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Tagebuch Doc12
2010-08-21 08:16
Der weinende Clown - 30

Bruno zwang sich zur Ruhe. Was war nur los mit ihm? Er benahm sich fast so albern wie ein verliebter Pennäler. Zuletzt hatte er diesen Zustand vor vielen Jahren erlebt, vor seiner Heirat, als er in seine Exfrau verliebt gewesen war. Doch das Scheitern seiner Ehe brachte ihn zu der Überzeugung, dass er sich niemals mehr ernsthaft um eine Frau bemühen würde, er wollte sich niemals mehr ausliefern – egal, wie immer sie heißen, aussehen oder geartet sein mochte. Schließlich war er ein gestandener Mann, der alles zu kennen glaubte, sicher war, seine Gefühle fest im Griff zu haben und ständig der Meinung, nicht mehr liebesfähig zu sein. Er hatte sich eisern vorgenommen, allein zu leben – es bis an das Ende seiner Tage zu bleiben. Wurde er von Freunden auf seine Eremitage angesprochen, so war sein sarkastisches Argument immer gewesen: „Ich bin gern allein. Eine Frau macht mir nur die Wohnung schmutzig und verursacht Chaos.“ Diesen Spruch hatte er oft wiederholt, wie eine alte gesprungene Schallplatte, dabei stets nur ein süffisantes Grinsen im Gesicht getragen, wohl wissend, dass diese Äußerung immer wieder eine Wunde in seinem Innern aufreißen würde – doch nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, es anderen gegenüber zuzugeben.

Was ihn jetzt äußerst erstaunte: Dieses angenehme, wenn auch lästige Gefühl war gestern noch nicht vorhanden gewesen – zumindest nicht bewusst. Umso schlimmer traf ihn jetzt die volle Breitseite ähnlich einer riesigen Keule, als er erkannte: Er, Bruno Steiger, der unverstandene Komiker, der Frauenverächter, der einsame Wolf – ausgerechnet er! Er, der Idiot, der alternde Dackel, hatte sich verliebt – ohne es zu merken ...

Schließlich setzte er sich langsam in Bewegung, versuchte, so lässig wie möglich zu schlendern und tat, als würde er sie nicht sehen. Als er noch etwa fünf Meter von der Bank entfernt war, winkte sie ihm zu.

„Hallo Bruno!“
Er ging auf sie zu, spielte den Überraschten, versuchte ein Lächeln und während er ihr die Hand schüttelte, meinte er: „Na, so ein Zufall! Dass ich Sie so schnell wieder treffen würde, hätte ich nie gedacht.“
„Heute keine Bibel dabei?“, fragte sie und grinste.
„Wie? Äh – nein. Sollte ich?“
„Wegen mir nicht – aber steht Ihnen gut.“
„Man sollte es nicht übertreiben“, antwortete er etwas schüchtern. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
„Ich bitte darum.“
„Soviel lese ich eigentlich gar nicht, wissen Sie. Und das bisschen, das ich lese, schreibe ich mir selbst.“ Er setzte sich neben sie und grinste.
Sarah lachte. „Wenn man das kann – prima!“ Eine kurze Pause entstand, dann meinte sie unvermittelt: „Mit Ihnen kann man sich sehr gut unterhalten.“
„Wenn das ein Kompliment gewesen sein sollte, dann vielen Dank. Ich gebe es umgehend zurück.“
„Über vieles, was Sie mir gestern erzählten, habe ich mir so meine Gedanken gemacht.“
„Wirklich?“
„Ja. Wirklich.“
„Und was ist dabei heraus gekommen?“, wollte Bruno wissen.
„Dass man sich nicht so viele Gedanken machen sollte“, antwortete sie ausweichend und lachte.
„Oh – da liegen Sie falsch. Gedanken sind gut, wenn es die richtigen sind, glaube ich.“
„Und was sind Ihrer Meinung nach richtige Gedanken?“
„Positive, aufbauende - zumindest wird es immer behauptet.“
„Manchmal sehr schwierig.“
„Was?“
„Positive Gedanken zu hegen. Besonders dann, wenn es einem nicht sonderlich gut geht und ständig das Gefühl vorhanden ist, von den Problemen des Alltags überrollt zu werden. Dazu kommt, dass ich mich völlig unausgelastet fühle“, sagte sie leise.
„Das kenne ich.“
„Ich bin jetzt knapp über vierzig – und habe oft das Gefühl, ich werde nicht mehr gebraucht, gehöre zum alten Eisen. Wenn ich Karsten nicht hätte ...“
„Also werden Sie doch gebraucht – und zwar dringend“, erwiderte Bruno und lächelte sie an.
Sie sah ihm direkt in die Augen. „Meine Mutterrolle allein füllt mich nicht aus. Karsten ist ein sehr selbstständiges Kind – ich spreche von der beruflichen Perspektive.“
„Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, was Sie machen würden, wenn Sie nicht Redakteurin wären?“, fragte er.
„Nein. Ich könnte mir auch kaum mehr vorstellen, in einem anderen Beruf zu arbeiten. Gerade der Journalismus hat etwas Magisches für mich.“
„Kann ich verstehen, ginge mir wahrscheinlich ebenso.“
„Man gilt hier in unserem Land nichts mehr, wenn man erst einmal ein gewisses Alter erreicht hat. Erfahrung zählt so gut wie gar nicht.  Überall werden ausschließlich junge Leute zwischen zwanzig und dreißig gesucht, mit Hochschulstudium, möglichst multilingual, mit zehn Jahren Auslandserfahrung und zwanzig Jahren Berufspraxis. Und dann sollten die Gehaltsvorstellungen aber bitteschön im Rahmen bleiben, Überstunden inklusive natürlich ...“

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2010-08-21 08:16