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2010-12-13 06:23
Der weinende Clown - 138
Am Freitag darauf trafen sie sich im Standesamt. Karsten war zu Hause geblieben, nachdem sich die Nachbarin, die eine Etage höher wohnte, bereit erklärt hatte, auf den Jungen aufzupassen. Donatellos Anblick war etwas ungewohnt für Bruno und Sarah, die ihn noch nie in einem dunklen Anzug und weißer Seidenkrawatte gesehen hatten.
„Du hast dich selbst übertroffen – jetzt fehlen nur noch Perücke und Pappnase“, witzelte Bruno und klopfte ihm dabei anerkennend auf die Schulter.
„Hat alles Margareta gemacht.“
Margareta nickte zustimmend und zupfte etwas nervös Donatellos Krawatte zurecht.
„Gut siehst du aus – beide seht ihr gut aus“, bestätigte Sarah. „Genau. Ihr seid das absolut schönste Brautpaar, das die Welt je gesehen hat“, feixte Bruno.

Noch während sie so im Geplänkel waren und sich gegenseitig aufzogen, öffnete sich eine Tür, eine junge Assistentin stand vor ihnen, rief ihre Namen auf bat sie, ihr zu folgen. Kurze Zeit später standen sie im Trauzimmer. Ein etwas älterer Standesbeamter erhob sich dienstbeflissen, begrüßte sie mit Handschlag und gab ihnen mit einem routiniert glücklichen Lächeln ein Zeichen, sich zu setzen.
„Jetzt wird es bitterer Ernst – du kannst noch ,Nein’ sagen“, wisperte Bruno seinem Freund grinsend ins Ohr.
„Keine Chance, mein Freund, ich nehme sie“, flüsterte Donatello, ebenfalls grinsend, zurück.
„Dann wünsche ich dir von ganzem Herzen alles erdenklich Gute.“
„Ich weiß, dass du das ehrlich tust, Bruder“, erwiderte Donatello und senkte den Blick.
Schnell war die Trauungszeremonie zu Ende, die Formalitäten erledigt; der Standesbeamte hatte seine kurze Rede mit dem obligatorischen „Sie dürfen die Braut jetzt küssen“ abgeschlossen und stand auf, um allen die Hand zu schütteln und seine Glückwünsche auszusprechen.

