zeit und flucht
als ob die zeit weggesaugt würde. ich hab so viel zeit wie selten zuvor und sie verschwindet, versackt, und ich kann sie kaum halten, sie nicht füllen, wenn ich da bin, läuft sie weg, und sie hinterläßt mir ein leeres hungriges gefühl, das durch essen nicht zu stopfen ist.
ich sehe durch mein fenster, an dem immer noch keine vorhänge hängen, und es regnet leicht, die autos machen regengeräusche auf der straße, schmatzen beim abbiegen. keine wolke weit und breit, ein großes graues brett liegt konturlos über dieser stadt.
vorgestern hatte ich mein zweites bewerbungsgespräch. die stelle ist ungefähr eine autostunde entfernt, aber das wäre schon ok. eine wunderschöne klinik ist das, ein traumarbeitsplatz, weiter oben im bergland. da war eine menge schnee, langläufer unterwegs, sonne.
aber ein paar sehr seltsame zufälle... m. kennt diese klinik aus zeiten mit seiner exfreundin, deren mutter da mal gearbeitet hat. ES GIBT DINGE, VON DENEN ICH GAR NICHTS WISSEN WILL. und irgendwie komisch. sie suchen auch so jemanden wie m. und ich erzähle das m. so nebenbei und er fängt feuer, obwohl er schon eine vollzeitstelle hat und will sofort da anrufen, noch bevor sie sich für oder gegen mich entschieden haben. er meint, wenn er da anruft und seine dienste aushilfsweise zur verfügung stellt, würde das meine chancen erhöhen.
ach, ich weiß nicht. irgendwie hat mich das gekränkt.
ansonsten geht es wieder mit m., obwohl wir eine ziemlich schwere zeit durchgemacht haben. mir fällt hier die decke auf den kopf und das bewerbungen-schreiben, besonders auf stellen, die es (noch) gar nicht gibt, ist so undankbar, und jeden tag flattern die absagen ins haus. oder es kommt gar keine post, was fast noch schlimmer ist.
am wochenende hab ich wieder fortbildung im norden. irgendwie bereue ich es, von dort weggegangen zu sein, aber dann muß ich auch einsehen, daß ich da auch keine bezahlte stelle bekommen hätte, außer der, die ich schon hatte, und da mache ich drei kreuze, daß ich sie loshabe.
m. macht ja jetzt so einen ähnlichen job wie ich früher, und da kann man mal sehen, was so ein gutes team ausmacht. der chef fühlt sich für das weiterkommen seiner mitarbeiter persönlich verantwortlich, jeder "output" wird im team besprochen... meine doofe chefin hat nur immer gesagt: "ihr theeema ist randstääändich! ich lese das erst, wenn es publiziiiiert ist, aber das schaffen Sie ohnehiiiin nicht."
irgendwie bin ich sauer, daß ich da so lange geblieben bin und das so lange mit mir habe machen lassen. vor allem, weil ich jetzt an m.s beispiel sehen, das das nicht so sein muß, daß das nicht normal ist.
aber um das (und vieles andere) zu sehen, mußte ich erst ein jahr psychotherapie hinter mich bringen.
und jetzt sitz ich hier und hätte zeit, um so viel zu machen, und tus einfach nicht, weil mich die kleinen alltäglichkeiten aufhalten. hier einen vorhang aufhängen, dort einkaufen gehen, hier die lieblingsserie im fernsehen anschauen und so weiter.
m. meint, ich soll die zeit genießen, und eigentlich hat er recht. aber wie funktioniert das mit dem genießen?
letztes wochenende waren wir zusammen in w., der stadt unseres kennenlernens. es war ein wunderschönes wochenende. würstelbuden haben uns in verzückung versetzt. die alten wege, die stelle der ersten umarmung, m.s stammcafe.
sofort würd ich da wieder hinziehen, obwohl ich weiß, wie froh ich damals war, von dort wieder wegzukommen. und ich glaube, so geht es jedem, der nicht dort aufgewachsen ist. man wünscht sich so sehr, ein teil davon zu sein, und weil man es nicht sein kann, flüchtet man und lastet sich die flucht ein leben lang als versagen an.