Kriegsbriefe vom Vater
Wieder einmal ist das Tagwerk beendet. Gestern und heute habe ich für Prüfung Jeremia wiederholt. Wenn ich so stundenlang für ein Fach gearbeitet habe, brummt der Kopf immer ein wenig. Für uns sind Propheten eigentlich ein etwas zu schwerer Stoff. Gestern haben wir eine engl. Arbeit geschrieben und heute gab es einen Klassenaufsatz zurück. Trotz der großen Flüchtigkeit stand unter beiden Arbeiten die Zensur: fast gut. Allmählich scheint auch der Winter kommen zu wollen; heute hat es fast ununterbrochen geschneit. Als ich vorhin Karl-Heinz ein Stück durch den winterlichen Wald brachte, kam mirs recht heimatlich vor. Wie war es doch einst so schön, wenn wir als Kinder durch den tiefen Schnee stapfen mußten. Oft will mich ein wenig Heimweh nach längst vergangenen, nie wiederkehrenden Kindertagen befallen. Am Dienstag haben Insp. Hoffmann, Insp. Vierig, Heinr. Schwabdissen und ich den neuen Bruder von der Bahn geholt. Er ist noch ein wenig still und schüchtern, ich glaube aber, daß er ein ganz lustiger Junge (Hr) ist, der sich schon bei uns einleben wird.
Seine erste Frage war: Can you speake English? Und als ich antwortete: No, Im cannot, mußten wir beide lächeln. Nachher meinte er, ich hätte gelogen, sagte das aber mit einer so listigen Gebärde, daß ich dachte, du bist ein ganz durchtriebener Kunde.
Im Nichtraucherzimmer fühlen wir uns recht wohl, vor allen Dingen herrscht Ruhe. Schön ist`s doch, daß wir hier so ruhig und ungestört unserer Beschäftigung nachgehen können. Martha schrieb, dass sie einige von Vaters Kriegsbriefen gefunden hätte, die sie mir schicken will. Mich freut das, denn Andenken an Vater sind bei mir so rar. Morgen wird der Führer eine große Rede tun. Es wird viel von Kolonien gemunkelt, so ist man überall gespannt. Mir tut so leid, daß man in vielen Stücken nicht mit seiner Idee gehen kann. Von der Kirche entfernt er sich immer mehr. Wir können nur eins tun, alles in Gottes Hand legen.