Donatello und Margareta luden die anderen beiden anschließend in ein in der Nähe liegendes Restaurant ein. Während des Essens sah Donatello seinen Freund plötzlich eigenartig nachdenklich an.
„Was ist los? Warum siehst du mich so komisch an?“, wollte Bruno wissen.
„Mir ist gerade etwas eingefallen.“
„So. Und was?“
Donatello zögerte, dann meinte er: „Du weißt doch, dass ich schon mal für kurze Zeit ,drüben’ gewesen bin, nicht wahr?“
„Natürlich. Ich hab’s sogar beschrieben, ja. Warum fragst du?“
Margareta und Sarah unterbrachen das Essen und hörten aufmerksam zu.
„Dann weißt du auch, dass dort der Film deines Lebens blitzartig vor deinem geistigen Auge abläuft und jede wichtige Situation deines Lebens hinterfragt wird?“
„Ja.“
„Du gibst dir aber nicht nur selbst Rechenschaft über dein Leben – das allein ist noch nicht alles – sondern du erfasst plötzlich dessen Sinn und gewinnst intuitiv eine tiefe Erkenntnis über viele Dinge.“
„Und wie lautet diese Erkenntnis?“, wollte Sarah wissen.
„Ich kann es nur schwer in Worte fassen“, antwortete Donatello und fuhr fort: „Aber ich weiß heute: Egal, was immer auch geschehen mag, egal, wie hart dich das Schicksal schlägt, das Leben ist lebenswert und bei allem Leid, das auf der Erde existiert, wird die Liebe niemals untergehen, denn sie ist ein Teil der Natur und des Lebens. Wer geliebt wird und wieder liebt, der braucht den Tod nicht zu fürchten, er akzeptiert den eigenen Tod, denn er ist mit der Natur im Einklang, er lebt im Augenblick und er weiß, dass er sich an nichts festklammern muss, weil alles der Wandlung unterworfen ist und alles ein ständiges Kommen und Gehen, Geben und Nehmen ist. Deshalb ist auch die Liebe fließend und ändert ständig ihre Form. Und genau das ist auch der Grund, weshalb es so wichtig ist, den Menschen, die man liebt, ihre Freiheit zu lassen, denn damit erhöht sich die Aussicht, dass sie dir erhalten bleiben. Und genau auf dieser Grundlage werde ich meine Ehe mit Margareta führen.“
„Donnerwetter, das hätte ein Philosoph auch nicht besser formulieren können, das war eine gute Rede“ murmelte Bruno gerührt und fügte schräg lächelnd hinzu: „Ein realitätsorientierter Intellektueller hätte allerdings seine Probleme damit und vermutlich einige Einwände.“
„Das ist mir Fleisch“, entgegnete Donatello.
„Du meinst, es ist dir wurscht“, verbesserte ihn Sarah und lachte.
„Genau ja, das meinte ich.“ Donatello nahm Margaretas Hand und drückte ihr einen Kuss drauf, während sie es mit feuchten Augen geschehen ließ. Auch Sarah hatte fast unmerklich ihre Hand unter die von Bruno geschoben und drückte sie nun sanft. Eine seltsam sentimentale Stimmung versuchte sich breit machen, aber Bruno verhinderte dies, indem er im Befehlston eines Offiziers „Alles weiteressen,
der Feind wird kalt!!“ rief, so dass auch die Tischnachbarn erstaunt aufsahen. Alle lachten.
„An dir ist ein General verloren gegangen“, spottete Margareta.
„Ich war aber nie bei der Bundeswehr und so ist mir diese Karriere versagt geblieben.“
„Warum eigentlich nicht?“
„Wie?“
„Warum warst du nie bei der Bundeswehr?“
„Ich habe mich sehr erfolgreich verteidigt“, antwortete Bruno grinsend und erzählte weiter: „Bei der Musterung konnte ich den Stabsarzt glänzend davon überzeugen,
dass man mit meinem Körper keinen Krieg gewinnen könne – er hat es schließlich eingesehen.“
„Aber man geht doch nicht einfach zur Musterung und sagt denen: Ich gehe nicht zur Bundeswehr, weil man mit meinem Körper keinen Krieg gewinnen kann, oder?“ wandte Sarah ein.
„Nein – so natürlich nicht. Ich habe damals sogar energisch darauf bestanden.“
„Was?“
„Klar. Ich hab denen erzählt, ich wolle unbedingt zur Bundeswehr, weil dieser Gemeinschaftssinn, diese absolute Kameradschaft und der Dienst an der Waffe einen derart nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen hätten, dass es für mich nur ein Ziel gäbe, nämlich mein Leben für das Vaterland zu opfern – und zwar unbedingt als Jetpilot bei der Luftwaffe – denn wenn schon tot, dann den Heldentod zwischen den Wolken, was anderes wäre für mich überhaupt nicht akzeptabel. Der Arzt hat damals nur den Kopf geschüttelt und mir gesagt, dass dies nie in Frage käme, da ich zu dünn sei. Ich würde noch nicht einmal als Kanonenfutter taugen, da man auf mich zehnmal schießen müsste, um mich einmal zu treffen. Meinen Einwand, dass das Flugzeug dann aber doch viel schneller und höher fliegen würde, weil ich so leicht sei, ließ er auch nicht gelten. Ich habe ihm dann den Vorschlag gemacht, mich einen Panzer fahren zu lassen, und das damit begründet, dass ich bereits als Kind einen Spielzeugpanzer zum Aufziehen gehabt hätte und seit diesem Zeitpunkt nicht nur Flugzeug- sondern auch Panzerfetischist sei. Doch auch das wurde höflich, aber bestimmt mit dem Argument abgelehnt, dass ich erstens Brillenträger wäre und zweitens eine leichte Rückgratverkrümmung hätte. Daraufhin
habe ich mich aufgeführt wie ein Irrer, versuchte ihm zu erklären, dass ein Leben ohne Panzer nur ein klägliches Dahinvegetieren sei und schon aus psychologischer Sicht keinem jungen, aufstrebendem Mann zugemutet werden könne, was zur Folge hatte, dass man mir zu allem Übel auch noch eine gewisse psychische und geistige Instabilität bescheinigte, zudem fehlende Stressresistenz. Ich ward fortan als Ersatzreserve II eingestuft und damit war für mich der Fall Bundeswehr ein für alle Mal erledigt. Jedenfalls hat es Spaß gemacht.“
„Du bist vielleicht eine heiße Nummer!“, sagte Margareta und lachte schallend.
„Ne – nur wahrscheinlich überdurchschnittlich intelligent“, erwiderte Bruno und zwinkerte.
„Eigenlob stinkt, mein Lieber“, entgegnete Sarah schmunzelnd.
„Nun gut, für die Bundeswehr hat es anscheinend gereicht“, mischte sich Donatello lachend ein.
„Wie auch immer – ich habe nie etwas vermisst“, schloss Bruno seine Erzählung ab.

Kommentare


unbekannt
06:29 13.12.2010
Mir fehlt jetzt die Ausführung über Sinn und Sinnlosigkeit der Bundeswehr. Das wäre doch eine tolle Diskussion für einen Hochzeitstisch gewesen.

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06:24 13.12.2010
Gut, dass das Buch fast durch ist. Das hält ja kein Mensch aus.
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2010-12-13 06:23