Valentine
Er war das ganze Wochenende weg, Sonntag Abend ruft er mich an. Er kommt nicht mehr zu mir, egal. Nein, nicht egal, ich hätte gerne jemanden bei mir, wäre nicht alleine. Aber er bietet sich nicht an, nicht freiwillig. Also bin ich alleine, alleine am Geburtstag meines verstorbenen Bruders. Alleine stehe ich am Grab, ich weine, seit langem kann ich wieder weinen. Ich weine um meinen Bruder und das Leben, dass er niemals erleben wird.
Am Montag sehe ich ihn in der Schule, tief drinnen freue ich mich ihn zu sehen, aber ich kann es nicht zeigen. Die Trauer ist zu groß, ich gehe nach Hause, es sind mir heute hier zu viele Leute. Alle so glücklich, so fröhlich, ich kann es nicht ertragen.
Später holt er mich ab, er lässt sich heute sein drittes Tattoo stechen, ich fahre mit, schau mir die Kataloge mal wieder an, ich bin bereit für das nächste Tattoo, finde aber keines, dass mir gefällt.
Später kurz heim, Sachen packen, dann zu ihm. Ich werde bei ihm übernachten. Abendessen, Wein und Fachitas mit seinen Eltern. Sie sind nett, doch ich verstehe seinen Vater oft sehr schlecht. Slovakischer Dialekt oder so was!
Dann noch eine Flasche Wein, Küsse, Berührungen und dann, dann ist es endlich so weit! Der Moment, warum heute, warum jetzt? Einfach weil wir nicht mehr aufhören wollten uns zu küssen, weil ich mich nicht unbefriedigt schlafen legen wollte.
Und dann... es läuft gut, dachte ich zumindest und dann nichts...
Er kann nicht, meint, dass er sich vorher schon zu sehr verausgabt hat. Wir schlafen ein, ich frage mich woran er denkt, ich frage mich, was ich jetzt denken soll. Wir legen uns schlafen, er schläft gleich ein, ich bleibe mit einem unguten Gefühl im Bauch wach. Was war das? Was ist passiert?
Aber wir reden nicht darüber, er verhält sich wie immer, aber in mir ist etwas anders. In der Früh fängt die Blutung an, warum blute ich? Ich weiß es nicht. Ich liege auf ihm, es vibriert. Ich frage ihn, ob er es auch spürt. Aber er tut es nicht und so erkenne ich, dass diese Vibration nicht von außen kommt, sondern ein Zittern in mir ist. Warum zittere ich, warum habe ich das Gefühl das mein Herz rast? Warum wird mir auf einmal so schlecht? Warum habe ich keinen Hunger mehr? Was hat das bewirkt?
Ich fühle mich auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite ist da etwas in mir, dass immer stärker wird, immer mehr in den Vordergrund tritt. Das mit Manuel und mir hat sich verändert. Dieser Abend hat das bewirkt und noch ist mir nicht klar, ob diese Veränderung zum Positiven, weil Eindringlicher oder zum Negativen war.
Ich will in den Zug steigen und weg fahren, irgendwohin. Ich weiß, dass ich morgen, so wie Montag und auch heute, nicht in die Schule gehen werde.
Einfach weil "es" da ist, was auch immer es ist.
Aber ich kenne "es" und deshalb habe ich Angst, denn ich habe mich schon einmal so gefühlt. Schon mehrmals in meinem Leben und zwar in Situationen, dass ich begonnen habe, dieses Gefühl zu hassen. Das Gefühl bedeutet "Überforderung".
Aber warum?
.....
Ich sitze alleine in meiner Wohnung und möchte an nichts mehr denken! Ich möchte, dass die Zeit stehen bleibt, dass ich zurückgehen kann.