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Thursday, 18. April 2024
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Tagebuch Vielliebchen
 1895-03-31 hh:mm
Heute war wieder so schlechtes...
Heute war wieder so schlechtes Wetter, daß ich aus der Kirche blieb. Nach derselben war Musikverein. Stedmann ging auch in die Turnhalle, er sah sich in der Thüre um u. sah mich am Fenster stehen. Nachher marschierte er mit Schenk am Haus vorbei, sah sich aber mit keinem Blick um. Es ist aus, er hat mich nicht mehr lieb, das merkte ich auch schon aus sehr vielen Andeutungen. Er freut sich entsetzlich nach Hause zu kommen, kann es kaum abwarten, wird wahrscheinlich Offizier u. s. w. Nun, ich muß mich eben trösten, wie ich es auch bei Paul gethan habe, nur ist es hier schwerer, weil ich keine Thränen finde, damals hatte ich dieselben in reichem Maße u. deßhalb that es mir nicht so weh, aber jetzt.
Ungeweinte Thränen sind wohl die schmerzlichsten von allen. Julu u. Boba waren heute Mittag spazieren, ich hatte aber keine Lust mitzugehen u. blieb mit meinen Liebesschmerzen zu Hause. Den Abend um 8 Uhr ging ich sehr langsam in den Paulus. Thietz holte mich unterwegs ein u. ging mit mir, ich konnte ihm dann besser mitteilen, daß er nach dem Paulus nicht mitgehen könne. Er war höchst erstaunt, daß ich wieder mit St. gehe, aber wenn er gewußt, daß das nur alles Schein sei u. daß wir, wie ich es mit Bestimmtheit gedacht hätte, es sei das letzte mal. Als wir an das Denkmal kommen, sahen wir uns noch den Fackelzug an u. als wir weiter gehen wollten, kommt aufeinmal St. aus der Steingasse, ich dachte der Schlag würde mich rühren, denn wenn ich noch ein Fünkchen Hoffnung gehabt, jetzt war es weggewischt, denn das sah sehr nach Verabredung aus. Im Paulus nun war ich von einer Ausgelassenheit, die ich mir kaum zu deuten wußte, ich hatte doch alle Ursache ernst zu sein. Stedman sprach sehr angelegentlich mit Frl. Paulus u. beachtete mich gar nicht, Thietz hob sich immer auf die Fußspitzen u. sah nach mir hin. Ich hätte knallen können vor Lachen. Im Singen hielten wir keinenTackt, sondern sangen wie es uns gerade ums Herz war. Es war zu lustig. Nach dem Paulus wartete St. auf uns. Ich bat ihn um Verzeihung, daß ich immer so häßlich zu ihm gewesen sei u. ich sagte, ich hätte bereut. Erst war er sehr komisch u. ich dachte er würde mir ungezogen sein. Ich frug ihn nochmal, ob er mir verzeihen wolle u. da gab er mir dann die Hand u. sagte ja. Er hielt meine Hand fest u. ich bat ihn dann, er solle mir doch wieder gut werden, er sagte mir, ich kann nicht, dann sagte er mir sehr erregt, was er die ganzen Wochen wegen mir alles ausgestanden habe, machte mir Vorwürfe, daß ich so zu ihm gewesen sei u. wegen Thietz und Ahausen. Ich ließ aber nicht ab mit Bitten u. Schmeicheln u. da hatte ich ihn besiegt, er hat entsetzlich geweint, der arme Mensch. Schließlich mußte ich aber doch hinauf u. er sagte, er müsse mich noch einmal allein sprechen u. wir verabredeten für morgen 11 Uhr im Scholßgarten. Ich hatte ihm auch versprochen, nie wieder so launisch gegen ihn zu sein, dann las ich ihm aber auch noch gründlich die Leviten u. als ich nachher ihm zulachte u. ach, nicht wahr, du bist mir wieder gut, da mußte er auch über mein Schmeicheln lachen. Ich bekam von Mutter gezankt über mein Ausbleiben, aber das prallte von mir ab.

Ich war zu glücklich.

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1895-03-31 hh:mm