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Tagebuch Tyche
2006-08-22 10:05
Sprachwahrheit
Mein Treffen mit K. gestern war gut. Wir hatten uns zwar fast zwei Jahre nicht gesehen, da er in Hamburg wohnt und ich mich allzusehr von meinem Provinzleben habe fesseln lassen, doch wir sprachen, ohne das Gefühl die Zeit hätte uns entfremdet.
Wie ich schon erwähnte, hatte unsere Freundschaft ihren Ursprung in der gemeinsamen Suche nach Wahrheit. Damals, wir hatten gerade das Gymnasium begonnen, traf sich der neu gebildete Reifeprüfungsjahrgang in einer Lokalität und ich kam mit K. ins Gespräch. Ich erzählte ihm frei heraus-ich spürte, dass ich ihm ein Tei meiner seltsamen Gedankenwelt anvertrauen könnte- dass ich auf der Suche nach der Wahrheit sei und dass ich deshalb meinen Lehrberuf nicht weiter ausüben wollte, sondern mich dazu entschlossen hätte die Welt zu verstehen. Nun werden wieder alle Einwändler einwänden, dass das die institutionalisierte Reifeprüfung nicht geeignet sei, die Welt zu verstehen. Ich stellte ja schon fest, dass es nicht auf ein Verstehensziel ankommt. Es kommt darauf an, Verstehenswege zu beschreiten, mehr Verstehensblüten, Verstehenssorten kennenzulernen, die überall wuchern wie Unkraut und die drohen das eignene Leben zu überwachsen. Und die Schule gab mir die Möglichkeit meine Verstehensbotanikkenntnisse anzuhäufen, etwas zu lernen in der Reifeprüfungsstelle und, wenn ich nicht dort war, lernte ich noch viel mehr außerhalb der Institution. Ich entschied mich für eine neue Sprache, die spanische. Ein sprachlicher Zugang zur Welt, der bis dahin völlig verdunkelt war. Mit jedem neuen Wort, das ich lernte, öffnete sich ein neuer Spalt und langsam legte sich frei eine neue Perspektive auf die nie vertraute Welt. Ich versank in der Sprache, wollte ihre Grammatik bis in letzte Detail verstehen, sog die Wörter auf, schrieb sie auf, hielt sie solange fest, bis sie freiwillig bei mir blieben und ich sie mitnehmen konnte auf meine Reisen nach Spanien. Dort wollte ich nicht nur Tapas bestellen und eine Fanta am Strand kaufen, ich wollte Iberodenken, Iberomenschenalltagsweltverstehen verstehen, wollte nicht durch die Sonnenbrille gucken, wollte durch die spanischen Augen auf die Welt blicken. Ich lies mich von einem Bus durch das Stierkämpferland rollen, fühlte mich ein bißchen vereinsamt an den Bushaltestellen, auf den Anschluss wartend. Ich freute mich in billigen Absteigen billige Preise verhandeln zu können, schwitze dort oben in meinem kargen Zimmer, versuchend die südländischen Geräusche und Stimmfetzen einzuordnen, bevor die Sommerhitze mich möglicherweise wegnächteln lassen würde. Ich ging noch einmal über den Fischmarkt.
Ich verliess die Hafenstadt, wurde auf meiner ungeplanten Welterkundung ins Binnenland bugsiert, blickte auf die Karte und konnte die Sehnsucht nach dem Atlantik nicht mehr stillen.
Zwischengestoppt in Granada ging ich ein alte Gasse hoch, wurde von einer alten Dame empfangen, die sanft meine Hand nahm, um mein Leben zu lesen. Ich glaube, sie hatte Rosen dabei. Wir gaben uns die Hand, ihr Leben, mein Leben. Ich ging in das Haus und der alte, lebensweise Mann saß dort, als wenn er das Leben, als wenn er mich schon längst erwartet hätte. Er bot mir ein schönes doppelbettriges Zimmer an und am Abend spielt er auf der Guitarre, in seinem alten Sessel sitzend, deren sehnsüchtige Klänge meine Sehnsucht nach Cadiz nicht stillen konnten. Wieder eine Hitzefahrt an Weiden vorüber auf denen schwarze Stiere stolzierten und dann endlich das Meer, der Atlantik. Meeresluft, Schiffe, Möwengeschrei. Dort blieb ich mehr als als zwangig Erdumdrehungen, schrieb mich ein, lernte noch mehr Wörter der Einheimischen. Eine alte Stadt, eine schöne Stadt. Einmal sagte ich zu dem Servierer als er mir den lebenrettenden Kaffee serviert hatte, er sei mein Salvador, mein Retter, wir amüsierten uns.
Später fragte mich ein Lehrer, warum ich denn immer noch mehr lernen wollte, ich würde die Sprache doch beherrschen. Unwissenheit und Verlegenheit mischten meine Antwort, die nicht seine Frage beantwortete.

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