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Tagebuch MI
2006-01-21 13:36
Chor als Beispiel einer Inneren Schule

Meine Mitgliedschaft im Gemeindechor (wobei ich selbst der Gemeinde nicht angehöre) hängt derzeit an einem seidenen Faden. Hintergrund ist der, daß der Kredit, den ich bereit bin hinsichtlich spontaner Probenzeitverlängerungen zu geben, erschöpft ist.

Die meisten Mitglieder des Chores nehmen als gottgegeben hin, daß die Proben halt schon mal auch länger dauern können: fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn, das weiß man nie so genau vorher. Sicher, es gibt da schon immer mal ein Rumoren, hier und da regt sich leiser Protest. Ein älterer Mitsänger im Tenor sagte einmal laut und nicht ohne Erregung in die Runde: "So etwas kann man nur mit Frauen machen!"

Damit spielte er gleichzeitig auf das Mißverhältnis der Geschlechter in diesem Chor an: ca. 40 Frauen stehen vielleicht 8 Männer entgegen, von denen eigentlich nur 5 wirklich regelmäßig zu den Proben erscheinen. Der Tenor selbst wird dann noch durch zwei "Tenoritas" unterstützt, deren Stimmen die Altlage nicht mehr schaffen. Eigentlich müßte also die Leiterin mit den Männerstimmen besonders behutsam umgehen.

Im Tenor sind wir nur zwei "junge Stimmen", eine davon ist meine. Die beiden älteren Herrenstimmen verursachen wegen ihres "Tatendranges" ab und an Unstimmung bei der Leiterin und bei den Bass-Stimmen. Es ist ein bißchen so, daß die beiden Herren eben sehr gerne singen, und damit man das auch merkt, kann es schon mal lauter sein, als vielleicht nötig. Einer von den beiden ist gewissermaßen auch das Herz des Chores: er besorgt die Noten, macht unheimlich viel drumherum. Und wenn es um das Gesellige geht, hat er immer eine Gitarre parat und jede Menge Lieder. Ich mag den Kerl, der hat sich was bewahrt.

Mir wurde in der letzten Probe, als die älteren Mitsänger mal beide nicht da waren, von W. aus dem Baß gesagt, wie schön das gewesen wäre, daß die beiden mal nicht mitgesungen haben. So wären die jüngeren Tenorstimmen endlich mal zur Geltung gekommen. Ich fand das aber eigentlich nicht schön. Ich mag die beiden älteren Herren, auch wenn ich in ihrer Gegenwart immer etwas in den Hintergrund rücke. Sie singen nun mal gerne und Humor haben sie auch. Das ist mir oftmals wichtiger, als eine gute Stimme, der aber der Spaß an der Sache bei all dem Ernst abgeht.

Nur mit Frauen also könne man das machen, sagte H. eines Abends, und erntete dafür ein leises Naserümpfen aus den vorderen Stuhlreihen. Ich hatte bei einer anderen Gelegenheit mal gesagt, daß man sich nicht wundern brauche, wenn im Chor so wenige Männer sind. Wer will sich das nach einem langen Arbeitstag schon antun, angekündigte Pausen von "vier Minuten" (und bitte die Stimme schonen), und dann noch die vielen unangekündigten Überziehungen (die meisten Frauen im Chor gehen glaube ich keiner ganztäglichen Erwerbstätigkeit nach). Bei der letzten Probe habe ich dann ziemlich laut in die Runde gesagt: „Wir wollen doch das neue Jahr nicht mit Überstunden beginnen, oder?“ Das hatte aber auch nichts genutzt. Und man fühlt sich auf die Dauer auch etwas pingelig, wenn man immer so auf das Probenende achtet und meint, es verteidigen zu müssen.

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Männer, Frauen: jedenfalls, wenn sich Protest regt, dann noch eher bei den Männerstimmen. Hier und da fiel dann auch mal eine zustimmende Bemerkung aus dem Alt oder dem Sopran. Alles in allem bleibt aber das Bild bestehen, daß der Chor in seiner Gesamtheit offenbar nicht in der Lage ist, sich gegen die Überziehungen zur Wehr zu setzen. Er läßt praktisch alles mit sich machen und ist duldsam wie ein Esel.

Genau der letzte Punkt ist der, mit dem ich am wenigsten klarkomme, der mich ganz verrückt macht. Ich habe schon oft gedacht, es müsse doch so etwas wie einen "Chorsprecher" geben. Der würde dann wenigstens einmal im Monat oder besser gleich einmal in der Probe angehört werden, ob von Seiten des Chores alles "grün" ist (manchmal gibt es ja auch Stücke, die der Chor partout nicht singen will, es aber trotzdem tut, weil die Leiterin es eben vorgibt. Beispielsweise dieses doch wohl ziemlich depressive Lied von Erich Kästner: "Januar" (http://www.laostagebuch.net/03_01_01.htm), das mich nun gar nicht anspricht und ich wirklich nicht gerne zum Jahreauftakt singen möchte).

An so jemanden könnte man sich dann wenden und sagen, daß man mit den Überziehungen nicht einverstanden sei und da Handlungsbedarf sehen würde. So etwas der Leitung direkt zu sagen ist immer schwierig und es gibt kaum eine Gelegenheit dafür.

