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Tagebuch c.
2010-08-16 13:28
Dreck

Mir geht’s beschissen heute. Ich hätte gestern lieber gleich ins Bett gehen sollen. Wäre wahrscheinlich besser gewesen. Dann hätte ich mir wenigstens die gute Laune noch in den heutigen Tag retten können.

Ich denke nach…über Zufälle…Das Zusammentreffen gestern…War ja echt ein unglaublicher Zufall. Vielleicht gibt es ja doch irgendetwas, was plant. Vielleicht ist doch nicht alles Zufall. Vielleicht wollte mich irgendetwas mal wieder wachrütteln.

„Sieh hin: Das kannst du haben. Das steht dir zu. Mehr nicht. Wach endlich auf und hör auf zu träumen.“

Gut, in den zwei, drei Minuten, die wir miteinander sprachen, hatte ich den Eindruck, dass das Deutsch meines Ex-Freundes doch um einiges besser geworden ist. Aber man weiß es nicht. Was sind schon zwei, drei Minuten? Ich habe ihn sehr gemocht damals. Ich war so verliebt. Wirklich. Aber eine Zukunft hatte das nicht. Weil wir doch zu unterschiedliche Leben führten. Weil die kulturellen Unterschiede zu groß waren. Weil es die Sprachbarriere gab.

Es wäre noch etwas anderes gewesen, wenn wir hätten reden können. Wenn er mir seine Weltsicht hätte erklären können und wollen. Aber so stand ich so oft wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg. Völlig hilflos. Völlig verständnislos. Vor den Kopf gestoßen. Und wir erwarten zu unterschiedliche Dinge vom Leben. Damals. Heute. Er wäre glücklich mit Familie und Kindern. Ich nie.

Und doch kommt es mir heute so vor, als wollte mir irgendetwas sagen: „Genau das ist dein Niveau. Mehr gibt’s nicht. Wurfsau. Kinder. Mutter. Hausmagd. Ab und zu rutscht der Gatte dann mal über dich drüber. Aber das war’s. Das ist alles, was du vom Leben und der Liebe zu erwarten hast.“

Der Musiker…hm…Ich ging online, er schrieb mich nicht an. Eine Stunde lang überlegte ich, ob ich ihn anschreiben soll, ob er das wohl von mir erwartet. Und so schrieb ich ihn tatsächlich nach einer Stunde an. Ich fragte, wie es ihm geht. Wohl gut. Er stellte höflich die Gegenfrage. Ich erzählte, dass ich einen schönen Abschiedsnachmittag hatte. Er erkundigte sich, warum es ein Abschiedsnachmittag war. Ich klärte ihn auch. „Ah, nice “ war die Antwort. Und dann nichts mehr. Zwanzig Minuten Schweigen. Dann stellte ich mal die Frage: „Und? Wie sieht’s aus? Kann ich mich noch auf deinen Besuch demnächst freuen oder eher nicht?“ Schweigen. Weitere 1 ½ Stunden später verabschiedete ich mich dann Richtung Bett. Super.

Ich gebe mir Mühe, nicht völlig durchzudrehen. Denn vor einigen Wochen einmal hatte er Verbindungsprobleme und konnte zwar lesen, was ich schrieb, aber nicht antworten. Und gestern flog er auch einige Male. Wobei…vermutlich hätte er dann von Anfang an nicht antworten können. Man weiß es nicht. Außerdem war ich ja diejenige, die sagte, dass sie beim nächsten Mal eigentlich lieber telefonieren möchte. Vielleicht hielt er sich nur daran.

Aber….dann kann man das auch eigentlich sagen. Ist ja auch nicht so, dass er nicht meine Handynummer hätte. Falls es wirklich im MSN nicht klappte, hätte man ja eine SMS schreiben zu können. Gar nicht zu antworten, das kann ich gar nicht gut ab. Und wenn er geschrieben hätte: „Leck mich. Du nervst. Hau ab.“ Oder: „Passt jetzt nicht. Ich meld mich schon noch irgendwann.“ Oder was auch immer. Aber einfach gar nichts mehr zu sagen ist einfach nur respektlos.

Gestern auf der Zugfahrt zu unserem Lieblingsmexikaner, überkam mich so eine Gefühlswallung. So eine positive eigentlich. Ich musste so intensiv an ihn denken und der Impuls war groß, ihm genau das zu schreiben. In diesem Moment war mir so sehr klar, wie gerne ich ihn tatsächlich im echten Leben kennen lernen möchte und wie sehr ich hoffe, dass er den Kontakt nicht abbricht. Die SMS habe ich dann nicht geschrieben. War vielleicht besser. Oder auch nicht. Wer weiß das schon.

