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2011-06-08 18:32
Jubiläum und Rückblick

Heute sind es nun schon neun Jahre, in denen ich mein Leben online festhalte. Die Seiten wechselten ihre Besitzer, ihre Namen, viele Menschen hintern den Nicknames blieben.

 

Neun Jahre sind das, in denen ich aktiv das Internet nutze. Oder nein, ein bisschen länger ist es schon. Ich glaube es war so um 2001 herum, als ich einen eigenen Internetanschluss in mein Zimmer gelegt bekam, damals wählte musste ich mich noch jedes Mal einwählen, da gab es noch keine Flatrate.

 

2002 dann, um mein Abi herum, stiegen wir um auf DSL und Flatrate. Und so war die Bahn dann frei für mein Icq, das geliebte und das Tagebuch.

 

Was für Zufälle manchmal das Leben bestimmen, damals las ich in der „Brigitte“ meiner Ma vom neuen Trend des Tagebuchs im Internet, eine der genannten Beispiele war der Tagebuchclub. Ihm bin ich treu geblieben, noch heute schreibe ich bei seinem Nachfolger.

 

Neun bis zehn Jahre Internet. So viele Menschen habe ich in der Zeit kennen gelernt. In der Anfangszeit trieb ich mich auf chat4free herum.

 

„3dandi“ gehört zu den Namen, die ich nie vergessen habe. Ein Kontakt der vielen, die mit der Zeit abgerissen sind. Dabei hatten wir wirklich noch lange via Icq Kontakt. Er wohnte in Köln und war Graphiker oder so. Ich kannte auch mal seinen richtigen Namen, aber er ist mir entfallen. Sonst würde ich ihn glatt noch mal googlen. Er hat mich damals durch das Chaos gecoacht, das ich in der Beziehung zu Filipe angerichtet hatte. Er hat mich nach Halloween aufgebaut, als mich mein schlechtes Gewissen fast umgebracht hat, weil ich’s mit diesem unsäglichen Typen fast auf der Theke getrieben hätte. Die unfreiwillige Beichte an Filipe, der Geburtstag der Freundin, an dem ich unter massivstem Alkoholeinfluss den größten emotionalen Zusammenbruch meines Lebens hatte. Jedenfalls in der Öffentlichkeit. So viele Tränen habe ich vergossen an dem Abend, höchst theatralisch die Gläser vom Tisch gefegt in der beschissenen Schlagerdisco. Er war da in der Zeit, er war da, als ich auf diesen Waldparkplatz fuhr, fix und fertig mit der Welt und überlegte, ob das alles noch einen Sinn hat.

 

Ich hatte wohl schon immer einen Hang zu dramatischen Gesten. Aber ich weiß, wie hilfreich es damals war, eine neutrale, eine außenstehende Person zu haben. Mein Umfeld, die Freunde, die alle redeten in der ganzen Zeit gegen Filipe, er war der Böse, verständlich, schließlich erlebten sie mit, wie mies es mir ging, aber niemand von ihnen konnte mein schlechtes Gewissen und meine Ängste da wirklich nachvollziehen. Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich ihn im echten Leben nie getroffen habe, den 3dandi. Er war mein erster sprechender und virtueller Seelenmülleimer.

Wenn ich an chat4free denke, denke ich auch an Giko und an Luftgucker. Die Homepage von Giko schaue ich immer noch gelegentlich an, seine Bilder waren doch auch durchaus Inspiration. Und Luftgucker, er ist mittlerweile nach Guatemala ausgewandert. Unser Kontakt brach ab, als er mir aus heiterem Himmel erzählte, er habe geheiratet. Keine drei Monate zuvor hatten wir uns zuletzt getroffen und zu dem Zeitpunkt hatte er nicht mal eine Freundin. Sehr seltsam fand ich das, obwohl ich an ihm nie als Mann interessiert war.

