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Tagebuch Doc12
2010-09-17 08:34
Der weinende Clown - 57

„Warum hat sie sich ... ich meine, weshalb ...“
„Meine Schwester hatte ein sehr bewegtes Leben und war ein eigenartiger Mensch. Ihre vier Kinder liebte sie kaum, dafür war ich als jüngerer Bruder sozusagen wie ein Kind für sie. Sie hatte Geld und verwöhnte mich, stand immer hinter mir. Schon als Jugendlicher, als ich damals eine Band gründete – sie sponserte mir die Ausrüstung, also Gitarrenverstärker bis hin zur Gesangsanlage – all das Zeug halt, was man dafür braucht.“
„Du bist also auch noch musikalisch?“
„Ja. Ich spiele Gitarre und Klavier.“
„Aber deshalb hat sie sich vermutlich nicht umgebracht“, meinte Sarah und schmunzelte.
„Nein, deshalb nicht. So schlecht spielte ich damals auch wieder nicht.“ Bruno grinste und meinte weiter: „Ich denke, sie hat es deshalb getan, weil sie kein Ziel mehr hatte und keine Lebensaufgabe für sich sah. Damals war mir das nicht klar – heute weiß ich es. Dazu kam noch, dass ihre dritte Ehe kurz zuvor in die Brüche gegangen war und sie zusätzlich Angst vor dem Altwerden hatte – sie war damals zweiundvierzig. Sie hat es zweimal versucht – das erste Mal haben wir sie noch rechtzeitig entdeckt und ins Krankenhaus befördert, wo sie reanimiert wurde. Als sie aufwachte, was sie stocksauer auf uns. Beim zweiten Mal schließlich hat sie dafür gesorgt, dass wir ihr nicht mehr in die Quere kommen konnten. Sie war wirklich lebensüberdrüssig und wollte nur noch sterben. Selbst ich als ihr Bruder, der stets ein gutes Verhältnis zu ihr hatte, konnte da nichts mehr machen, sie war  psychisch völlig verändert und nicht mehr der Mensch, den ich ein Leben lang kannte.“

„Sie war so alt wie ich – aber mit zweiundvierzig ist man doch noch nicht alt ...“, meinte Sarah mit nachdenklicher Miene.
„Wenn jemand glaubt, er ist alt, dann ist er alt und beschleunigt damit den Alterungsprozess. Ich kenne Leute, die sind mit dreißig bereits alt und wiederum andere, die mit sechzig noch einen ungebremsten jugendlichen Elan haben. Es ist Einstellungssache, denke ich.“ Nach einer Weile fügte er hinzu: „Überhaupt: Ich bin schon sehr früh mit dem Tod konfrontiert worden – schon als Kind ...“

Sarah sah ihn schweigend an. Er erzählte weiter: „Als ich kaum vier Jahre alt war, starb mein Lieblingsonkel Meinrad – eigentlich war es ein Großonkel, also der Onkel meiner Mutter, aber ich mochte ihn unheimlich gern, weil er mit mir immer seine Späße trieb. Ich sehe den Mann heute noch vor mir, wie er mich als Kind durch die Luft warf, mich wieder auffing oder mir meinen Schuh klaute und mit den Schnürsenkeln an der Deckenlampe festband. Ich musste dann immer ein Lied für ihn singen, bekam dafür fünfzig Pfennige und meinen Schuh zurück.
Einige Monate später starb dann mein Großvater. Ich sehe beide heute noch auf dem Totenbett liegen.“
„Und daran erinnerst du dich noch? Heute? Du warst damals erst vier!“
„Ja – es ist ein Fluch ...“, murmelte er nachdenklich.
„Fluch? Weshalb?“
„Ich habe so etwas wie ein fotografisches Gedächtnis, weißt du – zumindest für die analogen Abläufe. Wenn ich die Augen schließe, kann ich mein Leben fast Llückenlos vor mir ablaufen lassen. Ich kann nicht vergessen ... Ich kann dir aus dem Stand heraus sogar noch die Namen aller meiner Klassenkameraden aus der ersten Klasse Grundschule nennen ...“
„Verrückt.“
„Stimmt, hat aber auch Vorteile.“
„Du brauchst keinen Terminkalender.“ Sarah schmunzelte.
„Das sowieso nicht. Aber ich habe aus Jux und Tollerei unter anderem auch zwei Krimis geschrieben. Wo andere Krimiautoren sich vielleicht ein Script Board machen müssen, schreibe ich die Handlung einfach hin – und ich garantiere dir: Du wirst in keinem der beiden Geschichten einen logischen Fehler oder eine Ungereimtheit entdecken ...“
„Und ich dachte, du schreibst nur Humor.“
„Na ja, manchmal wagt sich ein alter Esel noch aufs Glatteis“, feixte Bruno.

Sarah sah auf die Uhr. „Ich möchte zu Karsten in die Klinik“, sagte sie unvermittelt.
Er nickte. „Gut. Ich mache dir einen Vorschlag: Ich komme mit und anschließend fährst du mich nach Hause. Ich habe noch eine Menge zu erledigen.“
„Heute? Am Sonntag?“
„Ja. Ich sollte endlich mal wieder meine Bude aufräumen, die Waschmaschine in Betrieb setzen und all so was.“
„Ich könnte dir dabei helfen.“
„Nein danke. Lieb von dir, aber die Grundreinigung mache ich lieber allein“, sagte Bruno und grinste.
„Du bist wieder mal albern.“
„Vielleicht. Aber ich bin ziemlich selbstständig. Ich brauche keine Frau, die mir wäscht, mich bekocht oder die Hemden bügelt. Deswegen sicher nicht.“
„Na gut, das musst du wissen. Aber mein Angebot steht.“

Kommentare


unbekannt
13:49 17.09.2010
mhm...

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2010-09-17 08:34