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Saturday, 20. April 2024
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 1914-12-19 hh:mm
Zehn Tage sind vergangen, seit...

Zehn Tage sind vergangen, seitdem ich zuletzt geschrieben! – Vieles hat sich seither ereignet.

Vor allen sind die Russen in Polen und Galizien gänzlich geschlagen und seit vorgestern auf der Flucht verfolgt von Deutschen und Oesterreichern. Im Argonner Walde haben unsere Truppen wiederholt große Erfolge gehabt. In Flandern, an der Yper, wird andauernd gekämpft, mit gutem Erfolge.

Hindenburg hat in Ostpreußen wieder glänzende Siege zu verzeichnen – aber trotz all der herrlichen Waffentaten, trotz der über 10 000 Gefangenen, hauptsächlich Russen, ist ein Hauptschlag noch nicht gefallen! Von Tag zu Tag strömt Alles zu unseren Depeschen-Tafeln, mein armer Mann kann kaum mehr das Bureau verlassen, da bis zum späten Abend die Depeschen des Wolff-Bureaus kommen. Großer Jubel herrschte gestern, als die Nachricht kam, daß drei deutsche Kriegsschiffe die engl. Häfen S. und H. beschossen und die überraschten Engländer in Todesschrecken gejagt hatten. Die deutschen Schiffe sollen sehr gut geschoßen haben und viel Schaden angerichtet. Sie entkamen unversehrt den sie verfolgenden engl. Schiffen!! –

Die Türken eilen von einem Sieg zum anderen, die Dardanellen sind in ihrem Besitz – ein harter Schlag für England! –

Hier kommen alle paar Tage neue Verwundete an, Krankenhaus und die Anstalt liegen voll besetzt. Unser Merziger Landsturm schreibt aus Grumbinnen, die Kälte sei groß und die Verpflegung sehr erschwert. Sie können in den von den Russen ausgeraubten Dörfern für alles Geld keine Nahrungsmittel haben! – Hier bei uns zeigen sich nun überall die Folgen des Krieges! Alles ist so teuer, daß man altgewohnte Lebensbedürfnisse aufgeben muß; das Brod wird, um an Mehl zu sparen, mit 1/3 Kartoffelzusatz gebacken, schmeckt aber recht gut. Eier kosten jetzt das Dutzend M. 1,80!! –

Der Regierungspräsident erließ heute eine Verordnung, in welcher er den deutschen Frauen empfiehlt, kein Weihnachtsgebäck zu backen, damit die Mehl- und Zuckervorräte reichen bis zum nächsten Sommer! Es ist ein ungeheurer Druck, welcher auf allem geschäftlichen Leben liegt. Alle Läden sind fast leer, das Weihnachtsgeschäft gleich Null; die armen Kaufleute sind zu bedauern: Auch wir merken ja den Krieg geschäftlich sehr bedeutend, aber die Anzeigen gehen doch nicht aus u. das ist doch eine, wenn auch jetzt sehr reduzierte Einnahme.

H. und ich sind in den letzten Monaten sehr gealtert und werden die Spuren dieser schrecklichen Zeit lebenslang mit uns tragen. Der rasche Tod unseres Bruders Franz hat uns sehr erschüttert, es ist der erste Riß in unserem Verwandtenkreise. Auch er ist ein Opfer des Krieges geworden, er konnte die aufregenden Zwischenfälle, Ausbleiben von Depeschen u. Zeitungen etc. nicht ertragen, bekam im August die ersten Anfälle von Herzschwäche, denen er jetzt plötzlich erlegen ist. –

Man merkt kaum, daß Weihnachten so nahe ist, niemand kann feiern, die Trauer um die Gefallenen und die Sorge um die Lebenden ist zu groß.

 

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