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Tagebuch Doc12
2010-10-27 06:46
Der weinende Clown - 97
Bruno legte über das ganze Gesicht grinsend sein Handy zur Seite, setzte sich an den Computer und begann zu schreiben ...

Als Donatello erwachte, lag er auf der Intensivstation und betrachtete argwöhnisch die Schläuche, an denen er angeschlossen war, die Furcht erregenden Maschinen, die um ihn herum gruppiert waren und deren ungewohnte Geräusche, die an sein Ohr drangen, jagten ihm Angst ein. Viel lieber wäre er dort geblieben, wo er kurz zuvor noch gewesen war: In jenem Zwischenreich, das ihm die Stille und diesen unendlichen Frieden beschert hatte. Was für einen Grund gab es für ihn, weiterzuleben? Wieso musste er in seinen geschundenen, alten Körper zurückkehren, an dem ihm schon seit langem nichts mehr lag? Längst war er seines Lebens überdrüssig, hatte es gründlich satt, ewig den Clown zu spielen, immer die gleichen Späße zum Besten zu geben, ihn graute vor den johlenden Menschenmassen im Zirkuszelt, den zahllosen Augenpaaren, die ihn anstarrten und ihn mit ihren Blicken auszusaugen versuchten, kaum im Entferntesten ahnend, dass auch hinter einem Clown eine sensible Seele stecken und er ein Mensch sein könnte wie alle anderen auch.

Er war tot – laut Aussage der Ärzte nur für zwei Minuten – dennoch kam er jetzt zu der unerwarteten Erkenntnis, dass dieses Erlebnis geradezu überwältigend gewesen war. Noch nie hatte er ein so friedliches, beglückendes Gefühl in sich gespürt, noch nie im Leben eine derartige Freiheit empfunden wie in jenem Zustand, aus dem er sich nun mit Gewalt herausgerissen fühlte. Er war traurig, zornig und enttäuscht zugleich und spontan fasste er den Entschluss, die Zeit seines restlichen Lebens anders zu verbringen als bisher – bewusster, freier und ausgefüllter. Zukünftig würden seine Tage ihm selbst gehören und nicht den anderen, so wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen war. Sicher, er hatte viel erlebt, viel gesehen, mit dem Zirkus die halbe Welt bereist, die Menschen zum Lachen gebracht, kannte die größten Städte der Welt – doch war es wirklich das, was er sich vor Jahren einmal erträumt hatte? Das Resultat seiner Überlegungen lautete eindeutig nein. Im Grunde seines Herzens wollte er immer Musiker werden, die Musik lag ihm von Kindesbeinen an im Blut, doch die Umstände waren gegen ihn gewesen. Damals, in jungen Jahren, in denen er sich zwar als begabter Gitarrist hervorgetan hatte, fehlte das Geld für ein ordentliches Musikstudium – und so war er lediglich ein guter Autodidakt geblieben.
Schließlich war seine Mutter gestorben und hinterließ in seinem Leben eine Lücke, die sich nie mehr schließen sollte – und unbewusst war er stets auf der Suche nach einer Lebenspartnerin, die seiner Mutter gleich käme, doch auch dies hatte er nach vielen vergeblichen Versuchen aufgegeben. Als dann eines Tages der Zirkus in die Stadt kam, brachte ihn dessen bunte Glitzerwelt zum Staunen und begeistert beschloss er, sich ihm anzuschließen. Er wollte weg aus seiner Heimatstadt, weg von all den alten Erinnerungen, ein neues Leben beginnen, die Welt erobern – und landete schließlich als Stallbursche hinter den Kulissen der schillernden Manege, fütterte Löwen, Tiger und Elefanten, bis der Zirkusdirektor ihn zufällig entdeckte und auf sein Talent, die Menschen um sich zum Lachen zu bringen, aufmerksam geworden war. Seither war er Clown gewesen.

Ein guter Clown zwar, ein Könner seines Fachs – doch viel, viel zu lange. Ich werde damit Schluss machen, dachte er. Ein für alle Mal. Sobald ich wieder auf den Beinen bin, werde ich dem Zirkus ade sagen. Tief in sich fühlte er: Da war noch eine Aufgabe zu erledigen. Er wusste zwar nicht, was genau es war, doch das Leben würde sie ihm stellen. Weshalb sonst war er wieder zurückgeschickt worden? Hatte sich das Lichtwesen nicht auch entsprechend geäußert? Gut – wenn dem so war,dann wollte er sich eine neue Zukunft schaffen. Was er trotz seiner momentanen Situation als tröstlich empfand, war die für ihn nun feststehende Tatsache, dass das Leben mit dem irdischen Tod nicht zu Ende war, wie er ein Leben lang geglaubt hatte. Und sollte ihm jemand erzählen wollen, dass er für sein fortgeschrittenes Alter noch viel zu viel vor hätte, so würde er es in Anbetracht seines Wissens für eine leichte Untertreibung halten und lediglich weise darüber lächeln ...

Mit einem entspannten Gesichtsausdruck schlief Donatello ein.

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