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Tagebuch Doc12
2010-08-18 08:56
Der weinende Clown - 27

Donatello, du ungezogener Junge, das tut man nicht, komm sofort her!“, rief seine Mutter und ihr Gesicht hatte strenge Züge. Normalerweise nannte sie ihn liebevoll „Doni“, doch immer dann, wenn sie seinen Namen korrekt und in der vollen Länge aussprach, wurde es für ihn gefährlich.

„Entschuldige Mama – ich tu’s auch nicht wieder“, sagte er kleinlaut, während er auf seine Mutter zulief, die ihm, sobald er in Reichweite war, eine schallende Ohrfeige versetzte. Donatellos Gesicht verzerrte sich schmerzhaft, die Ohrfeige brannte – nicht nur körperlich, sie hatte auch einen Brandfleck auf seiner kindlichen Seele hinterlassen. Noch nie, solange er sich erinnern konnte, hatte ihn seine Mutter geschlagen. „Das, was einem anderen gehört, gehört nicht dir und man darf es nicht einfach nehmen! Donatello, du bist ein Dieb!“ Betroffen sah Donatello den roten Apfel an, den er in der Hand hielt.
„Bring ihn sofort zurück, hörst du! Sofort! Und entschuldige dich!“ Seine Mutter hatte ihn an der Schulter gepackt und zerrte ihn nun über die Straße an den Stand des Obsthändlers. „Nun geh! Entschuldige dich und gib den Apfel zurück“, herrschte ihn die Mutter an.
Er ging langsam auf den Obsthändler zu, einen älteren, grauhaarigen Mann mit Schnauzbart und einer schwarzen Baskenmütze auf dem Kopf.„Entschuldigen Sie bitte, hier ist Ihr Apfel zurück. Ich habe ihn vorhin gestohlen. Es tut mir leid, ich bin ein Dieb“, sagte er leise, sah beschämt zu Boden und streckte ihm den roten Apfel entgegen.
Der Mann zögerte einen Moment, sah ihn überrascht an und strich ihm dann liebevoll über das Haar. Dann ging sein Blick zur Mutter, die mit dunklen, ärgerlich funkelnden Augen hinter ihrem Sohn stand. „Du bist kein Dieb, mein Junge – du hast mir den Apfel ja unversehrt wieder gebracht. Ich danke dir.“ Zur Mutter gewandt, meinte der Mann: „Es ist nur ein Apfel, liebe Frau – nur ein Apfel.“

„Auch wenn es nur ein Apfel ist“, hörte Donatello seine Mutter sagen, „er hat das Eigentum anderer zu respektieren. Hier geht es nicht um einen Apfel, hier geht es um ein Prinzip.“
„Sie sollten nicht so streng mit ihm sein, liebe Frau.“
„Ich sehe das anders. Ich möchte, dass mein Sohn ein ordentlicher Mensch wird. Heute ist es ein Apfel, morgen sind es zwei Äpfel, übermorgen ist es eine Geldbörse und irgendwann ist es ein Auto. Wehret den Anfängen!“
„Im Grund haben Sie Recht“, erwiderte der Mann und ich denke, er hat die Lektion verstanden. Ich kenne Ihren Sohn übrigens. Ein lieber Junge, wir haben uns schon ein paar Mal unterhalten, wenn er vorbei kam. Er ist immer sehr lustig und schneidet oft so ulkige Grimassen. Ich glaube, aus ihm wird eines Tages einmal ein Clown.“ Der Obsthändler lächelte. Dann meinte er zu Donatello gewandt: „Aber deine Mutter hat Recht – und ich bin der Meinung, Strafe muss sein.“
„Strafe?“, wiederholte Donatello leise und bekam große Augen.
„Ja, genau. Strafe. Du musst mir dafür einen Tag lang hier am Stand helfen.“

Donatello strahlte über das ganze Gesicht, sah zu seiner Mutter auf und fragte: „Au ja, Mama, darf ich?“
Seine Mutter lächelte ihn an, jeglicher Ärger war aus ihrem Gesicht verschwunden, als sie sagte: „Du darfst nicht, mein Sohn! Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Du musst!“
„Gleich morgen?“, fragte Donatello.
„Meinetwegen“, antwortete die Mutter.
„Gut, mein Kleiner – dann sehen wir uns morgen früh um acht Uhr“, meinte der Obsthändler lachend und klopfte ihm auf die Schulter.

Auf dem Heimweg lief Donatello eine Weile schweigend neben seiner Mutter her. Doch plötzlich suchte er ihre Hand und hielt sie fest. „Mama“, sagte er leise, „ich mache so etwas nie wieder, ich versprech’s dir!“
„Ich weiß, Doni. Lass uns nie mehr darüber reden, ja?“

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