Zwischenbilanz
Schlurfende Schritte auf dem Linoliumboden. Gebückte Gestalten wandelten wie Schatten über die Gänge. Ich saß in der hinteren Ecke des langen Flurs, hielt mit der linken Hand das Gestänge mit dem Plastikbeutel fest. Ich ließ meinen Blick entlang der gekachelten Wände gleiten. Die Bilder dort konnten mir kein Trost geben. Ich kam ins Gespräch mit einem alten Ehepaar. Er hatte sich die Hüfte gebrochen, lag wochenlang in Gips. Jetzt war seine Frau da. Auf ihn gestützt gingen sie ins Dunkel des Flures.

Ich blieb sitzen, dachte über mein Leben nach. Mehr als die körperliche Wunde, die ich von der Operation noch hatte, schmerzten die seelischen. Mein Vater... Eine riesengroße Lücke klaffte da in meinem Leben, schmerzlich bohrte sich die Erinnerung an jene Tage in mein Bewußtsein. Tage, die mein Leben änderten. Es schien, als bliebe plötzlich die Welt stehen, als ich die Nachricht vernahm, die Nachricht, dass er es nicht geschafft hatte...

Verglichen dazu, war die Trennung von meiner Freundin nach über 11 Jahren einfacher. Oder sagen wir so: dieser Schmerz wurde mir nicht in dem Maße bewußt, wie sie es eigentlich verdient hätte. Wie auch immer, diese Gedanken, diese Gefühle gingen mir durch den Kopf, als ich da so alleine auf dem gekachelten Flur saß, und die Gestalten weiter leise in der Dunkelheit schlurften...

Das Ganze ist jetzt über 3.5 Jahre her. Damals wurde mir bewußt, dass sich mein Leben ändern mußte. Ich wollte nicht allein sein! Das Gefühl der Einsamkeit –früher manchmal als einen guten alten Freund begrüßt- sollte nicht mein Leben bestimmen. Monate später trat ich die Reise nach Ägypten an, eine Reise, die ich ein Jahr vorher abgesagt hatte, weil mein Vater gestorben ist. Auf diese Reise sprach ich eine junge Frau an, in deren grüne Augen ich nun schaue, während wir auf unserem Balkon sitzen und den Sonnenuntergang genießen.

Was ist alles seit damals passiert? Und dieses Jahr ist wirklich der bisherige Höhepunkt. Es begann mit meinem 40sten Geburtstag, dann heiratete meine damalige Freundin. Wie glücklich wir waren und sind, dass wir unsere Trennung und somit unser Leben wieder in den Griff bekommen haben. Jetzt kommen die nächsten Ereignisse. Eines hatten wir anfangs nicht eingeplant. Spontan haben wir ein Haus gekauft, dass sich nur ein Steinwurf von hier entfernt befindet. In wenigen Monaten können wir dort einziehen. Es hat einen wunderschönen großen Garten, mit vielen Bäume. P. sagt, dass es dieser Garten wohl sein wird, wo unsere Kinder spielen werden. Kinder... für mich immer noch unvorstellbar. Als wir vor einigen Tagen zum wiederholten Male durch dieses Haus gingen, betrat ich das Wohnzimmer, schaute rechts durch die Terrassentür in den Garten. Plötzlich hatte ich das Gefühl, nicht ich selber, sondern mein Vater stünde hier, und der Ort war nicht dieses Haus, sondern dass meiner Eltern, wo ich meine Kindheit verbracht hatte. Lange ist es her...

...

„Weißt du was? Weißt du, wie dieser Grundriß aussieht?“

Mein Bruder schaut mich an.

„Ja“, entgegne ich, als sich unsere Blicke nach dem Studieren des Planes wieder trafen.

„Genauso wie das Haus unserer Eltern... Komisch, nicht?“

...

Die grünen Augen meiner Freundin schauen mich weiter an, Vögel gleiten lautlos am Himmel. Vieles hat sich geändert, seit dem ich damals auf diesem Flur saß. Ich werde dieses Jahr noch heiraten. Unglaublich...