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Tagebuch MI
2005-04-05 17:37
(Über)Leben
Könnte ich wirklich nicht behaupten, daß ich die nicht hätte, Angst vor der Armut (s. Spiegel-Artikel http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,349816,00.html, ließ sich nicht verlinken). Sie ist sogar recht groß. Wir kommen zwar mit dem Geld hin, aber ein sicheres Gefühl hätte ich erst, wenn ich Rücklagen bilden könnte, die in etwa einen reibungslosen Übergang in die spätere Altersversorgung ermöglichen würden. Genau diese Rücklagen schaffen wir aber nicht zu sparen. Es kommt immer etwas dazwischen. Jüngst eine Autoreparatur, die einem das Gefühl gibt, gar nicht dagegen ansparen zu können.

Die Kinder werden mit den Jahren auch nicht billiger und mir fällt der Gedanke schwer, daß sie ihr Leben mit großer Wahrscheinlichkeit unter noch widrigeren Umständen werden führen müssen, als sie sich mir jetzt schon zeigen. Ich habe die Angst, daß ich in 20 Jahren denken werde, vor 20 Jahren noch richtig reich gewesen zu sein: regelmäßiges Einkommen, sauberes Trinkwasser, problemlose Nahrungsmittelversorgung, Schulen zumindest noch halbwegs intakt und zum Arzt kann ich jederzeit gehen, wenn mich was zwickt.

All das ist im Grunde Reichtum, auch wenn man ihn gar nicht mehr sieht. Ein bißchen Beschäftigung mit der Geschichte der Menschheit zeigt schnell auf, wie gut es uns, mir, immer noch geht. Die einzige wirkliche und sehr bedrückende Armut, die es hier gibt, ist die geistige, seelische. Da ist einfach nichts. Da ist überhaupt nichts. Keine Visionen, keine Ideen, keine Bereitschaft, kein Vertrauen, keine Hingabe an eine Sache, die mein mickriges Dasein übersteigt.

So dümpelt einfach alles vor sich hin, und solange noch genug Geld da ist, wird sich daran auch nichts ändern. Ich las kürzlich einmal wieder http://www.geocities.com/kurtjost/redekopie.htm.

...Der Beginn des Überlebens...

Wenn man ehrlich vor sich selbst ist, dann ist die Zivilisation damit richtig umschrieben. Sie stellt keinen Höhepunkt der menschlichen Entwicklung dar, sondern mit der Zivilisation endet das Leben und beginnt das Überleben. Ist es nicht ganz offensichtlich? Was mir als "Leben" verkauft wird, das spielt sich alles an der Oberfläche ab, kurzzeitige Befriedigungen, die vom Schmerz der Leere und Sinnlosigkeit ablenken.

Was verstehe ich denn eigentlich unter Leben?

Ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl gehört für mich dazu. Tsuang Tse sagte das einmal sehr schön, ich kann das nur sinngemäß wiedergeben:

"Es gab eine Zeit, da waren die Menschen hilfsbereit und wußten nicht, daß das "Hilfsbereitschaft" heißt.

Die Menschen arbeiteten und wußten nicht, daß das "Fleiß" heißt.

Die Menschen beteten und wußten nicht, daß das "Religion" heißt.

Die Menschen sangen und wußten nicht, daß das "Musik" heißt.

Die Menschen logen nicht und wußten nicht, daß das "Ehrlichkeit" heißt.

Die Menschen schlugen sich nicht und wußten nicht, daß das "Frieden" heißt.

Die Menschen fielen sich nicht ins Wort und wußten nicht, daß das "Respekt" heißt.

Die Menschen lebten im Einklang mit der Natur und wußten nicht, daß das "Natürlichkeit" heißt.

Die Menschen hielten zusammen und wußten nicht, daß das "Solidarität" heißt.

Die Menschen teilten, was sie hatten, und wußten nicht, daß das "Nächstenliebe" heißt.

Die Menschen wollten nichts über das Notwendige hinaus und wußten nicht, daß das "Bescheidenheit" heißt.

Die Menschen waren bei allem, was sie taten, mit sich im Einklang, und wußten nicht, daß das "Liebe" heißt.


Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Leben, das bedeutet, daß Großeltern abends ihren Enkelkindern Geschichten erzählen. Als Vater kann ich das zwar auch, aber es ist doch ein gehöriger Unterschied, ob die alten Weisen etwas von sich geben, oder die "Jungspunte". Aber wo sind die Weisen?

Ich hasse dieses Einzelkämpferdasein, zu das ich mich gezwungen fühle. In gewisser Weise, ja, ist das notwendig. Nur so kann man herausfinden, wer und was man ist. Dazu muß man einfach auf sich selbst gestellt sein. Und Kinder müssen auch flügge werden, raus mit ihnen aus den warmen Hütten.

Aber was mit dieser merkwürdigen Kälte anstellen, die von einem Besitz ergreifen will? Michael Ende hat da schon einen frappierend passenden Vergleich mit den "grauen Herren" und ihren Zigarren geliefert.

Man, es kann doch nicht sein, daß es in diesem Leben nur noch darauf ankommt, durchzukommen und dabei möglichst viele Taler in den eigenen Beutel zu scheffeln! Was ist das denn eigentlich, das da stirbt, wenn die Zigarre aufgeraucht ist?

MI

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