Willkommen auf Tagtt!
Friday, 19. April 2024
Tagebücher » Tyche » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch Tyche
2006-06-21 23:39
Wie Sterben?
"Dann stand er auf und ging in eine Kammer, sich zu waschen. Kriton ging mit und hieß uns warten. Wir warteten und unterhielten uns.Das Thema waren die Gespräche, die wir noch einmal überdachten. Dann aber mußten wir auch wiederum des schweren Leids gedenken, daß uns getroffen hatte. Es war wirklich so, wie wenn der Vater uns genommen wäre und wir fortan als Waisen leben müßten. Als er gewaschen war, das brachte man die Kinder-er hatte zwei kleine Buben und einen großen. Es kamen auch die Frauen aus seinem Haus, ihr kennt sie ja. Im Beisein Kritons unterhielt er sich und teilte seine letzten Wünsche mit. Sodann hieß er die Frauen mit den Kindern gehen und kam zu uns. Es war schon kurz vor Sonnenuntergang, denn er war lange dringeblieben. Erfrischt vom Bad ließ er sich nieder und hatte noch nicht viel danach gesprochen, da kam der Diener der Elfmänner. Er trat vor ihn und sagte: Sokrates, bei dir wird mirs nicht so ergehn wie bei den anderen, die auf mich wütend werden und mir fluchen, sobald ich ihnen melden muß, daß sie das Gift zu trinken haben, weil die Behörde es so will. Ich weiß ja, wie du bist- die ganze Zeit her habe ichs gesehen- du bist der feinste, der freundlichste und beste Mensch, der je hierher gekommen ist. Drum weiß ich, daß du auch heute nicht "mir" böse bist, da dir die Schuldigen bekannt sind, sondern "jenen". Nun denn, dur weißt ja, was ich dir bringe, leb wohl und such das Unvermeidliche so leicht wie möglich zu ertragen. Es kamen ihm dabei die Tränen, er wendete sich ab und ging hinaus.
Sokrates aber sah ihm nach und sprach: Auch du leb wohl und wir, wir wollen es befolgen.Dann schaute er zu uns und sagte: Wie fein empfindet dieser Mensch! die ganze Zeit schon hat er mich besucht und manchesmal mit mir geplaudert. Ein braver Kerl! Und eben jetzt:wie echt sein Weinen! Wohlan denn, Kriton, laßt uns ihm gehorchen. Man bringe nun das Gift, wenn es gerieben ist, wenn nicht, soll es der Sklave reiben.
Krition erwiderte: Mein Sokrates, mir scheint, die Sonne liegt noch auf den Bergen, noch ist sie nicht ganz unten. Auch weiß ich, daß manche erst ganz spät getrunken haben, nachdem die Weisung schon ergangen war. Sie haben noch gegessen und gezecht, ja, manchmal sind sie auch mit den Geliebten noch vereint gewesen.
Kein Hasten also, noch ist Zeit.
Daß die, die du im Auge hast, so handeln, lieber Kriton, sagte Sokrates, ist ganz natürlich, sie halten es ja für Gewinn. "Ich" tu es nicht- und das ist "auch" natürlich. Wenn ich ein wenig später trinke, gewinne ich nach meiner Überzeugnung nichts, als daß ich vor mir selber lächerlich erscheine, weil ich so giergig nach dem Leben bin und, wenn die Neige schon geleert ist, sparen möchte. Nein, sprach er, hör auf mich und tu, wie ich dir sage.

