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Tagebuch c.
2011-04-15 11:05
Ji-Ja-Jämmerlich. Über Notlösungen und kein sichtbares Ende

Obwohl sich meine Libido vor zwei Monaten komplett, also so richtig, wirklich komplett, verabschiedet hat, schaue ich ja hin und wieder doch noch mal auf diesen gewissen Singleseiten vorbei und wundere mich über die eine oder andere Zuschrift. Wie diese:

 

„Kompliment, geraspeltes Süßholz, Kompliment von Solomann mit gutem Job und Kinderwunsch, wenn’s klappt zwinker.“

 

Ob das wirklich funktioniert, so gleich mit der Tür ins Haus zu fallen? Ich bin mir da nicht sicher. Andererseits ist es ja durchaus möglich, dass das die neuen Werte sind, auf die die Frau von heute achtet. Nestbaukompatibilität. Mich schreckt es eher ab. Einzig attraktiv: Der gute Job. Aber den hätte ich lieber selber, ich brauche keinen Mann, der mir mein Überleben sichert, ich will keinen Mann, um von dessen Geld zu leben und wahrscheinlich habe ich sowieso viel zu viele Macken und Ticks, als dass so etwas dauerhaft funktionieren könnte.

 

Nee, besser man verlässt sich auf sich selbst. Dumm nur, wenn man selbst doch eher erfolglos ist. Es gibt sie ja, diese zwei klassischen Klischees rund um die Geisteswissenschaftler. Findet man keinen vernünftigen Job, dann heißt es Taxi oder Telefon. In meinem Fall ist es das Telefon geworden.

 

Ja, seit Anfang des Monats vermödere ich meine Zeit nicht mehr ausschließlich, ich gehe wieder unter Leute und verdiene auch noch einen Hungerlohn dabei. Seit Anfang des Monats sitze ich in einem Callcenter. Markt- und Meinungsforschung.

 

Es ist ok. Vor einigen Jahren habe ich hin und wieder mal Face-to-Face-Interviews gemacht, von daher wusste ich ja schon, was da auf mich zukommt. Und Markt- und Meinungsforschung ist so gerade noch halbwegs vertretbar, finde ich. Besser als Verkauf. Zur Verkäuferin am Telefon würde ich eh nicht taugen.

 

Die elenden Kundenzufriedenheitsstudien, mit denen man am Anfang seine Zeit verbringt, nerven zwar total, aber was soll’s, da muss man durch. Wenigstens weiß ich nun ganz sicher, dass ich nie Kundin eines großen TELEKOMmunikationsunternehmens werde. Die kümmern sich für meinen Geschmack doch ein bisschen zu intensiv um ihre Kunden.

 

Aber wie gesagt, es gibt Schlimmeres. Die Leute sind cool, gechillt, das mag ich. Ich bin nicht die einzige gestrandete Geisteswissenschaftlerin dort. Da gibt es doch noch einige andere. Und die Leute sind wirklich nett. Amüsant. Wie zum Beispiel der kleine 18jährige Schleimscheißer, der gestern neben mir saß. Er verströmte eine betörende Duftmelange aus Schweiß und Zigarettenrauch. Ob ihm das so bewusst war, weiß ich nicht, denn es passte so gar nicht zu seinem sonstigen geschniegelten Auftreten. Anzug. Hemd. Ölfilm auf dem Kopf à la Guttenberg. Und eine riesige Klappe. Verkäufermentalität. Zukünftiger BWL-/Jurastundent, FDP-Wähler. Gönnerhaft ließ er mich an seinen Erfahrungen im Callcenter teilhaben. Ja, was fühlte ich mich da doch geehrt.

 

Aber alles in allem sind die Leute dort wirklich nett. Von anderen habe ich wirklich schon aufrichtige und hilfreiche Tipps bekommen. Und ich find es sehr schmeichelhaft, dass ich dort für deutlich jünger gehalten werde, als ich bin. Eher Anfang als Ende zwanzig. Das ist schön.

 

Für eine Weile kann ich es dort aushalten. Wenigstens hat mein Lebenslauf keine Lücke. Wenigstens muss ich mich nicht arbeitslos melden. Das tut meinem Stolz sehr gut. Komplett davon leben muss ich auch nicht, da ist der Druck dann nicht ganz so groß. Auf Dauer davon leben möchte ich auch nicht. Obwohl es nicht wenige gibt, die wirklich davon leben.