Vielleicht hätte ich ihm nicht erzählen sollen, wie es mir in der letzten Woche ging. Weil es für mich ja auch schon erledigt war. Aber das zweite Problemthema am Freitag hätte früher oder später wohl mal sein müssen. Aber andererseits…Erst hieß es immer: „Du kannst mir wirklich alles erzählen. Ich will wissen, wie es dir geht. Auch wenn es dir schlecht geht.“ Und…Ihm nicht von Dienstag bis Donnerstag zu erzählen und stattdessen einen auf „Ich war schwer beschäftigt“ zu machen, wäre ja im Grunde auch eine Art von Verstellen gewesen. Nicht mehr authentisch. Auch meine Stimmungseinbrüche gehören zu mir. Ich konnte ganz gut damit umgehen. Dieses Mal. Und ja…Im Grunde ist es doch so: Entweder man wird mit all seinen Seiten gemocht, auch den negativen und nervigen oder eben nicht. Dann kann man es auch gleich lassen. Auf Dauer zu verstecken, dass ich da hin und wieder so einen kleinen Selbsthasstripp fahre, ist ja auch blöd. Von daher war es wohl schon besser, zu erzählen, was war. Nur wohl eben zum falschen Zeitpunkt.

Ja, ich bin kompliziert. Aber es ist ja so, wie du, Havanna, gesagt hast. Ich bin ja nicht nur ausschließlich kompliziert. Daneben gibt es noch andere Eigenschaften und man sollte mich dann eigentlich nicht auf die eine reduzieren.

Er selbst ist auch nicht unkompliziert. Die Panikattacke…Das stimmt schon. Und…Sein Wunsch nach Unbeschwertheit und einem Leben frei von Komplikationen…Hm…Hm…Hm…Das Leben ist keine bunte Blumenwiese, auf der wir mit geflochtenen Zöpfen und Blümchen im Haar Ringelreihen spielen. Und ich glaube, gerade dort, wo er sucht, wird er öfter Frauen mit ähnlichen Schwierigkeiten und Komplikationen finden.

Natürlich ist so viel Drama im Vorfeld sicher nicht lustig. Natürlich fragte man sich dann vielleicht, ob das ein Dauerzustand wird. Aber hey….seine Worte waren am Freitag, als ich ihm erzählte, dass ich kurzzeitig den Kontakt abbrechen wollte: „Oh nein! Bitte mach das nicht! Nicht einmal die Chance zu kriegen, die andere Person zu sehen? Das ist unfair! Und naiv! Wirklich!“ Vielleicht hält er sich ja jetzt dann auch an seine eigenen Worte und gestern war einfach nur irgendetwas seltsam.

Unabhängig davon, was mit ihm jetzt wird oder nicht oder auch unabhängig davon, dass er gestern einfach nicht mehr geantwortet hat, kranke ich gerade an meiner Vergangenheit. (Über die habe ich ihn auch nicht im Unklaren gelassen, er weiß, was da los war. Und das nicht erst seit gestern. Er wusste ja, dass es mit mir nicht einfach werden würde. Erst einmal.)

Wenn ich an meinen Vater denke, schießen mir die Tränen in die Augen. Tränen der Verletzung. Tränen der Enttäuschung. Manchmal glaube ich, es wäre mir tausendmal lieber, wenn er mich regelmäßig verprügelt hätte. Dann könnte man ihm wenigstens konkret etwas vorwerfen. Aber so…Er, der rechtschaffene Herr Direktor, opfert sich ja für seine Familie und für seine missratene Tochter auf, die es ihm kein Stückchen dankt.

Von klein auf immer vermittel zu bekommen: „So wie du bist, kommst du nicht weiter im Leben. Du bist falsch. Für uns, ja, da ist doch ok, wir lieben dich auch so, aber draußen in der Welt gehst du so unter wie du bist.“ Genau das hat man mir ja von Kindesbeinen an gesagt. Seit der Mandel- und Polypen-Entfernung höre ich immer nur: „Mit deiner Figur kriegst du nie einem Mann. So will dich doch keiner.“ Und wie alt war ich damals? Noch nicht mal in der Schule war ich. Fünf höchstens. Und dabei ist der größte Witz ja auch noch, dass meine Eltern sich für die Operationen entschieden, damit ich zunehme.