 

Damals, als er noch in seinem Pool wohnte, da hatten wir so viele nette, nächtliche Gespräche. In einem der Gespräche hatte er eine massive Panikattacke, weil er meinte, tausende von Ratten würden die riesige Babyfotoreklameplakatwand von der Decke abmontieren, die er dort aufgehängt hatte. Jahre später erzählte er mir, dass sei eines der Gespräche gewesen, in denen er total bekifft war.

 

Ein bisschen schade finde ich es immer noch, dass ich seine Wohnung nur von Fotos kannte. Er wohnte in so einer Art Poolhaus seiner Eltern, im leeren Schwimmbecken. Und den Fotos nach zu urteilen war das schon irgendwie stylisch. Ich weiß nicht, ob wir uns je im echten Leben begegnet wären, wenn er nicht die Frechheit besessen hätte, einfach irgendwann vor meiner Haustür zu stehen. Ich war arbeiten, mein Dad öffnete und schickte ihn dann zu meiner Tankstelle, in deren Bäckerei ich damals jobbte. Ich hätte ihn umbringen können, als er da plötzlich vor mir stand. Irgendwann anders kam er mal mitten in der Nacht vorbei, um mir das Zigarettendrehen beizubringen. Erfolglos. Ich kann es bis heute nicht.

 

Das ist schon so lange her und wenn ich daran denke, werde ich sentimental. Schee wa’rs! Diese vielen nächtlichen Telefonate mit so vielen skurrilen Charakteren, ich vermisse das, manchmal. Oder die nächtlichen SMS-Sessions, die man sich noch mit seinen E-Plus-SMS-Paketen finanzierte. Das hatte was.

 

Wer ist eigentlich Paul?

 

Paul, meine Fast-Tagebuch-Romanze…sechs Jahre ist das nun schon wieder her.

 

<i><b>Ein edler Herr (IP:…)
kommentierte am 17.03.2005 um 01:38 Uhr:
Hallo Cristina,

in den letzten 2 Wochen habe ich all Deine Tagebucheinträge in mich aufgesogen. Ich las sie an einigen Tagen bis in die Morgenstunden (möglich da Student),  da viele von ihnen mich so sehr an mein Leben erinnern.
(Deine Interpunktion, dein Satzbau und deine Wortwahl sind einfach traumhaft).

Genau wie du habe ich auch zwei Gesichter, zwei Mentalitäten und "einen" Vater.

Es gibt noch so vieles... (max.255 Zeichen! )</b></i>

 

So hat er Kontakt aufgenommen, damals, der Paul, mit einem kurzen, knappen Tagebuchkommentar. Der schlaue Fuchs. Ich war echt beeindruckt, denn bis 2005 hatte ich damals auch schon so ein paar Texte zusammengetippt. Ja, doch, ich war sehr beeindruckt von Paul und ich war ganz und gar nicht begeistert davon, dass er unseren Kontakt nicht ins richtige Leben übertragen wollte. So endete es damals und ich glaube, der schlaue Paul hatte auch in dem Fall den richtigen Riecher. Rückblickend betrachtet hätte es mich das Schreiben online gekostet, mit dem Wissen, dass er als Teil meines richtigen Lebens mitliest, hätte ich glaube ich nicht mehr so uneingeschränkt offen schreiben können. Aber ich lese sie heute noch gerne, unsere kleine conversação. Jedes Mal mit einem Lächeln auf den Lippen und ich vermisse es manchmal… Ja, der Paul, der Chefkommentator…Ehrlich, das ist mir fast eine der liebsten Erinnerungen an meine neunjährige Tagebuchzeit. Kein Wunder, so wie er mir geschmeichelt hat. Der Paul.

 

James gehört ja auch zu den Menschen, die ich über die Tagebuchseite kennen gelernt habe. Der James. Da wurde die gute, alte Tradition der nächtelangen Telefonate noch mal kurz wiederbelebt. Irgendwas muss da ja passiert sein, zwischen 2005 und 2008, denn ich weiß noch, Paul hätte ich gerne im echten Leben kennen gelernt, damals während das bei James fast unvorstellbar war. Aber das hatte auch andere Gründe und einfach war er ja nun wahrlich nicht, wie der ein oder andere noch mitbekommen haben mag.

