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2010-10-02 12:18
Der weinende Clown - 72

Wenigstens ein kleiner Lichtblick, dachte er, als das Gespräch beendet war. Er hätte den Job selbst gut gebrauchen können, aber Sarah war schlimmer dran als er. Sie hatte ein Kind, trug dafür die Verantwortung, war Sozialhilfeempfängerin. Wenn er seine eigene Situation betrachtete, die zwar auch nicht gerade rosig war, so ging es ihm trotz aller Schwierigkeiten immer noch wesentlich besser – noch. Wie lange das anhalten würde, wusste niemand, er selbst am allerwenigsten. Und da nützte es auch nichts, wenn er einen direkten Draht nach oben hatte, überlegte er weiter. Es ist zwar ganz nett, ändert aber nichts an der Situation und auf weise Ratschläge, egal von wem auch immer, konnte er gut und gern verzichten. Bitterkeit stieg in ihm hoch. Wenn selbst „er da oben“ nicht helfen konnte, wer konnte es dann? Er steigerte sich in seinen Ärger, beschloss, einen Anruf zu wagen und wählte die Nummer.

Die vertraute Stimme meldete sich. „Bruno, was liegt an?“
„Lieber Gott, wir müssen endlich Nägel mit Köpfen machen.“
„Inwiefern?“
„Ich habe festgestellt, dass diese ganze blöde Buchschreiberei überhaupt nichts bringt.“
„Wann hast du das festgestellt?“
„Schon seit geraumer Zeit.“
„Erklär mir das genauer.“
„Das Problem ist ganz einfach: Ich schreibe und schreibe – aber ich kann davon nicht leben – schon deshalb nicht, weil ich damit genau genommen auch kein Geld verdienen will. Geld sollte bei einem Buch nicht die entscheidende Motivation sein. Doch bis es dann letztlich fertig ist und Geld bringt, das dauert eine Ewigkeit.“
„Von der Ewigkeit hast du nicht die leiseste Ahnung, Bruno!“
„Das mag sein – ich lebe auch im Hier und Jetzt und nicht in der Ewigkeit.“
„Das war ein hervorragendes Argument, mein Sohn!“
„Danke. Aber sag mir lieber, was ich tun soll, damit sich das ändert.“
„Du kannst es nicht ändern, weil die Dinge reifen müssen – und noch sind sie nicht reif.“

Bruno wurde zornig. „Gut, lieber Gott, dann sehen wir die Sache doch jetzt mal pragmatisch, denn die ganze Phrasendrescherei nützt mir nichts! Ich muss leben können – und in unserer bestehenden kapitalistischen Gesellschaft braucht man dafür Geld. Aber das verdiene ich mit meinen literarischen Ergüssen einfach nicht – zumindest nicht in ausreichender Menge. Verstehst du das?“
„Vollkommen. Und jetzt stelle ich dir ein paar Fragen: Du behauptest immer, ein Buch um des Geldes willen zu schreiben, ist nicht optimal, richtig?“
„Ja – und ich stehe dazu.“
„Bekommst du für deine Schreibarbeit Geld?“
„Keinen Pfifferling! Von wem auch? Ich könnte es genauso gut lassen.“
„Bekommst du für ein Buch, das du geschrieben und verkauft hast, Geld?“
„Na klar.“
„Du siehst also, mein Sohn: Es sind zwei verschiedene Dinge: Äpfel und Birnen. Für die Äpfel wirst du nicht bezahlt, aber für die Birnen, klar? Denn erst sie bieten einen Nutzen.“
„Schon begriffen. Doch was mache ich in der Zwischenzeit? Bis die Birnen reif sind? Ergo muss ich muss ich etwas anderes tun, was mir Geld bringt – und zumindest soviel, dass wenigstens meine Grundkosten gedeckt sind. Auch klar?
„Völlig.“
„Ich würde ja sogar Schweinebäuche durch die Stadt fahren.“
„Lobenswert.“
„Da gibt es nur ein kleines Problem: Ich bin bereits zu alt. Mich lässt niemand, verstehst du?“
„Hast du schon gefragt, ob jemand einen alten Schweinebäuche-durch-die-Stadt-Fahrer braucht?“
„Nein.“
„Na also, warum jammerst du dann, mein Sohn?“
„Das war doch nur symbolisch gemeint.“
„Dann verdienst du auch nur symbolisch Geld.“
„Mist – wir reden aneinander vorbei.“
„Niemals.“
„Doch!“
„Nein.“
„Also – was soll ich tun?“
„Du solltest dich mit Metaphysik beschäftigen.“
„Bringt das Geld?“
„Nein.“
„Warum also sollte ich das tun?“
„Damit dir die Hintergründe klar werden.“
„Außerdem – ich habe davon überhaupt keine Ahnung.“
„Es handelt sich dabei um die philosophische Lehre, die das hinter der sinnlich erfahrbaren, natürlichen Welt Liegende, die letzten Gründe und Zusammenhänge des Seins umfasst. Das ist die einfachste Definition.“
„Prima! Immer wenn ich einfache Antworten brauche, dann kommst du mir mit diesem hochgestochenen Zeug.“

„War das jetzt eine Feststellung oder ein ungerechter Vorwurf?“
„Eigentlich ein Vorwurf, um ehrlich zu sein“, antwortete Bruno zornig.
„Reg dich doch erst mal ab, mein Sohn.“
„Ach Gott, ich bin einfach sauer, verstehst du? Ich beneide zwischenzeitlich jeden Müllmann, der zwar nur Tonnen ausleert, seine acht Stunden am Tag arbeitet, aber zumindest weiß, wie viel er am Monatsende auf dem Konto hat, verstehst du?“
„Verstehe ich vollkommen. Doch was ich absolut nicht verstehen will: Was hast du denn gegen Müllmänner? Glaubst du, Mülltonnen auszuleeren, sei eine minderwertige Tätigkeit?“
„Nein, natürlich glaube ich das nicht – hätten wir sie nicht, würden wir ziemlich schnell im Dreck ersticken.“
„Problem erkannt.“
„Ich meinte doch nur, dass ich ihn um sein regelmäßiges Gehalt beneide. Er muss sich nicht fragen, wie er die Stromrechnung oder die Miete am Monatsende bezahlen kann, habe ich Recht? Und er arbeitet nicht halb soviel wie ich, kommt am Abend nach Hause, trinkt sein Bier und sitzt dann gemütlich vor dem Fernsehapparat. Und was mache ich? Ich schreibe nächtelang durch und zermartere mir das Gehirn, um etwas einigermaßen Vernünftiges aufs Papier zu bringen!“

 

Kommentare


unbekannt
11:22 03.10.2010
Langsam macht Bruno mich agressiv...

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2010-10-02 12:18