Wie oft habe ich tatsächlich schon von ihm gehört: „Du bist nichts wert.“ Das letzte Mal zum letzten Jahreswechsel hin, als wir den letzten großen Krach hatten, weil ich natürlich mein dämliches Studium immer noch nicht auf die Reihe kriegte. Ja, ich weiß, ich mache auch Fehler, viel zu viele in unserem Zusammenleben. Aber wo kommt das denn her? Rechtfertigt das, mir an den Kopf zu werfen: „Deine strohdumme Freundin von nebenan ist noch tausendmal mehr wert als du, weil die wenigstens arbeiten geht und ihre eigenen Rechnungen bezahlt.“

Oder die Art und Weise, wie er ausflippte, wenn er von den wenigen Männergeschichten erfuhr. „Hat es so nötig, mal durchgevögelt zu werden, dass sie sich da jetzt einem Fremden am Telefon zuwendet, weil sie im echten Leben eh keinen abkriegt.“ Das war 2003 mit Sven aus HH, mit dem ich dummerweise, weil es damals noch keine Flatrates gab, eine enorm hohe Telefonrechnung fabrizierte. Auch wegen dieser Geschichte geht mir die momentan noch reine Virtualität des Kontaktes mit dem Musiker so an die Nieren.

Oder der Vogel, den er damals bei dem indischen Küchenjungen abschoss. Mit meiner Blasenentzündung. „So geil, dass du es nicht abwarten konntest? Das muss bestraft werden. Ich wünsch dir, dass du dir einen Tripper und sämtliche andere Geschlechtskrankheiten eingefangen hast. Am besten kriegst du noch ein behindertes Kind und dein Leben ist ganz am Arsch.“

Und meine Mutter steht daneben. Sagt nichts. Nur hinterher immer der berühmte Satz: „In der Sache hat dein Vater ja recht, aber der Ton war unmöglich.“

Hat er denn auch tatsächlich immer in der Sache recht? Hat er das?

Ja. Natürlich. Ich bin die missratene Tochter. Vor 1 ½ Jahren…Da erzählte er mir von einem anderen Adoptivmädchen, mit dem wir wohl zu Kindheitstagen mal Kontakt hatten. Die ist mittlerweile im Drogensumpf versunken und prostituiert sich und hat die Eltern wohl attackiert und umzubringen. „Wir sind ja froh, dass wir diese Probleme nicht mit dir haben.“

Ja. Schön. Toll. Toll, dass ihr nur so harmlose Probleme mit mir habt. Toll, dass ihr nur eine Tochter habt, die so fett ist, dass ihr bei ihrem Anblick am liebsten kotzen möchtet. Toll, dass ihr nur eine Tochter habt, die unfähig ist, selbstständig zu leben. Toll, dass ihr nur eine Tochter habt, die zu faul ist zum arbeiten.

Man muss ja immer das Positive sehen. Und sieht man es so, habt ihr es ja echt noch gut getroffen mit mir. Da braucht man sich ja eigentlich gar nicht zu beschweren.

Echt, wie kann man nur? Wie kann man nur so mit dem Menschen reden, den man sich als sein Kind ins Haus geholt hat? Wie kann man?

Oder auch, auch vor 1 ½ Jahren… „Mit dem Wissen von heute, mit der Erfahrung, die wir mit dir gemacht haben, würde ich es heute noch mal ganz genau überdenken, ob ich wieder den Schritt mit der Adoption machen würde.“

Ja. Super. Ich habe von meinem Vater so viel Dreck mit auf den Weg bekommen. So viel Respektlosigkeit. So viele Entwertungen. Aber er ist ja immer der Supervater, der mir alles ermöglicht, finanziell sowieso, aber auch sonst alle Steine aus meinem Weg räumt, soweit es ihm möglich ist. Und ich bin undankbar und weiß das nicht zu würdigen und springe einfach nicht auf seine Bemühungen an und weigere mich, „richtig“ zu werden. Weil das ja was mit Arbeit zu tun hat. Und ich bin ja zu faul zum Arbeiten. Ist ja meine Mentalität. Liegt mir in den Genen. Die da drüben in meinem Land, Brasilien, sind ja eh alle zu faul zum arbeiten. Deswegen wird ja aus dem Land auch nichts. Ist ja klar.

Warum kann ich trotz all der Verletzungen immer noch nicht aufmucken und mich von ihnen trennen? Weil sie im Grunde alles sind, was ich habe. Geschwister habe ich keine. Die Großeltern hatte ich. Aber die sind inzwischen alle gestorben. Meine Eltern waren ihrerseits Einzelkinder. Also gibt es keine Onkel, Tanten und Cousinen/Cousins. Ohne meine Eltern stehe ich dann wirklich alleine da.

