachen zu stochern, so, als wäre dort tatsächlich - nach all dem vorangegangenen Gestocher - noch irgendetwas Neues zu finden.

Die Gegenwart verlangt meine volle Aufmerksamkeit, für die Vergangenheit habe ich eine Kiste. Da stecken ein paar Jugenderinnerungen drin. Und da habe ich die Kopien, die mir meine Mutter zugeschickt hat, reingelegt, ohne sie gelesen zu haben. Auch als wir gestern nach langer Pause wieder telefonierten, habe ich die Kopien nicht angesprochen, und sie tat es auch nicht.

Also: es geht. Man kann es einfach sein lassen, muß es manchmal sogar. Man muß nicht alles ausdiskutieren. Manche Sachen, oder die meisten, oder vielleicht ALLE, kann man nur mit sich selbst ausmachen. Und hat man sie mit sich selbst ausgemacht, so ist man auch im Reinen mit seiner Umwelt. Dann wird auch nichts mehr fehlgedeutet. Eine Unfreundlichkeit wird nicht mehr persönlich genommen, sondern liegt vielleicht nur an einer nervösen Gereiztheit meines Gegenüber.

Und eine Kritik wird nicht mehr sofort auf sich selbst bezogen, sondern sie steht erst einmal im Raume. Sollte es sich als wahr erweisen, wird es nicht schwer fallen, sie zu akzeptieren. Aber zunächst sollte man sich darüber sicher sein, daß man selbst überhaupt gemeint war, und nicht vielleicht ein anderer. So war ich z. B. in der Kritik, die zuletzt mein Kollege N. äußerste (s. letzter Eintrag), gar nicht gemeint, wie sich gestern herausstellte. Und ich hatte schon eine Wutmail formuliert!

Nun, ich hoffe, diese Nachbarschaft, die eine Freundschaft geworden ist, hält das aus. Und ich muß für mich lernen, daß ich sonntags nicht gut Besuch vertrage. Ich brauche sonntags Ruhe, weil eine Arbeitswoche auf mich wartet, die mir wenig Ruhe bietet. Daher bin ich sonntags ein anderer Mensch, als freitags oder samstags oder wochentags. Das ist einfach so.

MI

Kommentare

10:18 24.06.2008
Hallo lisarah, ein guter Kommentar. Einerseits sieht es doch so verlockend einfach aus, es sein zu lassen. Andererseits akkumuliert sich trotzdem etwas an, das man dann nicht wegdenken kann. Ich weiß aber auch aus Erfahrung, dass sich dieses Akkumulierte auch nicht wegreden läßt. Nach stundenlangem Reden landet man schließlich doch wieder am Ausgangspunkt. Also am Ende dann doch: stehen lassen. Gut ist es, wenn man sich darüber einigen kann und dann auch wieder miteinander kann - und will. Grüße, MI
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22:44 23.06.2008
Ich glaube, es ist tatsächlich genau so einfach, da war nichts. Wenn ich es anders sehen würde, dann hätte ich schon längst keine Partnerschaft mehr. Ich rege mich so oft auf über meinen Partner, ärgere mich schwarz und finde alles ganz furchtbar ( und es ist auch furchtbar in diesen Momenten) aber am nächsten Tag ist alles wie wegegwischt und ausradiert.

Wenn ich allerdings anfange, darüber nachzudenken, dann gibt es vielleicht doch eine Ebene, auf der sich das alles einprägt und abspeichert und dort auch irgendwie weiter wirkt, ohne dass man es zunächst merken würde. Was natürlich besonders in einer Partnerschaft bitter sein kann, weil man vom Partner in der Regel mehr will als vom Nachbarn.

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unbekannt
12:44 21.06.2008
Jetzt erst gefunden...
und ich bin sehr glücklich darüber: Dein Tagebuch :)! Schön, wieder bei dir lesen zu dürfen...
Viele liebe Grüße!


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2008-06-20 20:41