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Tagebuch MI
2005-12-15 17:23
Das Jahr geht zu Ende
Gegen Jahresende fängt es immer an bei mir zu kribbeln. Ich weiß genau, daß wenn ich im Januar nach den Weihnachtsferien wieder an meinen Arbeitsplatz komme, ich ganz bestimmte Dinge nicht mehr vorfinden bzw. erledigt haben will. Das sind diese Dinge, die ich immer vor mir hergeschoben habe, wo ich noch keine Entscheidung getroffen habe.

In den ersten Tagen der letzten Tage lähmt mich noch der Ausblick, all diese Dinge noch vor mir zu haben. Dann setzt ein Energieschub ein, wie wenn jemand eine Platte unter mir heizen würde. Ich komme in Wallung und fange an, die Sachen systematisch abzuarbeiten: Proben zu den Messgästen zurückschicken, Weihnachtskarten schreiben, Dateien bündeln und versenden, Ordnung in den Papierberg bringen, ein paar abschließende Gespräche führen.

Das muß sein, das fühlt sich gut an. Frühzeitig herangegangen, entsteht auch erst gar kein Jahresendstress. Die Weihnachtsgeschenke sind auch schon lange besorgt, das erledige ich meistens schon vor der Adventszeit.

Wenn das Berufliche geklärt ist, geht es ans Private. Da sind auch noch ein paar Briefe zuschreiben und Päckchen zu versenden. Nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus einer inneren Unruhe heraus, um etwas im Gleichgewicht zu halten.

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Meinem Vater will ich schreiben. Ich habe keinen Kontakt mehr mit ihm, jedenfalls keinen regelmäßigen. Letztes Jahr Weihnachten habe ich ihn zuletzt angerufen und angeboten, daß ich mit der Familie zu Besuch komme. Da war aber gerade die Mutter seinen zweiten Frau gestorben und es war den beiden zuviel.

Jetzt habe ich wieder das Bedürfnis, mich bei ihm zu melden. Ich will keine Korrespondenz mehr mit ihm haben. Es soll einfach nur ein Lebenszeichen von mir, von uns, erhalten. Er soll wissen, daß wir an ihn denken. Ich lege Bilder meiner Kinder bei, sie sind eingerahmt, wenn er will, kann er sich das aufstellen.

Wie er ansonsten die Weihnachtstage und seinen Geburtstag an Sylvester verbringt, das weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal, wie es ihm geht. Ich will auch nicht allzuviel davon wissen. Besuchen kann ich ihn dieses Jahr ziemlich sicher nicht. Wir sind zwar relativ gesehen in seiner Nähe. Jedoch habe ich auch schon meiner Mutter zugesagt. Und zweimal fahre ich während meines Aufenthaltes bei meinen Schwiegereltern nicht mit den Kindern durch die Gegend. Das zerreißt mir die Tage.

So ist es letztlich - wie wohl alles Schenken - ein egoistischer Akt, wenn man es denn so will. Ich will nicht Heiligabend in der Familie meiner Frau feiern und denken müssen, daß mein Vater nun von überhaupt niemanden und insbesondere nicht von mir etwas hört und sieht. Wenn ich ihm etwas zusende, und warum nicht ein paar schöne Bilder meiner Kinder, dann beschenke ich mich selbst mit dem Gefühl, daß auch mein Vater Weihnachten vielleicht einigermaßen friedlich feiern kann.

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Morgen gibt es noch einen letzten Projekttag, eine Gruppe Schüler hat den Besuch des Instituts als Belohnung für gute Leistungen bekommen. Tja, so etwas gibt es auch, wenn mir das auch unheimlich ist, daß bereits Schulen anfangen, "Centres of excellence" zu gründen. Mir ist das nicht geheuer. Ich war noch nie ein Anhänger von Leuchtturmsystemen.

Wenn ein Mensch ein Leuchtturm ist, dann wird er so oder so leuchten. Einstein wurde auch nie gefördert, wahrscheinlich hat er deswegen dieses "annus mirabilis" erst erlebt. Und Nietzsche hat ja auch deutliche Worte dafür gefunden, was passiert, wenn man - mit Blick auf das Resultat - anfängt, die Wissenschaften zu fördern (immer dickere Bücher mit immer weniger Inhalt).

Der Vorteil so einer Gruppe ist allerdings, daß solche Schüler sehr gerne mitmachen und es nicht nötig ist, sie noch davon zu überzeugen, daß das jetzt sehr spannend ist, was sie da machen. Eigentlich ein Idealfall, der - genauso eigentlich - normal sein sollte.

Dann der vierte Advent, noch ein paar Arbeitstage, ein paar Weihnachtsfeiern (Schule, Kollegen, Nachbarn), dann ist es geschafft. Das Jahr geht zu Ende, und eigentlich war es gar nicht so schlecht.

Michael

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