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Tagebuch Doc12
2010-08-22 09:43
Der weinende Clown - 31

„Deswegen heißt es ja auch Gehaltsvorstellung. Weil die Vorstellung meist größer ist als das Gehalt“, warf Bruno ein. Beide lachten herzhaft.
„Sie haben wohl eine gewisse Vorliebe für witzige Wortspiele, stelle ich fest ...“
„Es ist mein Job, witzig zu sein, liebe Sarah ... und glauben Sie mir, es ist nicht immer so ganz einfach.“
„Eine Freundin von mir verbrachte unlängst ihren Urlaub in Australien. In Sydney. Sie erzählte mir, die Menschen hätten dort eine ganz andere Lebensweise, viel lockerer, freier – und das Lebensmotto lautet dort: Ein Drittel des Tages Arbeit, das zweite Drittel Schlaf und das letzte Drittel dient allein dem Leben. Die Menschen gehen dort viel freundlicher und liebevoller miteinander um als hier. Sie arbeiten noch, um zu leben – und nicht umgekehrt, so wie wir Deutschen.“
„Das kann ich mir gut vorstellen – und verwundert mich auch kaum, denn der Umgangston bei uns ist – vermutlich durch den ständigen Existenzkampf – zwischenzeitlich sehr brüsk geworden, die Menschen achten sich nicht mehr“, antwortete Bruno und erzählte: „Die Frau eines Freundes stammt aus Finnland. Und sie hat einmal etwas gesagt, was mich sehr nachdenklich werden ließ: Sie sagte: ,Ihr Deutschen habt die seltsame Eigenart, alles einhundertzehnprozentig zu machen
– egal, ob im Guten oder im Bösen – und Letzteres macht euch in den Augen der Welt so gefährlich ...’ Auf die Menschen hier bezogen heißt das: Wenn wir uns schon gegenseitig das Leben schwer machen, dann aber richtig und wenn möglich, mit System ...!“

„Vielleicht sollte man auswandern“, sagte Sarah und starrte dabei gedankenversunken in die Weite.
„Ist nicht zwingend notwendig – wenn man dafür sorgt, dass die eigene kleine Welt in Ordnung ist.“
Sarah sah ihm direkt in die Augen, dann meinte sie: „Wissen Sie, was eigenartig ist, Bruno?“
„Nein Sarah, aber Sie werden mir das vermutlich gleich mitteilen.“ Er lächelte sie an.
Etwas gedämpfter redete sie weiter: „Eigenartig ist: Obwohl ich Sie fast nicht kenne, gestern zum ersten Mal gesehen habe, habe ich trotzdem das Gefühl, ich kenne Sie schon ewig. Ich mag Sie. Ich kann mir’s nicht erklären, aber es ist so. Vielleicht kommt es daher, weil Sie auf alles eine Antwort wissen.“
Er sah verlegen zu Boden, dann antwortete er zögernd: „Nein, ich weiß ganz sicher nicht auf alles eine Antwort. Es mag zwar sein, dass ich viel über das Leben weiß – theoretisch – dennoch passieren mir immer wieder die schlimmsten Anfängerfehler. Dann wird mir jedes Mal wieder schmerzlich bewusst, wie groß der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist.“

„Sie sollten ein Buch schreiben – eines über Lebenshilfe.“
Bruno konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Ein Lebenshilfebuch? So ein Buch, das die Leute lesen, wenn es ihnen schlecht geht, meinen Sie? Heute ist mir das Geld ausgegangen – schlagen Sie bitte Seite 323 auf ... mein Hund hat mir heute erklärt, dass er mich verlassen wird, weil ich ihm viel zu hässlich bin – Seite 238 ...“ Er hielt sich den Bauch vor Lachen.
„Warum lachen Sie jetzt?“, fragte Sarah erstaunt.
„Ich! Ein Buch über Lebenshilfe – ich glaube, ich krieg die Motten ... ha ha ha.“
Bruno schüttelte sich vor Lachen, während Sarah ihn völlig verständnislos ansah. „Aber es war ja nur so eine Idee ...“
„Gut gemeint, meine Liebe – wirklich. Gut gemeint. Aber ich kenne mich besser als jeder andere. Wissen Sie, was dabei herauskommen würde? Nicht auszudenken!“

