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Tagebuch c.
2010-12-18 01:18
Oh du Fröhliche
Manchmal wünschte ich, ich hätte den Mut, ein einziges Mal wirklich offen mit meinem Dad zu reden und ihm zu sagen, was ich über ihn denke.

Oh du Fröhliche, Weihnachten kann kommen.

Meine Ma erzählte mir heute am Telefon, dass mein Dad in letzter Zeit nur noch aggressiv ist. Verstärkt in dieser Woche. Bei den kleinsten Kleinigkeiten flippt er völlig aus. Sie erzählte mir auch, dass sie vor ihm nicht mal mehr am Schreibtisch im gemeinsamen Arbeitszimmer ihre Ruhe hat. Immer wenn sie arbeiten muss, ist er auch da. Da macht der PC seit kurzem Geräusche, die er vorher nicht machte und sie hört Murmeln und Lachen.

Seit 1 ½ Wochen hat mein Dad nun seinen eigenen MSN-Account. Vielleicht liege ich ja falsch, aber ich denke nicht.

Ich kann ihn sogar verstehen. Auf ganz verquere Art und Weise. Vor einiger Zeit erzählte er mir, dass er sich von meiner Ma im Stich gelassen fühlt, in Bezug auf seine Krankheit. Er erzählte mir, dass er das Gefühl hat, dass sie das alles gar nicht interessiert. Und er meinte: „Dann muss ich eben auch damit alleine klar kommen.“ Dass er sich dann möglicherweise jemanden gesucht hat, der ihm zuhört, ist letztendlich auch nur menschlich.

Aber ich kann auch meine Ma verstehen. Mein Dad hat im Frühjahr diesen Jahres pauschal für uns alle das Angebot der therapeutischen Unterstützung abgelehnt. Dabei hätte ich als Angehörige schon durchaus mal gerne von Leuten, die sich mit so was auskennen, gehört, wie man sich am besten verhält.

Denn in meiner Familie redet man nun mal nicht darüber, was einen beschäftigt. War schon immer so. Und verursacht das Probleme, mokiert man sich über dieses Nicht-Reden. Es ist also so schon schwierig genug.

Aber dann noch die Geschichte der beiden…Er hat meiner Ma so viel Scheiße zu fressen gegeben in all den Jahren. Ich kann sie auch verstehen, wenn sie nun sagt, dass sie sich mit ihrer Meinung zurückhält, weil sie am Ende nicht schuld sein will, wenn er doch die falsche Entscheidung getroffen hat.

Alles sehr komplex, sehr kaputt. Und ich stehe dazwischen und blicke als einzige durch. Oder auch nicht. Ich bilde mir zu mindestens ein, den Durchblick zu haben.

Es ist schon klar, dass man sich an andere Personen wendet, wenn man sich von bestimmten Leuten nicht verstanden fühlt. Es ist auch irgendwie logisch, wenn man sich dann irgendwann über die getroffenen Entscheidungen ärgert. Darüber ärgert, gefangen zu sein in einem Käfig, in dem man eh nur missverstanden wird.

Ich glaube manchmal, dass ich ihn weitaus besser verstehe als er mich. Irgendwie schade. Irgendwie traurig.

Es wird eskalieren. Ich sehe es kommen. Auch wenn meine Ma alles andere als internetaffin ist, blöd ist sie auch nicht. Sie wird früher oder später Rückschlüsse ziehen, sich an die Vergangenheit erinnern, an Zeiten erinnern, in denen er ähnlich aggressiv war und wegen nichts ausflippte.

Wenn er wenigstens so diskret wäre, die Lautsprecher auszuschalten und den PC nur zu benutzen, wenn er alleine im Arbeitszimmer ist. Aber Rücken an Rücken mit ihr….Das ist schon auch ganz schön unverschämt.

