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Tuesday, 16. April 2024
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Tagebuch Gertrud_Herrmann
 1913-02-18 hh:mm
Wir haben mit Roscher den Ball...

Wir haben mit Roscher den Ball im Landwehr Offizier Casino mitgemacht. Diesmal hat er mir sehr gut gefallen. Er hat ja so einiges, was mir so komisch ist, z.B. seine übergroße Höflichkeit u.s.w,.. aber, wie gesagt,  diesmal hat er mir bedeutend besser gefallen als die beiden letzten Male.
Mutti sagt jetzt, wenn ich mal etwas vergessen habe immer gleich: “ Mädel, du bist wohl in Liebesgedanken?“ Aber es ist jetzt  wirklich manchmal so. Ich habe besonders die beiden letzten Tage fast immerzu an Roscher denken müssen. Mutti und Papa tun wirklich jetzt manchmal so, als ob sie wirklich dächten, daß der echte Absichten hätte! Ob das der Fall ist?! Ich schrieb ihm neudlich, daß ich in dem Theaterstück, das wir im Sängerbund aufführen, die Rolle einer Komtesse habe. Darauf stand unter dem nächsten Brief, ganz klein unter seinem Namen: Comte.
Was er dabei wohl gedacht hat? Nur das schönste ist, ich hatte das doch noch nicht einmal gesehen, Mutti machte mich erst darauf aufmerksam. Beim Ball sagte er aber, er wäre manchmal sehr zum Scherzen aufgelegt,(oder so ähnlich) und dann schriebe er auch mal so etwas auf die Karte, ich sollte das dann natürlich nur ganz harmlos auffassen. Da habe ich mich erst eine Weile dumm angestellt, dann fiel mir aber das mit dem „Comte“ ein und da sagte ich ihm, daß ich das selbstverständlich auch nur ganz harmlos aufgefaßt hätte, sagte natürlich nichts von dem „Comte“; denn ich wußte ja nicht, ob er das auch gemeint hat!
Wenn er nun wirklich ernste Absichten hätte und ich dann die erste von allen meinen Freundinnen wäre, die Braut wird!?! Ganz schön wäre es doch, dieser Gedanke, daß das vielleicht wirklich so kommen könnte, ist mir erst nach diesem „Comte“ gekommen., auch durch Mutti und Papa. Was unsere liebe Verwandtschaft wohl für Augen machen würde, wenn ich mich so früh verloben würde?
Aber ich weiß nicht, ob ich dann wirklich „Ja“ sagen könnte. Wenn mir nun später einer noch besser gefällt?! Aber ich weiß ja auch noch garnicht, ob – Wilhelm (das erste Mal, daß ich Wilhelm schreibe, es ist mir ordentlich schwer geworden) überhaupt daran denkt. Er hat mir doch sehr gut eigentlich gefallen das letzte Mal. aber ist denn das Liebe?  Ich schreibe das so, es kommt mir beinahe wie in einem Roman vor; aber so soll es nicht sein, sondern es soll wirklich das ausdrücken, was ich denke.) Eine „ganz feine Partie“ wäre es ja eigentlich für mich. Er sagte, daß er hofft, später mal mindestens Prokurist zu werden, vielleicht sogar Bankdirektor. Ein Prokurist hat 15 – 16 000 M Einkommen und ein Direktor 55 - 40 000 M.
Aber ich weiß doch nicht, ob wir auch wirklich glücklich zusammen werden würden. Und dann kommt Fritze Düttbernd immer wieder dazwischen. Bis jetzt habe ich auf dem Ball den noch nicht wieder gesehen, und da hat nun Roscher den Vorrang. Aber heute Abend sehe ich nun Fritze Düttbernd wieder und da befürchte ich wieder, daß es dann wieder anders ist! Ich glaube, das Beste wäre, wir würden uns garnicht mehr sehen, und doch würde das mir wieder mächtig leid tun, denn ich bin doch so gerne mit ihm zusammen und freue mich jedes mal darauf. Nun doch muß ich mich doch mächtig davor hüten, daß ich ihn nicht schließlich zu gerne habe; denn das darf nicht kommen, denn Papa erklärte erst gestern Abend wieder, mit einem Schauspieler, sei es nun Fritz Düttbernd oder sonst wer, dürfte ich auf keinen Fall kommen. Nun gebe ich mir schon immer Mühe, bedeutend mehr an Roscher als an Düttbernd zu denken. Denn mit Roscher, das würde Papa, glaube ich, sofort zugeben, natürlich müßte er sich erst erkundigen. Er wäre auch in sofern sehr gut für mich, weil wir doch jetzt im Frühjahr sicher Krieg bekommen, und dann werden doch so viele totgeschossen. Roscher braucht aber nicht mit, und „alte Jungfer“ möchte ich doch um keinen Preis werden. Aber ob denn Roscher und ich auch wirklich zusammen passen? Ob wir glücklich werden? Aber ich weiß ja auch noch garnicht, ob er an so etwas denkt. Am 8. März sollen wir wieder einen Ball mit ihm mitmachen.

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