Bruno bekam erneut einen Lachanfall. Er musste husten.
Sarah klopfte ihm hilfsbereit auf die Schulter. „Jetzt beruhigen Sie sich mal wieder!“
„Meine Leser und mein Verlag würden vermutlich denken, der Steiger ist jetzt total übergeschnappt! Und wenn ich erst an meinen Lektor denke! Ha ha ha!“ Bruno bekam einen erneuten Lachanfall und rang wieder nach Luft.
„Vielleicht würde es ihm gefallen“, versuchte Sarah einen Einwand.
„Nein, dem könnte ich das nie antun! Wir sind in den letzten zehn Jahren wirklich gut miteinander gefahren, aber das würde er mir nie verzeihen!“ Langsam hatte sich Bruno wieder gefangen. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, um sich die Schweißperlen abzuwischen.

„Jetzt mal im Ernst, Bruno: Warum könnten Sie es nicht?“
„Ganz einfach, liebe Sarah: Weil es vermutlich ein Witzbuch werden würde, ein Anti-Lebenshilfebuch, das die Leute ins absolute Chaos stürzen würde – dessen bin ich mir ziemlich sicher. Ich würde zu schreiben beginnen, nach spätestens zehn Minuten säße mir der Schalk im Nacken und dann ...“
„Sie sind albern!“
„Stimmt, ich gebe es zu.“
„Sind Sie öfter so?“
„Selten – nur wenn es mir sehr gut geht.“
„Und jetzt gerade geht es Ihnen sehr gut?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weil ich das Glück habe, neben Ihnen zu sitzen, Sie anzusehen und mit Ihnen reden zu können.“
„Das macht dich glücklich?“, fragte Sarah leise. Das „Du“ kam ihr wie selbstverständlich über die Lippen.
„Ja.“
„Geht mir ähnlich.“ Sie nahm seinen Kopf in beide Hände, beugte sich leicht zu ihm, küsste ihn auf den Mund und sah in liebevoll an.
„Könnten wir das wiederholen?“, fragte Bruno überrascht.
„Wenn du meinst ...“

Er nahm sie in die Arme, drückte sie fest an sich und küsste sie lang und innig. Als sie sich schließlich wieder voneinander lösten, sah sie auf ihre Armbanduhr.
„Meine Güte, so spät schon! Ich muss Karsten vom Kindergarten abholen und danach soll ich noch bei meiner Mutter vorbei. Ich muss gehen.“
„Schade.“
„Übermorgen ist Samstag. Hast du da schon was vor?“
„Samstag ...? Nein, eigentlich nichts.“
„Wenn das Wetter einigermaßen mitspielt, möchte ich mit Karsten gerne rausfahren in die Natur. Hast du Lust, mitzukommen?“
„Aber klar – gern! Wo treffen wir uns?“
„High Noon, also um zwölf Uhr – hier an der Bank?“
„Bingo.“
Beide standen auf, umarmten und küssten sich. Der Abschied fiel ihnen merklich schwer. Als sie bereits ein paar Schritte entfernt war, drehte sich Bruno um und rief: „Ich weiß weder deine Telefonnummer, noch wo du wohnst.“
Sie ging zurück und drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand. „Hier steht alles drauf, was du wissen musst“, sagte sie, lächelte fröhlich und drückte ihm noch ein mal einen kleinen Kuss auf die Wange. „Aber jetzt muss ich wirklich los!“ Bruno warf einen kurzen Blick auf die Visitenkarte. „Sarah Fischer – freie Journalistin“ stand da. Eilig schob er sie in seine Jackentasche.

Beschwingt und leicht wie eine Feder lief er nach Hause. Unglaublich, was sich binnen zweier Tage alles ändern konnte ... Seit langer Zeit war er wieder glücklich, und lächelnd wurde ihm bewusst, dass er eben all seine eisernen Prinzipien über Bord geworfen hatte ...

Kommentare


unbekannt
08:49 23.08.2010
das geht mir zu schnell....

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2010-08-22 09:43