 

Letzten Samstag stand ich in meiner „Küche“ und spülte. Und plötzlich dachte ich: Ich vermisse Sven, Icq-Sven. Dieser Gedanke hat mich letztendlich auch dazu bewegt, diesen Eintrag zu schreiben. Sven, der im echten Leben gar nicht Sven hieß und der irgendwie so ein Paradebeispiel für die ganze Fakerei im Internet war. Aber er war mir auch mein liebster, sprechender, virtueller Seelenmülleimer. Seine Freundin wusste lange nichts von seiner Internetidentität. Als er es beichtete, gab es Krach, verständlicherweise. Aber sie haben sich zusammengerauft, die beiden, haben 2009 geheiratet. Ein Happy End für ihn. In Zeiten wie diesen würde ich gerne seine Meinung hören. Das fehlt. Wer weiß, vielleicht hat er ja mein Leben in Form des Tagebuchs noch eine Weile verfolgt. Aber ob er mich mit dem Umzug zu tagtt und nach meiner Löschung von „saudade“ noch mal wiedergefunden hat? Wenn er überhaupt gesucht hat. Unwahrscheinlich. Ihn zu kontaktieren wäre keine gute Idee. Sven sollte in seinem und wohl auch in meinem Leben Teil der Vergangenheit bleiben. Manchmal ist das einfach besser so.

 

Die Namen…von „chicalina“ zu „feiticeira“ zu „saudade“ zu „c.“. Zu den ersten dreien gibt es Geschichten, kleine.  „Feiticeira“ und „saudade“ waren mehr, ein Lebensgefühl zeitweise. Die Saudade ist es immer noch heutzutage. So viele Namen, so viele Menschen. So viele Titel. Sie würden auch heute noch passen.

 

*sombras escuras e pequenas esperanças*

 

*não tens medo de ficar sozinho?*

 

Das waren sie, die besten Zeiten, tatsächlich. Noch ein Jahr, dann darf ich mein erstes rundes Jubiläum feiern. Zehn Jahre.

 

Das Ding fragte mich letztens, warum ich immer noch an der Schreiberei online festhalte. Wir unterhielten uns darüber, ob der Musiker wohl jemals den Link zum TB genutzt hat, nach dem ich ihm diesen in einem Moment wirklich größter, geistiger Umnachtung gegeben hatte.

 

Ja, warum halte ich daran fest. Weil so viele Erinnerungen daran hängen und das nur an den äußeren Umständen, ich mag sie nicht  missen, die Menschen und Schicksale, die ich in all der Zeit für ein Stück ihres Weges begleiten durfte und darf. Allein schon an den Rahmenbedingungen und den sporadischen Kontakten hängen so viele Erinnerungen. Darüber hinaus mag ich es, in meinem eigenen Leben blättern zu können. So viele wertvolle Kleinigkeiten verschwinden auf die Weise nicht im Sumpf des Vergessens. Teilweise weiß ich noch ganz genau, was ich wann unter welchem Titel festgehalten habe. Aber es ist nicht nur sentimentales Vergangenheitsgekramse, in der Gegenwart finde ich es auch heute noch sehr hilfreich, Ordnung in die Gedanken zu bringen, in dem man sie schriftlich fixiert. Natürlich ginge das auch offline. Aber dazu bin ich über die Jahre wohl doch zu sehr Exhibitionistin und Voyeurin geworden. Als Außenstehender kann man das vermutlich schwerlich verstehen. Aber ich weiß, ihr alle, ihr wisst, was ich meine. ^^

 

Dauerhaft damit aufzuhören, meine Gedanken dem Internet vor die Füße zu werfen, das kann ich mir nicht vorstellen.

Kommentare

12:40 11.06.2011
ich auch nicht. ;) das mit dem poolhaus verwirrt mich jetzt, ich kenn nämlich auch jemanden der in einem poolhaus wohnt... und so häufig wird das ja wohl nicht der fall sein ;)
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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2011-06-08 18:32