Ich würde ihm all das gerne sagen. Ich würde gerne zu ihm gehen und ihm sagen: „ Hör mal, ich kann dich verstehen. Ich verstehe es, dass du dich von uns nicht unterstützt fühlst. Ich verstehe, dass du dich alleine fühlst. Ich verstehe, dass du jemanden brauchst, der dich ernst nimmt und dem du dich anvertrauen kannst. Aber verstehst du nicht, dass sie, bei all dem Schmerz, den du ihr zugefügt hast, nicht anders kann. Dass sie das alles immer noch nicht verarbeitet hat, dass ihr dass alles noch nicht verarbeitet habt? Das, was du jetzt machst, ist auch keine Lösung. Es macht es am Ende nur noch schlimmer.“

Aber so funktioniert das nun mal nicht. Offiziell weiß ich bis heute nichts von der Affäre meines Dads. Alles was ich weiß, weiß ich von meiner Ma. Und er….geht wahrscheinlich davon aus, dass ich allerhöchstens eine Ahnung haben kann.

Ich wünschte, es wäre möglich, ihn offen zu konfrontieren. Oder auch nur Ängste und Bedenken zu äußeren.

Aber das ist es nicht. Es gibt ein paar Grundregeln, die in meiner Familie gelten. Das Leben ist eine einzige Frage des Willens und der Disziplin. Pflichtgefühl. Verantwortung. Man entscheidet sich für einen Weg und geht diesen dann auch. Und wenn es weh tut, muss man eben nur genug wollen. So löst man Probleme. Und alles, was sich nicht mit reiner Willenskraft lösen lässt, dass macht man eben mit sich selbst aus. Psychische Probleme existieren nicht, sie sind lediglich Ausreden für die eigene Faulheit. Solange man will, kommt man mit allen klar. Disziplin. Disziplin. Disziplin.

Ich kann nicht mit ihm reden. Denn egal, wie viel Mühe ich mir geben würde, feinfühlig und verständnisvoll vorzugehen, es würde nach hinten losgehen. Er würde sich so oder so angegriffen fühlen. Würde sich über mich aufregen, über meine Frechheit, meine Dreistigkeit, mit der ich mich einzumischen wage. Weil ich ihn nämlich am Ende so oder so an seinem wunden Punkt treffen würde. Weil wir beide wissen, dass ich eigentlich recht habe, aber er würde das nie zugeben können. Nicht mal vor sich selbst.

Meine Ma ist schlecht, wenn sie an das nächste Wochenende denkt. Mir ist schlecht, wenn ich an das nächste Wochenende denke. Und wahrscheinlich ist meinem Dad auch schlecht, wenn er an das nächste Wochenende denkt. Aber wir werden es alle ignorieren. Wir werden die Zähne zusammenbeißen und werden unser bestes geben, um uns selbst und den anderen eine besinnliche Weihnacht im trauten Familienkreis vorzuspielen. Wir werden alle im stillen Kämmerlein hoffen und beten, dass nur ja nichts passiert, was die Situation zur Eskalation bringt. Und wir werden wohl alle drei Kreuze machen, wenn dieses Weihnachten auch wieder hinter uns liegt.

Feiertage….Echt…Warum kommt es eigentlich immer da zu den meisten Familiendramen?

Vielleicht geht ja alles gut. Für nächsten Sonntag haben wir Opernkarten. Da wäre also nur ein halber Tag zu überstehen. Am Freitag fahre ich zu ihnen. Bin wohl irgendwann ab mittags da. Also auch nur ein halber Tag. Bleibt noch der erste Feiertag. Und dann die große Frage: Wie lange bleibe ich dieses Jahr bei ihnen. Am besten würde ich montags schon wieder fahren. Je kürzer ich dort bin, umso besser. Umso ungefährlicher. Oder auch nicht. Ich wünschte, ich hätte eine echte Alternative zu dem Theater. Ich wünschte, ich könnte plausible Gründe vorweisen, die mich von diesem Gedöns frei machen. Weihnachtstermine bei anderen Familien(mitgliedern) beispielsweise. Aber mit zu frühzeitigen Rückzügen muss man auch vorsichtig sein. Denn damit könnte man möglicherweise die Katastrophe erst auslösen.

Ja, ja. Das Weihnachtstheater. Jedes Jahr die größte Vorstellung unserer kleinen Ensembles, das von uns allen Höchstleistungen erfordert. Es ist eine gefährliche Gradwanderung, die nicht immer glückt.

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2010-12-18 01:18