Wer weiß, vielleicht ist das ja auch jetzt schon so. Vielleicht ist auch jetzt das alles nur Formsache, schöner Schein, was auch immer. Familie ist anders. Eigentlich. Aber trotzdem…Gefühlte Zugehörigkeit, gefühlte Familie ist irgendwie immer noch etwas anderes als dann tatsächlich ganz alleine zu sein.

Immer war es meine Angst, meine Eltern zu verlieren. Schon immer. Genau deswegen ist es ja auch so vermurkst. Weil ich immer versuchte, so zu sein, wie sie mich wollen und es nicht schaffte.

Und dann von klein auf immer der Liebesentzug als Bestrafung. Wochenlang, monatelang hat er mich einfach ignoriert, mein toller Vater. Schon damals und noch heute. Deswegen bin ich auch so überempfindlich, wenn man gar nicht reagiert. Besser man wird aufs wildeste beschimpft und in die Wüste geschickt. Das ist besser als gar keine Reaktion.

Ich meine, bei all dem ist es doch kein Wunder, dass ich so kompliziert bin. Das ist doch echt nicht verwunderlich. Und er weiß es ja auch. Der Musiker.

Natürlich kennt er mich noch nicht so lange. Natürlich kann er nicht sehen, wie ihr, wie die Leute aus meinem echten Leben, was für Fortschritte ich in letzter Zeit gemacht habe, wie viel Mühe ich mir gebe. Aber wäre das nicht ein Punkt, in dem ein bisschen Vertrauen angesagt ist? Eigentlich ja doch.

Es ist doch vor meinem Hintergrund echt nicht zu viel verlangt, dass ich sage: „Ich muss dich sehen, erst dann lasse ich ganz los.“ Das ist doch im Grunde nur eine Kleinigkeit.

Und….es ist ja auch nicht so, dass ich zum Ausgleich zu dem Mist zu Hause Haufenweise rosarot duftige, wolkenweiche Liebesgeschichten erlebt habe. Die waren ja auch alle total verkorkst und seltsam und nicht so, wie sie sein sollten. Skurrile Geschichten. Ja.

Wenn ich es da mal wenigstens anders erlebt hätte…das wäre ja auch noch mal etwas anderes.

Aber ich hatte das ja noch nie. Ich hatte es ja noch nie. Ist das wirklich meine Schuld? Ich bin ja damit groß geworden. Ich wurde ja als Kind schon so behandelt.

Und ich ruhe mich nicht darauf aus. So sehe ich das jedenfalls nicht. Ich gebe mir Mühe. Was ich alles bereit bin, für den Musiker zu machen….Dass ich ihn in meine Wohnung lassen würde…Das war früher auch nicht vorstellbar.

Aber gut….vielleicht kommt da noch eine Reaktion.

Im Moment kranke ich, wie gesagt, mehr an meiner Vergangenheit. Es geht mir so sehr an die Nieren, dass ich das alles mit mir herumschleppe, dass mich das alles so kompliziert macht. Ich will das nicht mehr. Ich kann das auch nicht mehr. Aber manchmal kann ich einfach nicht anders. Das ist wie ein Reflex. Dann kann ich so eine Hasstirade gegen mich selbst einfach nicht stoppen.

Ich wünschte so sehr, ich wäre nicht so.

Ich wünschte so sehr, meine Ma hätten den Mann, der sich mein Vater nennt, damals gehen lassen.

Ich verstehe es nicht, warum sie ihn gehalten hat. Wo sie mir doch auch heute noch sagt, wie sehr er sie auf die unterschiedlichsten Weisen nervt. Er hat sie genauso mies und respektlos behandelt wie mich. Jahrelang.

Es tut einfach nur verdammt weh. Und es ist so beschissen. So beschissen. So was mit sich herumschleppen zu müssen.

Und jedes Mal, wenn man sich da heraus kämpfen will, wenn man sich wirklich Mühe gibt, sich wirklich anstrengt, kriegt man wieder einen Dämpfer. Weil es einfach nicht genug ist. Nicht genug Mühe.

Es ist einfach nur Dreck. Es ist alles einfach nur Dreck. Scheiße. Echt.

Armes, reiches Mädchen. So sieht mich die Auswanderfreundin. Das erzählte sie mir gestern. Weil man auf den ersten Blick eben tatsächlich nur sieht, wie gut es mir finanziell geht, wie viel Zuwendung ich in der Hinsicht bekommen habe und bekomme. Aber wenn man dann mal hinter die Fassade guckt, will man dann nicht mehr mit mir tauschen.

 

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2010-08-16 13:28