 

Ich meine, ich bin nicht wirklich die Bausparerin, die jetzt schon ihre Altersvorsorge plant. Wer weiß schon, was wirklich in 35, 40 Jahren ist, ob man da selbst mit der heute besten Absicherung dann noch abgesichert ist. Aber dass man in diesem Callcenter freiberuflich arbeitet, es also von Seiten des Callcenters gar keine Sozialleistungen gibt, finde ich jetzt nicht so wirklich prickelnd. Allein schon wegen der Krankenversicherung, ich hänge ja immer noch in der teuren privaten Krankenversicherung. Natürlich bietet die private Krankenversicherung auch Vorteile, aber für knapp 300 Euro im Monat an Beiträgen muss man schon wirklich viel telefonieren.

 

Na ja, ich hätte ja den Haustürjob annehmen können, wenn ich gewollt hätte. Aber ich wollte ja nicht, dafür war ich mir ja zu fein.

 

Gut so. Besser so. Manchmal darf man sich auch mal zu fein für etwas sein. Jedenfalls für so etwas.

 

An der Bewerbungsfront sieht es mau aus. Die besten Jobangebote gibt es hier in Köln. Immer noch. Aber ich möchte ja so gerne mal weg aus dem Rheinland. Und außerdem tut sich da auch nichts,  nichts außer ewig lang laufenden Bewerbungsverfahren. Wenn es überhaupt Antworten gibt, dann sind sie immer von derselben Sorte.

 

„Aufgrund der Vielzahl der Bewerbungen wird  die gewissenhafte Bearbeitung noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir bitten um etwas Geduld.“

 

Wenigstens keine Absage. Und an den entsprechenden Stellen sind die Anzeigen noch immer geschaltet. Gutes Zeichen, schlechtes Zeichen? B-Stapel. Reserve. Keine Absage, aber auch keine Nummer-1-Kandidatin.

 

Wenn ich in der letzten Zeit in Köln war, dachte ich mir so, dass ich ja irgendwie doch mal Lust auf so richtiges Großstadtleben hätte. Hier bei mir ist es schön, aber eine Wohnung so richtig in der Großstadt hätte ich schon mal Lust. Dumm nur, dass Köln zu den deutschen Großstädten gehört, in denen man für viel Geld ganz, ganz wenig Wohnraum bekommt. Jedenfalls dann, wenn man zentral wohnen will.

 

Die besten Chancen rechne ich mir derzeit in Süddeutschland aus. Auch da gibt es viel mehr interessante Jobangebote. Bei einem sollte man direkt mit der Bewerbung einen Personalfragebogen ausfüllen. Das ist manchmal auch gar nicht so schlecht, kann man dort schließlich noch viel ausführlicher argumentieren, was für einen spricht. Noch bis zu vier Wochen kann ich auf eine Antwort warten. Mal sehen, ob noch was kommt.

 

Aus Scherz an der Freude habe ich mal in den Immobilienmarkt dort vor Ort geschaut und mich verliebt. Die Wohnung, die ich da gefunden habe, ist schon toll. Sie hat alles, was mir hier fehlt, was ich immer mal haben wollte. Loggia. Badewanner. Dazu einen wirklich tollen Blick auf ein größeres Flüsschen. Idyllisch. Ländlich. So gar nicht Großstadt.

 

Aber da ich ja tendenziell abergläubisch bin, gehe ich mal davon aus, dass ich hiermit Job und Wohnung sowieso schon in den Wind geschossen habe. Nur nicht zu viel darüber reden, nur nicht erwähnen, nur nicht öffentlich hoffen, dann wird es nämlich ganz bestimmt nichts.

 

Also schon alles falsch gemacht. Wie dem auch sei, im Moment überlege ich, ob ich in Sachen Jobsuche einen Schritt gehen soll, den ich eigentlich nie gehen wollte. Nein, nichts dramatisches.

 

Aber ich überlege, ob ich nicht vielleicht doch in manchen Jobbörsen und/oder bei Xing/Linkedin ein Profil erstellen sollte.

