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Saturday, 20. April 2024
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Tagebuch An_mich_selbst
 1905-05-25 hh:mm
Heimweh und Sehnsucht nach der Freundin
Gestern waren wir nach dem Brunnen es war sehr schön. Zuletzt spielten wir noch ein wenig. Ich hatte aber furchtbares Heimweh. Und beteiligte mich sehr wenig daran. Schw. Julie hatte darüber ihren Spott und sagte: Bist du wirklich eine Stufe weitergerückt? Auch Frl. Else Ostendorf nannte mich „Die Trauerweide“. Sie hielt sich auch auf, daß ich immer so krumm sitze. Mir war es gerade nicht angenehm. Auf dem Heimweg. Erzählte ihr es jemand, daß ich so furchtbar empört war, weil sie mir die Visitenkarte vom l. Emmchen so zerdrückt hätte. Sie sagte: „Na bald schreibe ich an sie dann laß ich eine andere mitschicken, und gebe sie ihr. Ich will doch sehr, daß ich es wieder gut machen kann. Als ich abends im Bette lag. Nahm ich den Brief von Mariechen mit und las ihn noch einmal. Aber die Tränen nach ihr blieben nicht aus.. Mit dem Taschentuch vor das Gesicht gepreßt schlief ich darüber ein. Meine Briefe vielen mir aus der Hand. Als mich so Schw. Julie liegen sah. Sagte sie „Ach so etwas, das arme Kind.“ Sie hob die Briefe auf und gab sie in mein Bett. Mir hat es Gertrud Fischer erzählt, die alles beobachtet hatte. Jeden Sonntag, wenn ich Dank, will ich einen Strauß für Schw. Julie pflügen, mal sehen, ob sie es merkt.

Halle a/S. Richard-Wagnerstr. 45 I.
Jetzt ist nun schon eine lange geraume Zeit vergangen, seitdem ich dem lieben Kloster für immer „Adieu“ gesagt habe u. viele, viele Tränen hat es gekoßtet. Es war doch die schönste meiner Zeiten bis jetzt u. wird auch die schönste bleiben. Als ich im Krankenhause lag hat man mir zu meinem Geburtstag, vom Kloßter so viel Liebe erwießen. Nur noch einen Blick in das liebliche Haus wo hl. Gottesfriede drinn walten. Nur noch ein einziges Mal. – Jetzt sind wir nun schon lange in Halle u. unser Gut haben wir auch verkauft. Hier ist es wohl sehr schön. Ich besuche hier die Seidlitzsche „höhere Mädchenschule.“ Dort ist es wohl schön. Aber der Ernst fehlt u. viel vermißt man, was man im lieben Kloster alles für Wohltaten genoßen hat. Man geht hier so gleichgültig durch die Welt. Niemand ermahnt ein mal ernstlich. So vergißt man dann mit der Zeit alles und wird immer leichtsinniger. Man hat niemanden, der ein ins Herz hinein spricht, das man auf dem rechten Weg wandeln soll u. was noch alles. Was ein früher eine ganz ernste Sache war, das wird jetzt alles ins lächerliche geschoben.
O, was soll daraus mal werden? Herr, hilf mir, verlaß mich nur Du nicht, denn ohne Dich bin ich nichts! Im Kloster scheinen sie mich auch vergessen zu haben. Ja, wie kann man da ein treues Klosterkind bleiben! Ich habe jetzt viel zu lernen. Viel Vergnügen muß man hier auch mit machen. In den Kindergottesdienst gehe ich auch. Frl. von Westernhagen unterrichtet uns in der Laurentiuskirche bei Herrn Pastor Wagner. O, herrlich

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