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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch der_major
 1945-08-23 hh:mm
Donnerstag, den 23.8.45 So lan...
Donnerstag, den 23.8.45
So lange hatte ich wenig Zeit und fast noch weniger Lust einzuschreiben. Wozu auch? Er kam ja nicht. Aber der Reihe nach. Am Freitag die Untersuchung war wie ich Sonnabend erfuhr negativ. Am Dienstag war ich bei Dr. Mendel mit dem Bescheid und es ist bezeichnend, dass die Schwester gleich meinte, dann könne ich doch gehen. Ich fand „oho“ denn schließlich wollte ich ja meinen Ausfluss loswerden. Nun, Dr. M. verschrieb was, ohne mich überhaupt zu untersuchen. Das war also am 31.7.
Seit dem 31.7. nehme ich nun doch noch an dem Lehrerausbildungskurs teil. Am Sonnabend und Montag hatte ich mit den Kindern der Mellerschule Erntehilfe zu leisten. Montags früh meinte der Schulrat zu mir, wieso ich denn Lehrkraft sei. Ich hätte ja gar keine abgeschlossene Bildung. Ich machte darauf aufmerksam, dass er mich ja eingesetzt habe, ich hatte ihm ja gesagt, usw. Ja, dann gehen Sie ab morgen in den Kursus. Ich zeigte wenig Begeisterung dafür, da fing er gleich an: „Ja, dann kann ich Sie natürlich im Oktober nicht wieder einstellen. Wen Sie da in der Zeit, wo die Arbeitslosigkeit kommt das möchten, sie müssen es ja wissen.“ Hui, auf den habe ich einen Pik, seit er bei der Konferenz davor (am Freitag wohl) so sehr taktvoll den raus gesetzten Lehrern dankte, indem er feststellt in der Dankbemerkung, dass er nicht mit ihnen zufrieden gewesen sei und auch sonst etwas merkwürdig im Ton war. Ein Schrei nach Objektivität geht durch die Lehrerschaft, sagte mir nachher mal eine Lehrerin. Jedenfalls ging ich mit Widerwillen in den Lehrgang, da ich ja nicht wusste, wann die Uni evtl. beginnt. In punkto Berufsleben ist das sehr wichtig. Je länger ich den Betrieb der Schule vor Augen habe, desto mehr graule ich mich davor. Und immer mehr kommt der Wunsch zutage, dass ich russisch zur Dolmetscherin lernen möchte. Da mich die Politik, die Idee des Kommunismus täglich mehr in ihren Bann zieht, wird der Wunsch immer stärker, als Dolmetscherin da vermitteln zu können. Es ist doch so, dass ich mir da einiges Sprachtalent und auch Sprechtalent zutraue. Vor kurzer Zeit las ich, dass die Rachow-Schule wieder läuft. Vielleicht kann ich bei Onkel Otto wohnen und von Friedenau nach Dahlem einen guten Schulweg haben. Bald soll die S-Bahn bis hier heraus gehen. Dann ist das späte Heimkommen kein Problem mehr. Fast wäre dies zu schön, um so werden zu können. Vor allem, wenn dann er aus Moskau kommt, was wird er sich freuen. Ach, ich bin nicht nur verliebt. Ich liebe ihn, den Russen. Kommt daher wohl der ehrliche Wille das russische Volk zu verstehen, trotz allem, allem was noch täglich geschieht. Überall gehen die Diebstähle und Plünderungen weiter, hier und dort geschehen noch Vergewaltigungen, aber ich kann die Russen weniger als je für böse halten. Ein Volk der Kinder, die Russen. Er ist ja nicht Russe im Wesen, er ist eben Grusinier. Was mir an den Russen unheimlich ist, dieser harte, runde Schädel mit dem typischen, oft tierstumpfen Gesicht, das fehlt ihm ja. Der Klang der Russenstimme, dieser helle Ton, die Rauheit der Sprache es nicht – Aber erst weiter in der Zeit. Es steht fest, wenn es mir möglich ist, fange ich im Herbst einen Dolmetscherkursus an. Die Gesundheitsfrage ist insofern noch nicht klar, als ich inzwischen bei Dr. Lauter war. Er ließ mich direkt nach der Periode wieder kommen, machte auch einen Abstrich am 17. und bekam das Ergebnis: negativ. Er verschrieb mir etwas zum Spülen mit dem Vorbehalt, ich könne es ja versuchen. Eigentlich nötige Medikamente fehlen zurzeit. Es scheint zu helfen. Nach 1-1 ½ Wochen Spülen werde ich wieder hingehen. Er will es doch evtl. energischer behandeln. Mein wichtigster Erlebniskomplex ist auch erweitert. Am Freitag, den 10.8. wollte ich gerade zum Kursus gehen. Mir war schon vorher ab Montag etwa so besser, obwohl mir Dr. L. am Montag noch mal die Möglichkeit einer ernsten Krankheit vor Augen führte. Es erschütterte mich nicht. Im Gegenteil, ich war so fide. Und nun hielt…
Am Freitag, den 10.8.
