Willkommen auf Tagtt!
Thursday, 25. April 2024
Tagebücher » c. » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch c.
2011-02-24 23:50
Lächelnd dem Abenteuer entgegen, lila Klopapier im Gepäck

In diesen düsteren, grauen Tagen, die oft so randvoll sind mit Selbstmitleid und Selbstzweifeln, ist es der Kontakt zu dem Rätsel, der zwischendrin immer ein kleiner Lichtblick ist. Inzwischen habe ich mich an seine Art zu schreiben gewöhnt. Es ist die Ausdrucksweise dessen, der nicht immer in der deutschen Sprache zu Hause war. Gleichzeitig ist er ein übersprudelnder Brunnen voller Ideen. Sprunghaft, ungeordnet, ein bisschen wirr. Von Hölzchen auf Stöckchen und wieder zurück.

 

Aber ich mag es, das Hin-und-Her-Geschreibe. Ich mag es auch deswegen, weil mir mit jeder Mail so viele lang vergessene Seiten von mir wieder einfallen. Erst Anfang der Woche erinnerte ich mich an mein schweres, schweres Shining-Trauma. Gestern lief er mal wieder, der Film. Die Filme, die ich von Stanley Kubrick kenne, mag ich sehr. Nur Shining….Man liest sehr viel Gutes und es juckt mich in den Fingern, mir den Film noch einmal anzuschauen, um mir selbst ein neues Urteil bilden zu können. Aber hier bin ich Schisser, durch und durch. Zu stark die Erinnerung an damals.

 

Ja, die Erinnerung an damals. Lange nicht mehr daran gedacht. Eine gute Zeit in meiner Jugendzeit. Dass es auch die gab, vergesse ich oft. Sleepover-Partys. Erster Alkohol. Die Vorgänger der Alkopops, knallbunte, süße Mischgetränke mit so schönen Namen wie Piri-Piri. Die ersten Zigaretten. Matratzenlager im Wohnzimmer. Flips mit Brunch. Und Stephen King. Ich war sehr stolz, damals mit 15, so gute Nerven gehabt zu haben. Alles kein Problem. Und dann kam Shining. Den Film sahen wir an einem Vormittag im Wohnzimmer meiner damals besten Freundin. Verteilt auf Matratzen und Sofas, mit Decken und Schlafsäcken. Die Rollos halb offen, es kam Tageslicht herein. Auftritt der Badewannentante. Wir haben uns so erschrocken. Wir haben so geschrien. Hielten uns alle an den Händen, die Augen fest zugekniffen, hörten nur noch ihre Stimme und schrien lauthals gegen den gruseligen Klang an.

 

Dieses Erlebnis hat sich so eingebrannt in meine Erinnerung. Ich bringe es beim besten Willen nicht über mich, mir Shining noch einmal anzuschauen. Zu mindestens nicht ganz alleine. So sehr es mich reizt, aber…das Erlebnis damals war doch sehr prägend. Ewig habe ich schon nicht mehr daran gedacht. Es ist schön, sich auch mal an solche Dinge aus seiner Vergangenheit zu erinnern.

 

Ähnlich ist es mit dem Comics. Ich hatte auch mal eine recht intensive Comicphase, früher. Klar, Sailor Moon musste sein, aber meine eigentliche Liebe gehörte Elfquest. Wölfe, Elfen, Magie…So richtig girly, so richtig Kitsch pur. Ich hab es geliebt. Eben dachte ich daran, wie schön das auch war, auf das zweiwöchige Erscheinen der Hefte zu warten, wie besonders es war, so ein neues Heft dann in den Händen zu halten. Wie viel Zeit ich damals damit verbracht habe, die ganzen Charaktere zu zeichnen. Gar nicht mal so schlecht. Tja…und dann, nach Amerika…blieb das auch irgendwie liegen, ich hab im Jahr 2000 vielleicht noch zwei, drei Hefte gekauft und dann…War es aus mit auch dieser Liebe. Schade eigentlich, denn so hören die Hefte irgendwo mitten in der Geschichte auf und ich werde wohl niemals mehr erfahren, was nun am Ende aus den Wolfsreitern wurde.

 

Ja, ja. Wordseitenfüllende Emails an das Rätsel zu verfassen, das tut mir gerade wirklich gut. Ich erinnere mich an viele schöne Dinge und erinnere mich vor allem daran, dass ich ja tatsächlich auch ein Mensch mit verschiedenen Interessen bin. Hin und wieder kann ich doch auch was anderes als nur winseln.

