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2010-10-18 09:43
Der weinende Clown - 88
„Na – war der Film schön?“, fragte Sarah, als Bruno und Karsten wieder zu Hause waren.
„Mama, im Kino war’s toll!“ Karsten sprudelte vor Begeisterung. „Zuerst war das Biest ziemlich biestig, dann wurde es immer netter und am Schluss hat es sich sogar in einen Prinz verwandelt!“
„Dann werde ich aufpassen, dass bei mir dieser Vorgang nicht umgekehrt stattfindet“, lachte Bruno.
„Sobald du zum Biest wirst, fliegst du raus!“, meinte Sarah und lächelte.
„Bruno ist kein Biest! Er hat mir sogar Popcorn gekauft!“, verteidigte der Junge seinen großen Freund.
„Oh ja! Verzieh ihn du nur auch noch!“, sagte sie mit gespielter Strenge und sah Bruno von der Seite an.
„Was sein muss, muss eben sein, nicht wahr?“ entgegnete er und zwinkerte dem Kleinen zu.
„Klaro“, erwiderte Karsten lakonisch.
„Es ist doch eigenartig: Diese Männer! Dass Männer immer zusammenhalten – egal wie alt sie sind ...!“, murmelte sie.
„Sind alle gleich. Ich möchte keinen“, meinte Bruno lachend. Er sah auf die Uhr. Es war 18 Uhr 14.

„Das Essen ist gleich fertig“, sagte Sarah und begann, die Teller aus dem Schrank zu räumen. Liebevoll deckte sie den Tisch, stellte eine Kerze in die Mitte, zündete sie an und faltete kunstvoll die Servietten. „Ich hoffe, dein Freund ist pünktlich, sonst wird alles kalt“, meinte sie nach einer Weile.
„Er kommt schon rechtzeitig, verlass dich drauf.“
Sie ging zum Gläserschrank, um Weingläser zu entnehmen. Kaum hatte sie die Schranktür geschlossen, läutete es. Bruno sah auf seine Armbanduhr. Es war 18 Uhr 21. Obwohl er es ja gewusst hatte, dass Gott genau um diese Zeit erscheinen würde, war er nun ob der Pünktlichkeit doch überrascht.

„Gehst du mal öffnen?“, bat Sarah.
Bruno nickte, ging zur Eingangstür und öffnete. Draußen stand lächelnd ein gut aussehender stattlicher Mann, ungefähr 1,85 groß, etwa in Brunos Alter, mit gepflegten vollen grauen Haaren, das ebenmäßige Gesicht von der Sonne kupferfarben gebräunt. Er trug einen hellen cremefarbenen Anzug, dazu ein weißes Hemd, dessen beiden oberen Knöpfe geöffnet waren. Alles in allem machte der Mann einen weltmännischen Eindruck und Bruno musste sich eingestehen, dass er blendend aussah.

„Hallo Bruno, altes Haus, wie geht’s?“, tönte die ihm wohlbekannte Bassstimme entgegen.
„Hallo Gott ... äh Gottfried, schön, dass du da bist!“, entgegnete Bruno ziemlich verdattert und senkte ehrfürchtig den Kopf. Gleichzeitig stieg in ihm eine Freude und ein derart innerlich warmes Gefühl auf, wie er es nur selten im Leben gekannt hatte. Er war wie hypnotisiert, fast unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Obwohl er schon ziemlich oft mit ihm telefoniert hatte, sehr jovial, sogar im lockeren Plauderton, war es jetzt doch etwas ganz anderes, ihm direkt gegenüber zu stehen. Er fühlte sich befangen.
„Willst du mich nicht reinlassen?“
„Natürlich – ja – klar – sicher doch“, stammelte Bruno und gab den Weg frei.
„Na, wo ist denn deine Sarah?“
„Äh – komm weiter, du – du kommst genau richtig. Das Essen ist eben fertig“, stotterte Bruno und führte ihn ins Esszimmer, wo Karsten bereits am Tisch saß, dann aber aufsprang und dem Besuch etwas schüchtern entgegen ging.
„Und du bist Karsten, nicht wahr?“, sagte Gottfried.
Der Junge nickte stumm.
„Ich bin Gottfried. Bruno hat mir schon viel von dir erzählt.“
„Wirklich?“ Ungläubig sah ihn der Junge an.
„Ja, wirklich.“

Gottfried stellte die Flasche Rotwein, die er bislang im Arm gehalten hatte, auf den Esstisch. Es war ein Château Mouton Rothschild Jahrgang 1945.
Sarah kam schwungvoll und lächelnd aus dem Schlafzimmer. Sie hatte ein hübsches Kleid angezogen und sich noch etwas geschminkt. Doch jetzt, als sie Gottfried sah, stand sie plötzlich stocksteif da, mit offenem Mund und stammelte verlegen: „Sie – Sie sind also Gottfried?“
„Ich bin Gottfried, ja”, antwortete Gottfried charmant lächelnd und überreichte ihr dabei einen riesigen knallroten Blumenstrauß, den Bruno bislang noch gar nicht bei ihm bemerkt hatte.
„Meine Güte, sind die aber schön!“, rief Sarah verzückt. „Solche Blumen habe ich im Leben noch nie gesehen!“
„Es sind rote Orchideennelkenrosen. Eine spezielle Züchtung von mir. Du wirst sie nirgends finden.“
„Wahnsinn! Moment, ich hole eine Vase“, murmelte Sarah völlig verlegen und nervös zugleich. „Vermutlich habe ich aber gar keine in dieser Größe.“

Sie öffnete eines der unteren Fächer des Wohnzimmerschranks. Eine große, weiße Vase aus filigranem Porzellan mit goldenen ziselierten griechischen Mustern kam zum Vorschein. Sarah war überrascht. „Wie kommt die denn plötzlich hierher? Die habe ich noch nie gesehen! So etwas Wertvolles habe ich doch noch nie besessen!“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
„Manchmal vergisst man, welche Schätze man besitzt“, sagte Gottfried und lächelte. Dabei kam ein strahlend weißes Gebiss zum Vorschein. Sarah nahm die Vase und ging in die Küche, um die Blumen zu versorgen. Zwischenzeitlich
hatten die Männer am Tisch Platz genommen. Sie trug die Speisen auf und servierte sie.

„Schatz, bringst du noch den Korkenzieher, bitte?“, bat Bruno.
„Klar doch.“ Sie ging zurück in die Küche, man hörte Schubladen schlagen, dann kam sie hektisch zurück und meinte: „Weißt du zufällig, wo der Korkenzieher ist? Ich kann ihn nicht finden!“
„Keine Ahnung“, erwiderte Bruno.
„Komm, setz dich zu uns, Sarah“, sagte Gottfried beschwichtigend, zog lässig einen verchromten Korkenzieher aus der Brusttasche seiner Jacke und öffnete die Flasche.
Nun war Sarah gänzlich aus der Fassung gebracht. „Äh – äh – ich meine, ja – hm, haben Sie immer einen Korkenzieher dabei?“
„Ich bin stets für alle unerwarteten Fälle gerüstet“, antwortete Gottfried und lachte.
„Sind Sie neben Blumenzüchter auch noch Zauberer oder so was?“
„Nein. Ganz sicher nicht. Übrigens sollten wir du zueinander sagen. Ich halte dieses Sie für völlig überzogen.“

Kommentare


unbekannt
22:31 18.10.2010
In Gottfried könnte ich mich vergucken.
Aber nur, weil er schöne Vasen zaubert.


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2010-10-18 09:43