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Friday, 19. April 2024
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Tagebuch Aus_grosser_Zeit
 1915-09-22 hh:mm
Seit 3 Tagen bin ich in Stuttg...

Seit 3 Tagen bin ich in Stuttgart bei meiner l. Helene zu Besuch, um hier meinen Arzt zu konsultieren. Als wir heute früh gerade Kaffee trinken wollten, fing es plötzlich furchtbar an zu schießen – es waren feindl. Flieger, welche Bomben auf die Stadt, besonders die Kasernen, öffentl. Gebäude usw. warfen! Die Schwaben wehrten sich tapfer mit Maschinengewehren u. Abwehrkanonen, alle Glocken läuteten, die Fabriksirenen heulten, es war gräßlich! Die Franzosen hatten an ihren Flugzeugen das deutsche Abzeichen angebracht, sodaß man sie für Deutsche hielt, bis die Bomben fielen. 4 Personen sind tot, meist Soldaten. Beinahe alle auf d. Kasernenhof getroffen, 30 Personen verwundet. Kurz nachdem die feindl. Flieger, von Zeppelinen verfolgt, verschwunden waren, kam ein deutscher Flieger über die Stadt, welchen man nun für französisch ansah u. beschoß! Er ging jedoch sofort wieder, worauf sich der Irrtum löste!

Hier sind viele franz. Gefangene und Verwundete, welche mit rührernder Güte gepflegt werden. Überhaupt geschieht hier sehr viel für die Soldaten, ich wohnte einem Unterhaltungskaffee für Soldaten bei; die Soldaten erhielten dort umsonst Kaffee, Cigarren etc., es wurde ein Vortrag gehalten, Lieder gesungen, deklamiert – sodaß die Verwundeten ganz vergnügt und heiter waren!

Inzwischen haben unsere Truppen in Rußland große Fortschritte gemacht, vorgestern fiel Wilna, jetzt kommt Riga – dann ist der Weg nach Peterburg offen. An der Westfront finden nur kleine Kämpfe statt, die erwartete Offensive scheint noch nicht zu kommen, da wir mit den Oesterreichern gegen Serbien vorgehen! Es ist ein schreckliches Völkerringen, man sieht kein Ende! Am 22. Okt. ist Rudolf, der inzwischen Gefreiter wurde, in Döberitz fertig. Hoffentlich werden die 18jährigen doch nicht an die Front geschickt! Die Unruhe und Sorge in allen Kreisen ist groß. Die dritte Kriegsanleihe ergab 12. Milliarden! Unser Volk ist zu allen Opfern bereit, aber wer gibt uns unsere gefallenen Kinder wieder? Die Spuren dieses Krieges werden noch durch Generationen hindurch zu finden sein! –

Die Teuerung aller Lebensmittel nimmt zu; es gibt jedenfalls, trotz guter Obst- und Kartoffelernte, einen schweren Winter. Vieles ist überhaupt nicht mehr zu haben: Gries, Gerste etc.-Butter kostet 2 Mark pro Pfund, Eier das Dutzend 2 M.-Oel und Fett sind sehr rar, bis jetzt noch kein Petroleum zu haben.

 

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