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Tagebuch Tyche
2006-06-23 23:35
Zitierte Wirklichkeit
Hätte ich es gekonnt, dann hätte ich es so geschrieben und deswegen ist es so, als wenn ich es geschrieben hätte, so dass es sinnlos ist zu sagen, ich habe es nicht geschrieben. Jemand vor mir hat es so geschrieben wie ich es denke, jemand, der wortmächtiger ist als ich hat genau das geschrieben, was ich denke und fühle. Die Rede vom zusammenhangslosen Zitat ist ein nicht als Zitat ausgewiesenes Zitat, denn wir zitieren alle, denn keiner von uns hat die Sprache erfunden, denn keiner von uns kann sagen, er würde nicht zitieren. Wir zitieren alle, ohne es zu wissen und andere, die es besser können, sprechen zu lassen heisst sich selbst zurückzunehmen, anderen die bessere Wortwahl zuzugestehen, anderen zuzugestehen, dass sie die eigenen Gedanken noch tiefer gedacht haben als man selbst, anderen zuzugestehen uns selbst auszusprechen. Wir hängen uns ja auch Gemälde von Malern an die Wand, deren Bilder und vor allem, dass, was diese Bilder ausdrücken, was wir selbst empfinden, und selbst nie so malen könnten.
Ein Zitat ist nie aus dem Zusammenhang geriessen, denn wir stellen einen Zusammenhang her, indem wir das Zitat zitieren. Denn wir zitieren, weil wir das Zitat ausgewählt haben und darüberhinaus sind Zitate oftmals die Essenz eines langen Textes in Buchform. Wir, die wir in der Lage sind Zitate auszuwählen, wir die wir nicht ohne Grund auswählen, was andere besser sagen können als wir selbst, wir deuten unsere Welt durch die Zitate und durch die Auswahl der Zitate und durch die eigene in Sprache gegossene erlebte Wirklichkeit. Wir zitieren, wenn wir selbst die Worte auswählen, unsere Wirklichkeitswahrnehmung, nein, nicht die Wirklichkeit, diese existiert nicht, nur die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit, die durch die Worte, die wir wählen wirkt und so erst "Wirk"-.lichkeit wird.

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Kommentare


unbekannt
00:37 24.06.2006
Zitat: Wenn man das Dasein als Aufgabe betrachtet,
dann vermag man es immer zu ertragen L.G a.


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unbekannt
00:36 24.06.2006
interessante überlegung, zudem man alles was je geschrieben bzw. gesagt worden ist als einen einzigen text ansehen könnte, eine art über-text, womit es nichts neues unter der sonne gäbe und jegliche plagiatanschuldigungen unberechtigt werden würden. (was sie imho sind) aber nugut, zuspät grad um in philosophische tiefen hineinzufallen; wollte nur eben anmerken: interessante überlegung, danke dafür.

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23:57 23.06.2006
Ich könnte auch Zitate einfach nicht als Zitate ausweisen. Keiner würde es merken, wenn es gelingt es bruchlos in den eigenen Stil einzufügen.
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2006-06-23 23:35