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Tagebuch c.
2010-07-19 11:34
Zweifel. Ängste. Unsicherheiten.

Ich frage mich, warum ich mich immer gleich so schnell verunsichern lasse. Das ist echt nicht gut.

Eigentlich war alles gut. Bis gestern Abend. Angefangen hat es bei mir zu Hause. Ohne besonderen Anlass. Mein Herr Vater betrat den Raum und die Temperatur fiel gleich um ein paar Grad. Keine Ahnung, warum. Der Tonfall hätte nicht sein müssen.

Kurz darauf wollte ich fahren. Meiner Ma war meine Hose ein Dorn im Auge. Die Hosenbeine seien viel zu lang. Und an dem linken Hosenbein war der Saum aufgegangen, wodurch es noch ein bisschen länger war. „So kannst du doch nicht Auto fahren. Die Hosenbeine verfangen sich doch dann in den Pedalen.“ „Wie? Du läufst auch so auf der Straße herum? Das ist aber gar nicht gut.“

Kommentar meines Herrn Vaters: „Einmal Schlampe, immer Schlampe.“

Ich gehe jede Wette ein, dass den meisten Leuten das aufgesäumte linke Hosenbein im Leben nicht aufgefallen wäre. Und selbst wenn, ich bin bei weitem nicht die einzige Person, die mal mit ausgefransten Hosen herumläuft. Jeder andere hätte wahrscheinlich gesagt, dass ich an dem Tag mal wieder echt gut aussah, echt eine schöne Kleiderauswahl getroffen hatte.

Aber meine Eltern halten sich an Kleinigkeiten auf. Jedes Mal gibt es irgendetwas zu bemängeln. Jetzt im Sommer sind es meistens meine Schuhe. Mit denen kann ich nämlich nicht laufen und schon gar nicht Auto fahren. Auch gut zu wissen.

Wenn wirklich jedes Mal in irgendeiner Form an Aussehen oder Kleidung kritisiert wird, nervt das irgendwann und es verletzt auch.

Für diesen Sommer habe ich mir selber, unabhängig von meinen Eltern, zwei wirklich schöne Sommerkleider gekauft. Bei ihnen hatte ich sie noch nicht ein einziges Mal an. Obwohl sie mir echt gut stehen. Weil ich genau weiß, dass wieder irgendein blöder Kommentar käme und mir so die Laune an den Kleidern verdorben wäre.

Einmal Schlampe, immer Schlampe.

Das hat gestern richtig gesessen. Wieder einmal die Frage im Kopf: Wie kann man so etwas nur zu seinem Kind sagen? Schlampe übrigens nicht im Sinn von nuttig, sondern mehr im Sinn von Lumpenlager.

Auf der Fahrt nach Hause stiegen mir die Tränen in die Augen. Es war zwar letztendlich nur eine Kleinigkeit, aber es war die 350ste Kleinigkeit in den letzten Wochen und Monaten. Irgendwann kann und mag man auch einfach nicht mehr. Irgendwann geht es einem dann eben doch mal unter die Haut und verletzt.

Entsprechend dünnhäutig und verunsichert und leicht verunsicherbar kam ich dann hier bei  mir an. Und ließ mich dann gleich so sehr verunsichern, dass es bis heute anhält und zu so einem „Ich-Schmeiß-Alles-Hin-Eh-Von-Der-Anderen-Seite-Alles-Hingeschmissen-Wird-Gefühl“ geworden ist.

Im Grunde war gar nichts. Aber ich war ja schon immer ganz groß darin, aus lächerlichen Kleinigkeiten das ganz große Kino zu machen.

Aber es lag auch gestern an diesem „Du-bist-eh-Scheiße-Ding“, womit ich von zu Hause aus mal wieder beworfen wurde.

Eigentlich hatte ich gestern, unabhängig von ihm, dem Musiker, wirklich vor, früh ins Bett zu gehen. Das MSN sollte ausbleiben und ich wollte vor dem Schlafen nur noch auf diversen Seiten das nachlesen, was ich am Tag durch meine Abwesenheit zu lesen verpasst hatte. So, wie ich es vor dem ganzen Singlebörsenquatsch jeden Sonntag gemacht hatte. Ich wollte eigentlich mal wieder einen ganz normal ausklingenden Sonntagabend für mich. Und das hätte ich mal besser auch verwirklicht.