… ein Auto bei uns. Mutti guckt: Der Kinderschreck. Ich hoch und raus. Den Graptan freudestrahlend begrüßt. Da taucht hinter ihm Gertrud au und Nikolaus. Nun war ich enttäuscht. Wo ist der Major? Er war in Moskau, schon wieder. Viele Grüße natürlich sollten sie bestellen. Jetzt waren sie mit 2 Kapitänen da bei Gertrud. Ich sollte auch hinkommen. Wie gern tat ich das, um endlich wieder einmal was von B. zu hören. Rasch nahm ich alle die Briefe, die ich so im Laufe der Zeit geschrieben hatte und steckte sie in ein Kuvert. Dies konnte ja nun endlich mal abgegeben werden. Dass B. in M. war und bei der Rückkehr wohl hier vorbei käme erfuhr ich erst nach und nach. Es ging alles so durcheinander. Und wieder diese geheimnisvolle Sache. Als ich den Brief bei G. am Tisch adressierte, winkte mir N ab. Es sollten die Kameraden nicht die Adresse sehen. Auch von ihm sprechen sollte ich nicht. Nun, das war hart. Zunächst unterhielt ich mich vortrefflich mit meinem Russisch, von dem Nikolaus schon wieder erzählt hatte. Dann aber meinte der Alexander Micha Graptan zu mir: einen Moment. Wir gingen hinaus und da fing Alexander an mir sozusagen „ins Gewissen zu reden“. Er hatte vielleicht Angst, dass ich mit dem einen der Kapitäne anbändeln könne oder so. Wie ein treuer Hund wachte er über das Eigentum seines Herren. In dem Moment hatte er meine uneingeschränkte Sympathie und ich betrachtete ihn – da Nikolaus sich mit Gertrud entfernte – als den Verbündeten und Vertrauten. Welche Freude war es für mich das unbeholfene Deutsch des Fahrers zu hören, als er erklärte: „Major liben Ursula viel viel, Kapitan (also einer von denen dort drinnen) nix liben. Wenn fahren weg, nix liben. Majorr immer liben viel Ursula.“ Was wollte ich mehr, als diese Versicherung aus dem Munde des kindlich-tierhaft anhänglichen Untergebenen. So trank ich nach der Rückkehr ins Haus demselben zu: „Auf das, was wir lieben!“ und werde wohl vor Glück gestrahlt haben. Ich saß neben dem Micha und plötzlich suchte er den Brief. – Da ich Nikolaus nicht heimlich erreichen konnte, gab ich ihn dem Fahrer. Und nun suchte er ihn. Schließlich fand er ihn und hatte dabei – zufällig? – Bilder von sich und dem Nikolaus hervorgeholt. Ich suchte sie durch, doch er sagte darauf schon vom Major sei keines bei. So war ich enttäuscht. Nun weiß ich nicht mehr genau, kam Emma mit ihrer Ingrid schon vorher oder später, ich glaube vorher, doch ist das für mich so wichtig. Jedenfalls bat mich der Micha wieder auf „ainen Mo-ment“. Ich hatte dieses Mal wenig Neigung, doch er fing dauernd an. Schließlich war ich doch gespannt, was es noch gäbe. Ich hatte mich, um jeden Verdacht zu vermeiden, ja doch fast völlig von den anderen Rüsshis zurückgezogen und mich mit Micha unterhalten, sonst hätte er sich in seiner Besorgnis wieder beunruhigt gefühlt. Also gingen wir hinaus. Es wurde schon recht dämmerig. Er ging zum Auto, wir wollen uns doch hinsetzen. Nun, das lehnte ich strikt ab. „Kom’“, bat er. Mir wurde merkwürdig zu Mute. Undenkbar, dass er als Kamerad und gutes Hündchen seines Herren… ! – Ich ging rasch zum Haus hin. Da kam er nach, ganz brav und bat mich stehen zu bleiben. Ich wartete mit einem gewissen Gefühl der Unsicherheit. Als er da war, fragte ich ihn, was er denn vom Major hätte sagen wollen. Diese Erinnerung an B. war wohl gut, dennoch umarmte er mich plötzlich fest und hob mich einmal hoch, um dann so gleich loszulassen. Ich muss gestehen, dass ich zwar hoffte, aber nicht recht glaubte, dass das eine Handlung der Freude über meine alleinigen Gedanken an den Major gewesen war. Da rief plötzlich