 

Eigentlich finde ich es wunderbar, dass das Internet quasi nichts zu meinem Namen findet. Ich bin gerne ein unbeschriebenes Blatt im Internet. Ich mag keine sozialen Netzwerke, ich brauche den Kram nicht, ich will den Kram nicht. Ich bin auch deswegen gerne so unsichtbar im Internet, weil ich ja eigentlich gar nicht so unsichtbar bin, weil ich hier, auf dieser Seite, ja wirklich, wirklich viel zu viel von meinem Innenleben preisgebe, der Öffentlichkeit präsentiere. Es würde mich nicht sonderlich stören, wenn jemand von hier mit viel Suchen meinen richtigen Namen herausfinden würde. Aber es würde mich sehr stören, wenn jemand bei der Suche nach meinem richtigen Namen auf irgendwelchen verqueren Wegen doch hier landen würde. Im privaten Bereich wäre das schon unangenehm, im Jobkontext wirklich gar nicht mehr lustig.

 

Deswegen macht mir der Gedanke, mich mit meinen Daten öffentlich zu machen, eigentlich richtig Bauchschmerzen. Eigentlich will ich das gar nicht. Aber auch wenn ich mich über die Arbeitsatmosphäre wirklich nicht beklagen kann, will ich ebenfalls nicht bis ans Ende meiner Tage im Callcenter sitzen. Also muss man sich ja irgendetwas einfallen lassen. Ein Zweitstudium, was mit dem Arbeitsmarkt vielleicht etwas kompatibler ist, ist schon mal keine so schlechte Idee. Aber das braucht ja Zeit, ich würde es gerne nebenberuflich machen und eben dann auch schon wertvolle Berufserfahrungen sammeln wollen, die für viele Bewerbungen meinem Lebenslauf einfach fehlen. Komplett ohne stehe ich zwar nicht da, aber es reicht ja offensichtlich nicht.

 

Ende März war ich in unserer Landeshauptstadt auf einer Jobmesse. Die Personaler dort warben auf ihren Vorträgen auch für Bewerberprofile in Jobbörsen. Ein großer Teil der Stellen wird heutzutage gar nicht mehr ausgeschrieben, sondern geht, wenn nicht intern, dann eben auch auf diese Weise weg.

 

Vielleicht wäre es also auch mal eine vernünftige Maßnahme, die Bauchschmerzen zu vergessen und sich dort einfach mal anzumelden. Im schlimmsten Fall kommen gar keine Angebote. Im besten Fall finde ich so vielleicht tatsächlich etwas. Zumal es in meinem Traumstädten kaum ausgeschrieben Stellen gibt, auf die ich mich bewerben könnte. Vielleicht bin ich auch einfach nur blöd dazu, gescheite Suchparameter zu wählen. Aber…hier und in Süddeutschland finde ich ja entsprechende Stellen.

 

Das ist alles so doof. Hat denn jemand von euch gute Erfahrungen mit Bewerberprofilen bei irgendwelchen Jobbörsen gemacht und kann mir meine Bauchschmerzen mit einem positiven Erfahrungsbericht nehmen?

 

Heute Nachmittag geht es erst einmal wieder ins Callcenter. Dann werde ich wieder jede Menge Mailboxen anrufen. Erstaunlich, wie viele Leute statt Ruftonzeichen den Anrufer Musik hören lassen. Erstaunlich, wie oft man dann hört: „Heute ist so ein schöner Tag, schalllalalala, heute ist so ein schöner Tag, schallalala.“ Da vergeht mir ja schon alles und ich denke mir nur: „Ja, du mich auch.“ Erstaunlich, dass gerade ich, die ich ja doch in letzter Zeit eher menschenscheu gewesen bin, jetzt so viele Stunden meines Tages unter Menschen verbringe und sie zuquassele. Na ja. Geht alles. Wenn man nur will.

 

Menno, ich brauche einen vernünftigen Job. Meine Freundschaften leiden schon an der aktuellen Situation. Ich ertrage gerade niemanden um mich, der beruflich erfolgreicher ist als ich. Ich mag nicht von Callcentergeschichten erzählen. Obwohl manches ja auch süß ist. Wie der 88jährige Opa, der sich noch ein I-Phone anschafft und echt happy damit ist. Und trotzdem…Auf Dauer wäre das eine ganz schön bittere Zukunft. Immer noch besser, als ganz arbeitslos zu sein, aber auch nicht so wirklich der Hit. Eine Übergangslösung, die hoffentlich nicht zur Dauerlösung werden wird.

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