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Tagebuch Doc12
2010-08-14 08:28
Der weinende Clown - 23

Eine kurze Pause entstand. Dann fragte sie: „Und? Haben Sie jemanden angetroffen?“
Sie lächelte, doch dann verhärteten sich ihre Gesichtszüge plötzlich und
etwas nachdenklich meinte sie: „Ich habe auch geschrieben. Aber das ist schon fast zwei Jahre her.“
„Und jetzt nicht mehr?“, fragte Bruno.
„Nein. Ich wurde gekündigt.“
„Was haben Sie gemacht?“
„Ich war Redakteurin bei einer Modezeitschrift. Es war mein Traumjob.“
„Was heißt: Sie waren Redakteurin? Sie sind es doch immer noch. Sie schreiben nur nicht mehr für diese Modezeitschrift.“
Sie dachte einen Moment nach, dann meinte sie: „Stimmt eigentlich, Sie haben Recht. Also gut: Ich bin Redakteurin.“
„Und? Haben Sie schon einen neuen Job in Aussicht?“
„Nein“, antwortete sie leise und fuhr fort: „Genau das ist ja mein Problem. Mit arbeitslosen Redakteuren und Journalisten kann man heutzutage die Straßen pflastern. Momentan sind sogar Leute arbeitslos, die zehnmal besser sind als ich.“
„So schlimm?“
„Ja.“
„Von was leben Sie dann? Darf ich das fragen?“
„Hartz IV, dazu habe ich noch etwas Kindergeld. Ich habe einen fünfjährigen Sohn.“
„Hartz IV? Das ist ja wie offener Strafvollzug, der Tod jeder Kreativität. Und Ihr Mann?“
„Ich bin seit drei Jahren geschieden.“
„Das tut mir leid. Zahlt er Ihnen keinen Unterhalt?“
„Nein, er arbeitet momentan nicht. Er ist seit geraumer Zeit auf Entzug. Alkohol.“
„Oh Mann! Dann haben Sie aber auch eine Menge mitgemacht, nehme ich an.“
„Das können Sie laut sagen“, meinte sie leise und nickte, dann erzählte sie weiter: „Ich bin froh, wieder allein zu sein. Diese Ehe war eine Tortur – obwohl es eine Liebesheirat war. Es begann alles ganz langsam und schleichend, doch wie es oft so geht im Leben: Der Alkohol, anschließend sein Rauswurf aus der Firma, dann war nie Geld  da, er war streitsüchtig, hat mich und den Jungen schikaniert und hätte ihn der Arzt nicht zur Einsicht gebracht, ich glaube, er hätte sich totgesoffen. Vermutlich sah er keinen anderen Ausweg mehr.“

Bruno nickte und sah sie interessiert an, dann ging sein Blick zu Boden. „Das kenne ich auch.“
„Sie? Alkohol?“, fragte sie verwundert.
„Nein. Aber ich kenne das Gefühl, wie es ist, wenn man für sich keine Perspektive mehr sieht.“
„Aber Sie sagten doch, Sie seien Schriftsteller und hätten Bücher und Theaterstücke veröffentlicht. Vermutlich schreiben Sie doch noch weitere Bücher und das ist doch eine Perspektive. Oder etwa nicht?“
„Man kann nicht so richtig davon leben, es sei denn, man hat einen Bestseller geschrieben, besser noch: mehrere. Als normaler Autor führt man eher das Dasein eines Hungerleiders – ungefähr so wie Carl Spitzwegs ,Armer Poet’.“
„Aber warum schreiben Sie dann überhaupt noch?“
„Weil es mir ähnlich ergeht wie Ihrem Exmann: Auch Schreiben kann eine Sucht sein, eine Leidenschaft, die einen in den Krallen hat und nur schwerlich wieder los lässt. Dazu kommt, dass man als Schriftsteller oftmals glaubt, man müsste den Menschen etwas sagen oder mitteilen. Genau genommen ist es jedoch Schwachsinn. Es bringt nichts, weil man meist nicht verstanden wird.“
„Aber Sie schreiben doch Humor – das ist doch immer gefragt!  Besonders in der heutigen Zeit!“
„Glauben Sie? Ich nicht. Der Humor hat sich gewandelt, ist oberflächlich geworden, Comedy ist angesagt. Die Leute lachen sich halbtot, wenn eine alte Frau auf einer Bananenschale ausrutscht oder einer den Kasper spielt – das finden sie ganz toll – doch mit tiefsinnigem Humor lockt man kaum einen Hund hinter dem Ofen hervor. Das, was heute als Humor bezeichnet wird, verdient diese Bezeichnung sehr oft nicht – es handelt sich meist nur um Häme, Schadenfreude, Gehässigkeit – bestenfalls noch um Sarkasmus. Der Unterschied ist ungefähr der gleiche wie der zwischen einem feinsinnigen Witz und einer Zote. Sehen Sie sich doch nur mal die verschiedenen Fernsehsendungen an – eine Verblödungsmaschinerie ersten Ranges.“

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