Aber ich konnte es dann ja doch nicht lassen. MSN an. Ich zwar unsichtbar, aber da. Er beschäftigt. Ich beschließe, mich sichtbar zu machen. „Vielleicht kommt er ja dann in angemessener Zeit zurück und wenn er sieht, dass ich online bin, schreibt er mich sicher an.“

Ein Teil von mir hasste mich schon da für diesen Gedanken und verfluchte mich dafür, dass ich nicht an meinen ursprünglichen Plänen festhalten wollte. „Lächerlich abhängig machst du dich. Nichts weiter. Wie die letzte unselbstständige, Gefallen heischende Tussi. Immer schön verfügbar. Verschwinde. Geh. Mach den PC aus. Und zwar sofort.“

Natürlich blieb ich. Das Ding war ebenfalls online und so unterhielten wir uns ein bisschen. War auch ganz nett. Zwischendrin war er mal wieder da, der Musiker, zwischendrin schrieb ich ihn also an, zwischendrin kam von ihm die Antwort, ich solle bitte einen kleinen Moment warten. Dann war es halb eins. Das Ding verabschiedete sich ins Bett und der kleine Moment dauerte auch schon fast eine halbe Stunde. Da endlich bin ich dann auch mal gegangen. Kurz noch mitgeteilt, dass ich mich für die Anreise per Zug entschieden habe. Gute Nacht gewünscht. Und weg.

Und heute? Heute will ein übermächtig großer Teil von mir, dass ich frühestens am Mittwochabend wieder sichtbar werde. Morgen hat mein Vater Geburtstag und ich bin nicht da. Und heute? Heute könnte man ja durch Abwesenheit mal so tun, als sei man nicht da, sei beschäftigt, damit nur ja nicht der Eindruck entsteht, dass mir das alles in irgendeiner Weise wichtig ist.

Ich distanziere mich. Ein großer Teil von mir distanziert sich. Warum? Weil die Angst jetzt da ist. Die Angst, dass es mir zu wichtig wird. Die Angst, dass es dann scheiße noch mal richtig weh tut, wenn es schief geht.

Danke an meinen Herrn Vater an dieser Stelle. Er hat es mit seinem Schlampensatz mal wieder geschafft, dass ich mir besonders all meiner (tatsächlichen und eingebildeten) Fehler bewusst bin und mich gerade aus vielen verschiedenen Gründen wieder so richtig scheiße und nicht liebenswert finde.

Einerseits ist mir klar, dass nur ein paar Minuten vor dem PC voller Sweettalking das alles wieder relativieren würden. Es wäre gegessen, es wäre ok und ich würde mich auf die nächste Woche freuen. Denn dem Verstand, dem wirren, dem komplexen, dem ist schon klar, dass es keinen Grund zur Verunsicherung gibt. Jeder ist mal beschäftigt und das hat nichts, rein gar nichts zu bedeuten. Es ist lächerlich, sich deswegen schlecht zu fühlen. Und genau das wäre nach nur ein paar Minuten „Gespräch“ auch mit Sicherheit durch Fakten untermauert. Kein Grund für Drama.

Andererseits….jetzt, so noch nicht, jedenfalls nicht gefühlsmäßig, wieder auf Kurs, ist irgendwie der Fluchtgedanke groß. Alles hinschmeißen. Schnell. Möglichst schnell. Es würde ja eh nicht gut gehen. Es würde ja eh alles ganz schlimm werden. Lieber gehen, ehe man verlassen wird. Lieber selbst kaputt machen, als kaputt gemacht zu werden. Lieber früh genug die Notbremse ziehen. Lieber rechtzeitig fliehen.