eine Stimme vom Gartentor. Mein Vater kam. Oh, dachte ich, es dauert ihm hier zu lange. Doch dann war ich auch empört, als Papa erzählte, dass Nikolaus und Gertrud bei uns saßen, während ich hier den Maítre de Plaisir und stellvertretende Gastgeberin spielen sollte. Ich erklärte, sobald es angängig sei, zu kommen. Ging hinein, um meine Sachen zu holen und mich zu verabschieden. Ja, die Haches waren schon da gewesen. Als ich hinein kam, sagte ich, dass ich gehen wollte und der Russenkapitän wollte mich begleiten. Das ging nicht, ich müsste mich an „Micha“ wenden, denn allein wagte ich mich doch nicht über die Straße. Der unterhielt sich aber so gern jetzt mit Emma und sie mit allen. So war es auch schwer sie zur Begleitung zu bewegen, angeblich weil sie Ingrid nicht so gern allein da lassen wollte. Doch schließlich hatte ich sie beide so weit, mich zu bringen. Nein, wir wollten fahren, fand „Alexander“. Wir saßen im Wagen und er fing an diplomatische Verhandlungen mit Emma zu pflegen, während ich allein im Fond lauerte. Da kamen Nikolaus und Gertrud. Ich hatte auf deutsch eine „Sauwut“ auf sie. Und ließ mich nun mit ihnen nach Haus fahren. Da ich vorne saß, konnte der Graptan sich nicht verkneifen mir mal die Hand aufs Knie zu legen. Ich fand die Situation schrecklich. Bei solchen richtig russischen Russen weiß man wahrhaftig nie, wo die Sympathie in Peinlichkeit übergeht. Nun, wir stiegen rasch aus. N und G kamen noch mit herein, um sich zu entschuldigen, denn ich hatte aus unserer Ansicht über dieses Benehmen wenig Hehl gemacht. Und da hatte ich noch eine Freude: Nikolaus versicherte mir auch: „Major viel lieben Ursula. Immer denken denken. Werden ganz so:“ Damit machte er mit der Hand ein hohlwangiges Gesicht vor, indem er sich über das Gesicht fuhr. Das war herrlich. Statt Mitleid mit dem verhärmten Major zu spüren, fühlte ich heiße Freude. – Übrigens sagte Nikolaus hierbei das erste Mal nicht „Major“ wie gewöhnlich, sondern „Berezsal“. Es war, als seien sich die beiden durch die Gedanken an Orbg.-Eden und vielleicht gemeinsame Pläne näher gekommen. Jedenfalls behielt ich diese guten Worte als Abschied im Herzen. Mutti erzählte mir nachher, dass N. gefragt habe (wie auch die Gertrud), ob ich nix lieben andere Kamerad. Wenn der wüsste, wie ich in den 6 Wochen auf eine Nachricht gelauert habe, wie wenig mir der Sinn nach „andere Kamerad“ stand, er wäre beruhigt gewesen. Doch auch so war er es auf Muttis Verneinung hin. – Nun begann für mich aufs neue Warten: Nächste Woche, irgendwann. Natürlich konnte ich nun nicht zur Universität fahren. Es könnte ja sein, dass er inzwischen käme. Obwohl mir Gertrud, die ich morgens mal traf, erzählte, dass Nikolaus wohl am meisten mit dem Sonnabend rechne, wagte ich auch vorher nicht fort zu fahren. Dabei war mir so froh und ungeduldig. War das schön. – Am 17.8. war ich dann wieder bei Dr. Lauter.

Am 18. August 1945
ging ich von dem Kursus aus zu Dr. Lauter und holte mir den ganz beruhigt gegebenen Bescheid „negativ“. Als er mir ausführen wollte, was er als Behandlung tun wollte, entschuldigte ich mich und lief davon. Ja, kein Minütchen zu verlieren, wenn er vielleicht bald käme. Mir war so aufgeregt froh und erwartungsvoll auf dem Heimweg. Es war trotz der netten Überraschung ein wenig Störung, dass ich zu Hause Tante Hanna fand. Sie war regulär mit dem Zug gekommen und ganz die Alte. Sanft auf evtl. Fälle vorbereitet, war sie im Grunde doch konsterniert.

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der_major Offline

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