Darauf gab Kriton seinem Diener, der in der Nähe stand, ein Zeichen. Der gjng hinaus und kam nach einer Weile wieder zusammen mit dem Sklaven, der den Gifttrunk reichen sollte- er hatte einen Becher in der Hand, der Trank war fertig. Sokrates fragte ihn: Nun Freund, was muß ich tun, du bist ja Fachmann?
Nichts weiter, sagte er, als trinken, dann gehst du auf und ab, bist du in deinen Beinen eine Schwere fühlst, dann legst du dich, die Wirkung kommt von selbst. Mit diesen Worten reichte er den Becher.
Sokrates nahm ihn- und dann, Echekrates, ganz heiter, ohne Zittern, ohne Blässe, ja ohne nur die Miene zu verziehen, sah er dem Sklaven mit seinem festen Blick ins Gesicht, wobei ein leichter Spott in seinen Augenwinkeln saß, und sagte: Wie stehts bei diesem Tranke mit dem Weiheguß? Sind ein paar Tropfen wohl gestattet oder nicht?
Wir rühren, sagte er, nur nur so viel an, als unserer Erfahrung noch vonnöten ist.
Verstehe, sagte Sokrates: Doch ein Gebet ist wohl erlaubt und auch vonnöten, auf daß die Wanderung von dieser in die andere Welt zu unserem Heil verlaufe. Um dieses also bete ich. Mag sichs erfüllen! Dann setzte er den Becher an und trank ihn ohne Ekel in edler Haltung bis zur Neige aus. Bis dahin hatten wir fast alle so leidlich das Weinen noch verhalten können, doch als wir sahen, wie er trank und wie er ausgetrunken hatte, da konnten wir nicht mehr. Auch ich war meiner nicht mehr mächtig, ein Strom von Tränen trat mir in die Augen, so daß ich mein Gesicht verhüllte und meine Tränen unaufhörlich rinnen ließ- nicht etwas um den Sokrates, vielmehr um mein Geschick, da ich ermaß, was für ein Freund von mir genommen war.Und Kriton hatte schon vor mir den Platz verlassen, nicht mehr imstande, den Tränen zu gebieten. Appollodoros, zuvor schon ganz in Tränen aufgelöst, brach nun in lautes Schluchzen aus und brachte durch sein bitteres Weinen den ganzen Kreis der Freunde aus der Fassung, nur nicht den Sokrates.
Im Gegenteil, er sagte: Was fällt euch ein, ihr Unbegreiflichen! Gerade deshalb habe ich die Frauen fortgeschickt, daß sie nicht jedes Maß vergäßen. Beim Sterben müsse Stille sein, hab ich gehört. So seid denn ruhig und gefaßt!
Wir fühlten uns durch ihn beschämt und unterdrückten unsere Tränen. Sokrates ging auf und ab, bis er die Schwere in den Beinen fühlte. Dann legte er sich nieder auf den Rücken, wie ihm der Sklave anempfohlen hatte. Und gleich begann der Sklave, der das Gift gegeben hatte, ihn zu befühlen und prüfte ihm von Zeit zu Zeit die Füße und Schenkel. Dann drückte er den Fuß ganz kräftig und fragte, ob ers spüre. Er sagte nein. Dann fing er wieder mit den Schenkeln an und ließ uns aufwärts tastend fühlen, daß sich die Kälte und Starre höher zog. Er fühlte dann auch selber nach und sagte, wenn es zum Herzen vorgedrungen wäre, so sei das Ende da.
Als nun die Kälte schon fast den ganzen Unterleib ergriffen hatte, schlug Sokrates den Mantes-er hatte sich verhüll- zurück und sagte- es war sein letzetes Wort-: O Kriton, wir schulden dem Asklepios noch einen Hahn. Bring das in Ordnung bitte und vergeßt es nicht!
Es wird geschehen, sagte Kriton, -hast du noch einen Wunsch?Auf diese Frage folgte keine Antwort mehr. Ein kurzer Augenblick, dann ging ein Zucken durch den Körper, der Sklave zog den Mantel weg, da waren ihm die Augen starr geworden. Und Krition schloß ihm Mund und Lieder.

Das war das Ende unseres Freundes, mein Echekrates, wie wirs erlebten. Und wir bekennen: er war ein Mann, an dessen Adel kein Zeitgenosse, den wir kannten, reichte. Sein Wesen war lautere Weisheit und Gerechtikgeit."

Tags

leben 

Kommentare

Noch keine Kommentare!
Kommentieren


Nur für registrierte User.

Tyche Offline

Mitglied seit: 14.04.2006
DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2006-06-21 23:39