Ich hasse das. Und ich bin wütend auf meinen Vater. Ich kann ihn in diesem Moment wirklich gar nicht gut leiden. Ich hasse es, dass er mich mit Kleinigkeiten immer wieder dazu bringt, mich klein und schäbig und wertlos und nicht liebenswert zu finden. Ich hasse es, dass Kleinigkeiten von seiner Seite aus genügen, damit ich wirklich übelst an mir selbst zweifle. Manchmal wünschte ich echt, ich hätte die Stärke, dieses Band zu kappen. Mir ginge es ohne ihn glaube ich viel besser. Einfach, weil ich dann viel eher die Chance hätte, eine gesunde und auf Akzeptanz beruhende Beziehung zu mir selbst aufzubauen. Jedes Mal, wenn ich mich in diesem Punkt ein bisschen nach oben gearbeitet habe, ein Stückchen weiter bin, kommt von meinem Vater etwas, was mich wieder total zurückwirft und alles zerstört.

Es ist wie damals bei den alten Griechen mit Sisyphos. Ich wälze meinen Stein den Berg hinauf und oben steht mein Vater schlägt ihn mir aus der Hand und lässt ihn wieder herunterrollen, so dass ich wieder einmal von vorne anfangen muss.

Warum können sie mich nicht einfach loslassen, wie es sich für Eltern gehört? Warum können sie es nicht lassen, überall mitbestimmen zu wollen? Warum schaffe ich es nicht, mich von ihnen zu lösen? Warum kann ich mich nicht von ihren Wertungen unabhängig machen? Warum passiert es immer wieder, warum lasse ich es immer wieder zu, dass sie mir verbal so in die Fresse hauen, dass ich innerlich nur noch verkrümmt wie ein Häufchen Elend auf dem Boden liege?

Ich bewundere die Menschen, die die Kraft haben, den Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen, weil sie wissen, dass er ihnen nicht gut tut. Ich „kenne“ eine, die diesen Schritt gegangen ist. Vorerst. Für den Moment hat sie den Kontakt abgebrochen. Wann er wieder ohne das Gefühl des Drucks möglich ist, ist offen. Aber sie nimmt sich die Zeit, die sie braucht.

Das bewundere ich. Diese Stärke hätte ich nicht. Und doch wäre dieser Schritt wohl auch in meinem Sinn. Solange wir regelmäßig Kontakt haben, solange sie Einfluss auf mein Leben nehmen können, wird sich nichts ändern. Ich werde weiterhin bei jeder Verletzung nur schlucken und freundlich lächeln und mir nichts anmerken lassen. Es wird mich weiterhin trotzdem zutiefst treffen und nur wieder mehr zurückwerfen. Wenn sich nichts ändert, wird das ewig so ein. Ein Kreislauf.

Aber wie ändern? Was ändern? Ganz ehrlich? Ein Weglaufen, indem ich mir weit weg von hier einen Job suche und so noch größere räumliche Distanz zwischen uns bringe, kann auch nicht die Lösung sein. Die Besuche würden zwar unregelmäßiger, aber diese Situationen würden so ja nicht völlig verschwinden. Klare Grenzen müsste ich setzen. Aber wie macht man das, wenn man es nie gelernt hat? Wie macht man es, wenn man gleichzeitig Angst hat, die Eltern mit einem Machtwort vor den Kopf zu stoßen und sie zu verlieren?

Wenn ich nicht von zu Hause angeschlagen gewesen wäre, wäre das gestern kein Thema gewesen. Das weiß ich. Ich würde jetzt nicht zweifeln. Ich würde jetzt nicht fliehen wollen. Wenn ich das weiß, sollte ich es doch eigentlich auch nicht so weit kommen lassen. Es wäre doch wirklich enorm ärgerlich, wenn ich etwas, was einen wirklich ungeheuer viel versprechenden Eindruck macht, beende ohne es versucht zu haben. Es wäre mehr als ärgerlich, wenn ich Zweifel, Ängste und Unsicherheiten wirklich gewinnen lassen würde. So ein blöder Mist. Echt.

 

Kommentare

12:16 19.07.2010
ganz schlimm, dass dein vater wegen so ner lapalie gleich schlampe sagt. auch wenns nicht in der härteren seites des wortes gemeint war. es ist immernoch das selbe wort und es ist zutiefst abwertend.
wegen son bischen kaputt an der hose und so. echt übertrieben.
es wäre wohl besser seltener zu deinen eltern zu fahren, ganz den kontakt abbrechen könnte ich an deiner stelle wohl auch nicht.
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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2010-07-19 11:34