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2010-08-26 08:49
Der weinende Clown - 35

„Till Eulenspiegel“, rief ein Junge laut in einer der hinteren Reihen.
„Nun ja, Till Eulenspiegel war eigentlich kein Clown, eher ein Narr, der die Leute foppte.“
„Erzählen Sie uns mehr über ihn“, bettelten die Kinder.
„Na ja, sehr viel weiß ich nicht über ihn“, gab der Lehrer zu und fuhr fort: „Aber das Wenige, das ich weiß, will ich euch gerne erzählen: Eulenspiegel lebte in Deutschland, er war der Sohn eines Bauern.  Schon in seiner frühesten Jugend zog er es vor, anstatt zu arbeiten, die Leute mit seinen Späßen zu ärgern – sehr zum Leidwesen seiner Mutter, die nicht in der Lage war, ihren Sohn zu zügeln. Sie musste ihn allein aufziehen, denn sein Vater war früh gestorben. Till Eulenspiegel nahm besonders gern die Handwerksmeister, Kaufleute und Pfarrer auf die Schippe. Er bediente sich mit Vorliebe zweier Mittel, indem er die Sprache seiner Mitmenschen wörtlich nahm und alles hinterfragte – somit manches menschliche Verhalten ad absurdum führte und dazu oftmals die Worte verdrehte.“

Ein Schüler meldete sich. „Das verstehe ich nicht ganz.“
„Nun, ganz einfach“, antwortete der Lehrer, „Viele Menschen achten nicht auf ihre Sprache, insbesondere dann, wenn sie müde oder unkonzentriert sind; es ist ihnen oft nicht bewusst, was sie so dahinsagen. Till Eulenspiegel merkte sich das, was er zu hören bekam und nicht das, was sich der andere vielleicht dabei dachte. Er war ein Meister im Wörtlichnehmen des Gehörten – und so schlau er auch war, manchmal wurde er dennoch selbst das Opfer seiner Sprache – so zum Beispiel, als er auf einen Pfeifendreher trifft und dieser ihn zum Mittagessen einlädt, sofern er kommen kann. Der Pfeifenmacher schließt vorher aber alle Türen zu, so dass Eulenspiegel nicht ins Haus kann. Eulenspiegel muss sich selbst gegenüber eingestehen, dass auch er noch jeden Tag etwas dazulernen kann. Aber kommen wir zum Ende. Ihr werdet euch vielleicht jetzt fragen, warum ich euch das alles erzählt habe.“ Zu Donatello gewandt meinte der Lehrer: „Vielleicht kann uns das Donatello Castiglioni beantworten, hm?“
„Äh – ja – Sie wollten uns damit vermutlich sagen, dass Clown kein Schimpfwort ist, oder ...?“, fragte Donatello leise.
„... und somit auch keine Beleidigung darstellt, sondern eher das Gegenteil, nämlich eine Auszeichnung deiner Person“, ergänzte der Lehrer, grinste und fuhr zu Boretti gewandt, fort: „Eigentlich hast du dir dein blaues Auge völlig umsonst eingehandelt.“

Donatello stand plötzlich auf, ging auf Boretti zu, streckte ihm die Hand hin und sagte kleinlaut: „Entschuldige bitte – es tut mir Leid.“
Der Andere sah ihn einen Moment lang überrascht an, nahm dann die Hand des Klassenkameraden, drückte sie und entgegnete: „Mir tut’s auch Leid. Vergessen wir die Sache einfach.“

Das Klassenzimmer verschwamm vor Donatellos Augen und als er sich umblickte, stand das Lichtwesen neben ihm. „Und?“
„Ich bin mir noch nicht schlüssig“, antwortete Donatello.
„Diese Episode deines Lebens sollte dich zweierlei Dinge lehren. Zum Ersten: Du hast Gewalt angewendet, was ein Fehler war, denn Gewalt kann immer nur Gewalt erzeugen. Diesen Fehler hast du eingesehen und bereut. Zum Zweiten: Der andere hat dir verziehen, obwohl du ihn körperlich verletzt hast, weil er intuitiv wusste, dass er dich viel  schlimmer verletzt hat: seelisch. Der Körper heilt meist schnell, die Seele jedoch benötigt dazu viel, viel länger – sie hat das wesentlich bessere Gedächtnis ... Und dem sollte man im Umgang mit Menschen immer Rechnung tragen ...“
„Und das habe ich meist getan.“

Das Lichtwesen sah ihn ernst an und sagte: „Nicht immer, doch du hast es dir selbst verziehen, da es oftmals aus Unwissenheit und Gedankenlosigkeit geschah – und deshalb wird es auch von anderen verziehen ...“

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2010-08-26 08:49