Im Prinzip braucht ein Chor - wenn die Leitung die Macht mit der verbundenen Position ausnützt - also eine Art "Chorgewerkschaft". Das geht aber nur bei genügend Interesse und genügend Wille, die eigenen Rechte als Chormitglied auch gegen die Autorität zu verteidigen. Immerhin hat die Leiterin ja mal gesagt, daß wir nur dann pünktlich Schluss machen können, wenn wir auch pünktlich anfangen. Seit dem bin ich immer nicht nur um halb Acht im Saal, sondern meistens schon ein paar Minuten vorher, damit es nicht an mir liegt, wenn wir nicht pünktlich anfangen und damit auch nicht pünktlich aufhören.

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Für mich bleibt nun stehen, daß ich zwar ruhig früh und pünktlich kommen kann, dann aber trotzdem nicht die Kausalität besteht, daß ich auch pünktlich gehen kann.

Daran hängt eine soziale Komponente. Ab und zu gehen die Chormitglieder nach den Proben noch aus. Und wenn die Proben nicht überzogen werden, komme ich auch schon mal mit. Nur wenn sie überzogen werden - so habe ich es mir mittlerweile zur Gewohnheit gemacht - gehe ich (immer mit schlechtem Gewissen) trotzdem pünktlich, weil das mein gutes Recht ist (ich spreche nicht von den Fällen, wo ein Auftritt vor der Tür steht. Wenn eine Probe da mal länger dauert, ist das kein Thema). Dadurch verliere ich aber den Kontakt zu den Sängern und Sängerinnen über das Singen hinaus, was ebenfalls meinen Bezug zum Chor erodiert.

Eine andere Antwort, als trotzdem pünktlich zu gehen und mehr oder weniger unauffällig meinen Unmut über die ständigen Überziehungen zu bekunden, hatte ich bisher nicht. Den Willen, sich gegen die Leiterin aufzubäumen und das Recht auf ein pünktliches Probenende durchzusetzen, sehe ich im Chor weit und breit nicht. Stellt sich also für mich die Frage: Lohnt sich der Kampf? Lohnt es sich, diesen Punkt offen zur Sprache zu bringen? Soll ich das tun, weil es sonst keiner tut? Dazu muß mir wiederum klar sein, wieviel mir an diesem Chor liegt. Ich weiß, daß der Leiterin viel an mir liegt. Und wenn ich jetzt sang- und klanglos verschwinden und einfach nicht mehr kommen würde, dann wäre das schon eine gewisse Zäsur.

Zur letzten Probe bin ich nicht mehr erschienen. Schon die erste Probe in diesem Jahr begann mit "Ihr habt jetzt vier Minuten Pause" und einer Überziehung von zehn Minuten zwecks Besprechung der Chorfahrt im Sommer (an der ich nicht teilnehmen werde, da sie in die Ferien fällt). Als die Besprechung vorbei war, griff dann die Leiterin noch in einen Stapel Papier und wollte zum Abschluss noch schnell ein Stück singen. Da hat es mir dann endgültig gereicht. So etwas kann ich nach einem Arbeitstag mit vielen Anforderungen und Kompromissen einfach nicht mehr mittragen.

Ich bin stets pünktlich, komme zu jeder Probe, und wenn nicht, melde ich mich vorher ab oder sage hinterher, was los war. Ich bin zu vielen Extra-Proben erschienen, weil für das Konzert im letzten Jahr für ein zusätzlich in das Programm aufgenommenes "Magnificat" gute Tenorstimmen gefragt waren. Und mir hat das auch Freude gemacht, ich habe das gerne gemacht.

Das alles wird mir aber durch die andauernden unkalkulierbaren Probenüberziehungen vergällt, und ich bin jetzt an die Grenzen meines guten Willens gestoßen. Was tun? Die Zeit des Probenendes muß eigentlich heilig sein. So wie auch die des Probenbeginns. Und es muß einen guten trifftigen Grund geben, wenn diese Zeit einmal nicht eingehalten werden kann. Dann muß der Chor gefragt werden, ob er einverstanden ist. Es muß aber wirklich eine Frage sein. Eine Frage, die in Wahrheit eine Ankündigung darstellt, ist keine Frage.

Ich weiß nur noch nicht, wie ich den gordischen Knoten zerschlagen soll - oder ob ich einfach gehe und ihn stehenlasse und mal abwarte, was passiert. Ich habe doch eigentlich ganz andere Dinge zu tun, als mich mit einem Chor und seiner Leiterin in Sachen Chordisziplin und Machtmißbrauch anzulegen.

Michael

Kommentare


unbekannt
15:05 23.01.2006

Hallo Michael,
wie gut ich so was kenne!
Die "Sache" macht Spaß und man möchte sie nicht missen. Aber die Art und Weise wie vor allem einzelne Personen damit umgehen, evtl. die eigene Begeisterung mißbruachen, verleidet es einem.

Love it, change it, or leave it!
Ist aber leichter gesagt als getan...

Gruß
Ralf


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