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Tagebuch Doc12
2010-11-02 15:47
Der weinende Clown - 102
Bruno wurde bleich und erstarrte. Er war sprachlos, erstaunt und erschüttert zugleich. Wie konnte das sein? Da lag der Mann neben ihm, über den er gerade einen Roman schrieb! Er weigerte sich beharrlich, an einen Zufall zu glauben, das war kein Zufall – nein, das war göttliche Fügung! Das hatte der alte Herr dort oben arrangiert ... Und schlagartig wurde ihm bewusst, weshalb er hier gelandet war. Doch wo war der eigentliche Sinn des Ganzen? Was steckte in letzter Konsequenz dahinter? Immer und immer stellte er sich diese Frage – doch nach wie vor blieb sie unbeantwortet.
Schon seltsam, dachte er, und paradox zugleich, dass ein Schriftsteller seine Romanfigur plötzlich real neben sich liegen findet – ausgerechnet in einem Krankenhaus ...

Er schüttelte ungläubig den Kopf. Doch was hatte er sich zu Beginn seines Romans voller Elan vorgenommen? Plötzlich fiel es ihm wieder ein: Er wollte diesem Clown nun endlich Leben einhauchen, ihn aus der Traumwelt befreien, ihm ein Gesicht, einen Charakter geben – ihn zur Aktivität erwecken, ihn sozusagen erschaffen...

„Nun hast du es“, sagte er laut zu sich selbst und fügte hinzu: „Ich glaube, ich werde verrückt!“
„Führst du öfter Selbstgespräche?“, hörte er Donatello fragen. Bruno schüttelte verneinend den Kopf und lächelte. „Sehr selten – nur bei ganz bestimmen Anlässen.“
„Ich will ja nicht neugierig sein – aber was treibst du eigentlich so den ganzen Tag über?“, wollte Donatello wissen.
„Ich bin Schriftsteller.“
„Du schreibst Bücher?“
„Das haben Schriftsteller so an sich.“
„Kann man davon leben?“
„Zeitweise – aber das weiß man vorher nie. Erst dann, wenn das Buch erschienen ist.“
„Und die übrige Zeit?“
„Überlegt man sich, wie man leben soll.“ Bruno lächelte etwas gequält.
„Warum machst du dann nichts anderes?“
„In meinem Alter? Ich bin längst über fünfzig – da gehört man in Deutschland zum alten Eisen, mein Lieber! Wenn man sich irgendwo bewirbt, dann lachen die einen bloß aus.“
„Wenn man Arbeit sucht, dann findet man auch eine.“
„Klar findet man Arbeit – die Frage ist doch nur, ob und wie man davon leben kann.“
„Ich werde dem Zirkus auch ade sagen, wenn ich wieder auf den Beinen bin.“
„Und was machst du dann?“
„Das habe ich mir noch nicht gründlich überlegt. Eines weiß ich aber sicher: Ich will sesshaft werden. Immer dieses ewige Umhertingeln mit dem Zirkus – heute hier und morgen dort – das ist nicht mehr mein Ding. Vielleicht gehe ich zurück nach Italien – vielleicht.“ Nach einer kurzen Denkpause fragte Donatello: „Was schreibst du denn gerade?“
„Einen Roman.“
„Du bist Romanschriftsteller? Über was schreibst du denn?“
„Wenn ich dir das erzähle, würdest du es nicht verstehen und mir höchstwahrscheinlich auch nicht glauben.“
„Na – du machst es vielleicht spannend ... Nun sag schon.“
„Ich schreibe gerade einen Roman über einen Zirkusclown“, antwortete Bruno vorsichtig.
„Nicht möglich! So ein Zufall! Und jetzt hast du einen Clown kennen gelernt.“
„Ich glaube nicht, dass dies ein Zufall ist.“
„Und weshalb nicht?“
„Weil ich erstens nicht an Zufälle glaube und zweitens heißt dieser Clown genauso wie du: Donatello Castiglioni. Eigenartig, nicht?“
„Ich glaube es nicht!“ Donatello richtete sich leicht auf und sah Bruno geradewegs in die Augen. „Und was steht da drin?“, fragte er interessiert.
„Viele Dinge aus deinem Leben.“
„Das gibt’s doch gar nicht! Du hast mich doch eben zum ersten Mal gesehen! Das kannst du doch nicht wissen! “
„Anscheinend doch.“
„Was denn zum Beispiel?“
„Ich weiß, dass du nach der Vorstellung zusammengebrochen bist – in deiner Garderobe. Danach warst du klinisch tot.“
„Das zu wissen, ist wohl keine Kunst – ich selbst habe es dir vor zwei Minuten erzählt!“

„Kanntest du in deiner Jugendzeit mal ein Mädchen namens Gina, das dich verlassen hat?“
„Gina ... Was mag wohl aus ihr geworden sein?“, murmelte Donatello leise, sein Blick wurde nachdenklich. Plötzlich fuhr er wie von der Tarantel gestochen hoch. „Woher weißt du das alles? Das kann doch nur ich wissen!“

Beide Männer sahen sich schweigend an. Nun war auch das Gesicht des Clowns starr und bleich geworden.
Bruno lächelte. „Das kann ich dir nicht sagen.“
„Zufall – nichts als Zufall“, murmelte Donatello irritiert.
„Kanntest du mal einen Obsthändler, der Pepe hieß? Ihm hast du als Junge einen Apfel geklaut und dafür von deiner Mutter eine Ohrfeige bekommen. Später hast du dir bei ihm deine erste Gitarre verdient.“
„Und du sagst mir jetzt auf der Stelle, woher du das alles weißt!“, herrschte- Donatello ihn ärgerlich und völlig verblüfft an. Er schien vor Neugierde fast zu platzen. Bruno wunderte sich über sich selbst. Wieso hatte er nicht geschwiegen? Warum diese Details offengelegt? Irgend etwas in seinem Innern drängte ihn, darüber zu sprechen.

Kommentare


unbekannt
06:10 03.11.2010
Jetzt können sie das Buch gemeinsam fertig schreiben. Got ist aber auch ein Lümmel.

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2010-11-02 15:47