 

Etwas entsetzt habe ich dann heute festgestellt, dass ich bei der ganzen Möderei eine Ausstellung verpasst habe, die ich unbedingt sehen wollte. „Vibración – Moderne Kunst aus Lateinamerika“. Eigentlich hätte sie mich brennend interessiert, eigentlich wollte ich sie unbedingt sehen, aber irgendwie…ist das dann doch untergegangen. Jetzt sollte ich wenigstens sehen, dass ich „Afropolis“ nicht verpasse. Viel Zeit bleibt nicht mehr für den Ausstellungsbesuch. Und ich weiß, was ich im nächsten Herbst machen werde, ganz egal, ob ich dann noch hier leben sollte oder nicht. Das darf ich nicht verpassen. „Angry young men“. Die frühen Werke von Picasso, Miró und Dalí werden gezeigt. Dass ich mich letztes Jahr zu David Lynch aufraffen konnte, hat sich am Ende ja auch mehr als gelohnt. Also…vielleicht mal doch ein bisschen aufmerksamer die Welt da draußen beobachten. Soll ja ab und an auch Spannendes dort passieren, hab ich mir sagen lassen.

 

Ich finde es schön, dass das Rätsel die ganze Welt als Abenteuerspielplatz, als Indiana-Jones-Abenteuer wahrnehmen mag. Sicher auch nicht 24/7, schließlich stellt man sich in solchen Mails ja doch eher tendenziell von seinen besseren Seiten dar, aber doch so grundsätzlich ist das wohl schon seine Lebensweise.

 

Bisher, bis jetzt erzählte ich nur ihm, was ich letzten Samstag bei meinem Konsulatsbesuch wirklich dachte, empfand, wahrnahm.

 

Ja, letzten Samstag bin ich mal richtig früh aufgestanden. Um sechs. Mit den Vögeln zusammen. Und dann mussten mich die Verkehrsbetriebe ärgern. Wirklich alle meine Busse und Bahnen hatten Verspätung. Ganz toll.

 

Aber…ich war doch noch erstaunlich pünktlich im Konsulat. Nur fünf Minuten nach der Öffnungszeit. Dumm, dumm für mich, dass 43 Leute schneller waren als ich. Ich bekam also die Wartenummer 44. Drei Stunden Wartezeit. Jede Menge Zeit für jede Menge Eindrücke und ein Gefühlschaos zwischen Sehnsucht und Traurigkeit.

 

Wie auf einem orientalischen Basar ging es da zu, im Konsulat. Lautes, lautstarkes Stimmengewirr, Gewusel überall. Ein Stück Brasilien mitten in Deutschland. Eine kleine Oase mit Guaraná (die brasilianische Antwort auf die Cola), Beijinhos de Coco, Brigadeiros und mit etlichem anderen Naschwerk, das nebenbei verkauft wurde. Und ich ganz allein, mittendrin und nur dabei.

 

Erschreckend, wie oft dieses typische Klischee dort in Persona vertreten war. Mittelalter, mäßig attraktiver deutscher Mann mit Halbglatze und Bierbauch und daneben die deutlich jüngere, strahlend schöne brasilianische Ehefrau. Tja, irgendwo müssen diese Klischeevorstellungen ja auch herkommen.

 

Alle waren sie da. Zusammen mit ihrer Familie. Mit kleinen Kindern, die überall herumwuselten. Mit Freunden. Mit dem Partner. Und wenn doch jemand alleine das Konsulat betrat, traf er dort wenigstens fünf bekannte Gesichter, mit denen er sich gleich angeregt unterhalten konnte.

 

Nur ich war da ganz alleine. Das war einer der Momente, in denen ich mich auch wirklich schmerzlich alleine gefühlt habe. Klar, natürlich ist der Pass mein ureigenes Interesse und natürlich können mir meine Eltern dabei gar nicht helfen, weil sie erst recht nichts davon verstehen. Trotzdem habe ich mich recht verloren gefühlt, bar jeglicher Unterstützung.

 

Je länger ich dort saß, umso mehr hörte ich mich wieder in die vertrauten Klänge der Sprache ein, lauschte den Gesprächen, in meinem Kopf formten sich Sätze, Gespräche…Das Gespräch mit der Konsulatsbeamtin hätte ich theoretisch dann auch auf Portugiesisch führen können, aber am Ende entschied ich mich doch für Deutsch. Um sicher zu gehen, ihre Antworten auch zu 100% richtig zu verstehen.

