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2020-03-11 15:20
Nationalismus und die deutsche Nation (2015) - Tag 14

Der Nationalismus ist als ideelle Grundlage des Nationalstaates zunächst einmal sehr eng mit der modernen Demokratie verknüpft, mit fraternité, égalité, liberté, oder den "48ern". Der Nationalismus kann so gesehen als der ideelle Grundstein der Moderne betrachtet werden.

Probleme ergeben sich streng genommen erst in Folge, wenn es darum geht, was denn eigentlich die/eine Nation überhaupt ist oder sein soll. Denn es gibt drei große historische Traditionen, den Terminus "Nation" zu begreifen:

Die älteste orientiert sich an der Sprache: nationes, das waren im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit die Studenten-Gemeinschaften an den Universitäten, oder die Gruppen von Kardinälen auf Konzilen, die sich untereinander in ihrer jeweiligen Muttersprache unterhalten konnten. Dieses Verständnis lebt heute im Konzept der Kulturnation weiter, das Nationalität aus der gemeinsamen Abstammung heraus begreift.

Im Zuge der französischen Revolution erhielt die Nation dann einen sozio-ökonomischen Charakter, indem sich der Dritte Stand zur Nation(alversammlung) erklärte. In dieser Tradition standen und stehen z.B. die sozialistischen Volksdemokratien, was v.a. im slawischen Raum deutlich wird, wo der verwendete Wortstamm narod- für gewöhnlich als "nation(al)-" übersetzt wird; die "Nationale Volksarmee" wäre ein anderes Beispiel zur Verdeutlichung. Dieses Verständnis ist typisch für das Modell der Staatsnation und begreift Nationalität von der gemeinsamen Zugehörigkeit her.

Schließlich gibt es noch einen dritten Typus, der vor allem aus der amerikanischen Geschichte stammt: die Nation als Gemeinschaft von "Überzeugungstätern", welche durch gemeinsame Ansichten, Werte, Grundsätze und Prinzipien verbunden sind. Dies ist das Modell der Willensnation, welche die Nationalität im Lichte des gemeinsamen Anspruchs oder der gemeinsamen Absicht begreift.

Alle drei Typen sind natürlich Idealtypen, und in der Wirklichkeit gibt es keinen in absoluter Reinform. Allerdings scheint es ein spezifisch deutsches Problem, nicht zu wissen, als was für eine Nation man sich selbst denn begreifen will:

Die Kulturnation ist nicht nur durch die jahrzehntelange Zweistaatlichkeit faktisch geteilt, sondern auch in sich so heterogen, dass z.B. ein Schwabe einen Friesen gar nicht verstehen kann, und umgekehrt freilich auch, wenn beide in ihrer Muttersprache reden. Dazu kommt der traditionelle kulturelle Gegensatz zwischen dem katholisch-österreichischen Süden und dem protestantisch-preußischen Norden, der in der alten Bundesrepublik durch die dominierende Stellung des katholischen Rheinpreußen etwas ausgeglichen wurde, im Zuge der europäischen Integration allerdings durch eine Art Euronationalismus wiederum selbst relativiert wurde. Andererseits wird die Kulturnation auch dadurch konterkariert, dass kulturell deutsche Gebiete wie Österreich, die Schweiz oder Luxemburg staatliche Eigenständigkeit besitzen.

Die Staatsnation trägt ebenfalls das schwere Erbe der deutschen Teilung: Alte Bundesrepublik und DDR hatten in der Hinsicht Integrationspotenzial, durch die Wiedervereinigung muss(te) sich Deutschland als Staat neu definieren, ein Prozess, der noch andauert: Die "Berliner Republik" ist noch nicht ganz angekommen. Dieser Prozess wird andererseits ebenfalls durch die europäische Einigung konterkariert, da die Bundesrepublik sukzessiv Elemente ihrer Staatlichkeit nach Brüssel abgibt.

Die Willensnation schließlich verwirklicht sich klar und deutlich in der europäischen Einigung. Es ist ebendieses Projekt, mit dem die Christdemokraten von Adenauer bis Kohl kultur- und staatsnationalistische Konzepte und Tendenzen relativiert und bekämpft haben. Sozial- und Freidemokraten haben andere, aber dazu kompatible Konzepte verfolgt (im weitesten Sinne: Arbeiterinternationale und internationaler Freihandel). So konnte sich weder in der alten noch in der neuen Bundesrepublik eine (starke) nationaldemokratische Strömung etablieren.

Die Debatte um eine Integration von Flüchtlingen, Asylbewerbern, Einwanderern oder allgemein Ausländern krankt daran, dass gar nicht klar ist, wo hinein sich diese Menschen überhaupt integrieren sollen. Genau diesen "Mehrwert" könnte (Konjunktiv!) ein selbst-bewusster, d.h. ein sich seiner Geschichtlichkeit und Grenzen bewusster Nationalismus bieten.

Pegida, AfD, Reps und NPD sind jedoch definitiv die falschen Adressen, ihn zu suchen.

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2020-03-11 15:20