 

Schon komisch, traurig, bemerkenswert unverschämt, dass jeder deutsche Honk, der eine Brasilianerin heiratete, mehr in das deutsch-brasilianische Miteinander integriert ist als ich. Diese Erkenntnis macht mich immer wieder traurig. Alles ist in gewisser Weise vertraut, ja, sicher auch deswegen, weil ich vieles durch mein Studium kennenlernte und doch ist es fremd. Als stünde ich vor einem Raum aus Glas. Ich kann alles sehen, was jenseits der Scheiben passiert, aber mir fehlt der Schlüssel, um hineinzugehen, Teil sein zu können.

 

Mir fehlt im Alltag oft diese Herzlichkeit, die mir schon in so einem kurzen Gespräch entgegenschlug. Allgegenwärtig war sie, die ganze Zeit. Natürlich ist mir bewusst, dass es immer doch einen Unterschied gibt zwischen dem Verhalten im Herkunftsland und dem Verhalten von Minderheiten untereinander. Und trotzdem….in welchem deutschen Amt würde man schon mit den Worten „Adeus, Querida!“(„Auf Wiedersehen, Liebes!“) verabschiedet? Und mich, die niemand kannte und die ich ganz alleine da war, hat man schon wirklich deutlich förmlicher behandelt als den Rest.

 

Gründe, Gründe, lauter Gründe, das Projekt „Brasilien“ immer wieder auf Eis zu legen. So zum greifen nah und doch so weit weg, das kann einem schon manchmal den Mut und die Laune verlieren lassen. Zumal…es wäre ein One-Woman-Abenteuer. Finanziell sicher gut unterstützt, aber ansonsten alleine und auf sich gestellt.

 

Warum erzähle ich das jetzt? Nun, dies und ähnliches schrieb ich, mehr oder weniger ausführlich, dem Rätsel letztens. Er antwortete: „Macht mich traurig, das zu lesen. Ich hätte dir pfadfindermäßig zur Seite gestanden, denn solche Tage, solche Mission gehen zu zweit viel schneller vorbei und manchmal erlebt man dabei noch Geschichten, die sind besser als in jedem Film.“

 

Ich las es und lächelte. Ja, gibt man mir Grund dazu, dann kann ich dieser Tage doch tatsächlich auch lächeln. Lächeln ist schön. Lächeln ist gut. Manchmal ist es echt schön, wenn einem das Leben Grund zum Lächeln gibt.

 

Grund zum Lächeln gab mir auch mein heutiger Einkauf. Was wäre das Leben ohne Schrullen? Ich weiß nicht, ob ich es schon mal erwähnte, aber ich habe einen Toilettenpapier-Tick. Ich fühle mich immer am wohlsten, wenn die dafür vorgesehenen Ablagen im Badezimmerregal auch wirklich voll sind. Nicht etwa, weil ich mich vor einer akuten Toilettenpapierknappheit fürchte. Ich mag volle Regale einfach lieber als leere oder halbvolle. Über sowas kann ich mich freuen. Heute dann sah ich etwas, was mein Herz vor Freude hüpfen ließ. 16er-Packungen im Angebot. Mit der Farbe haben sie den Vogel abgeschossen. Fliederfarben. Und nein, nicht weiß mit fliederfarbenem Muster. Durch und durch fliederfarben. Ich darf mich also heute stolze Besitzerin von 32 fliederfarbenen Toilettenpapierrollen nennen. Und ich find es toll, großartig. Ein Hoch auf die kleinen Dinge im Leben! Manchmal lohnt es sich schon, allein für die aufzustehen.

Kommentare

10:59 27.02.2011
geil. ich hätt auch gern fliederfarbene toilettenpapierrollen. passt so gut zur wandfarbe.
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

13:02 26.02.2011
Das Toilettenpapier ist von Zewa, sollte also eigentlich fast überall zu kriegen sein, ich hab es selber beim Penny gefunden.
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

00:03 25.02.2011
So viele Gründe, die gegen Brasilien sprechen. Aber was ist, wenn du dort dein richtiges Zuhause finden könntest? Wäre das nicht Grund genug?
Wir hören viel zu selten auf das, was wir wirklich wollen. Wohin es uns letztlich zieht, wird oft überschattet von Dingen der Außenwelt. Gründe, warum man dies tun und jenes besser lassen sollte. Manchmal (oft?) macht Vernunftdenken aber nicht glücklich.
Hm.

Ich will auch fliederfarbenes Toilettenpapier. In welchem Laden hast du das gekauft??
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

Kommentieren


Nur für registrierte User.

c. Offline

Mitglied seit: 05.06.2010
DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2011-02-24 23:50