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Tagebuch Tyche
2006-09-25 12:35
Jedermann
Philip Roth hat ein grandioses Buch geschrieben über das Leben. Das Leben von Jedermann. Und dieses Leben leuchtet wie ein Stern am dunklen Firmament, leuchtet erst angesichts des Nichts, leuchtet erst angesichts des Todes und der unhintergehbaren Vergänglichkeit .
Jedermanns Leben endet am Anfang des Buches aus der Sicht der ums Grab versammelten Verwandten, Freunde und ehemaligen Arbeitskollegen und es endet am Ende des Buches aus der Sicht Jedermanns, der die Welt verlässt ohne es zu wissen, denn er erleidet einen Herzstillstand während der Operation, die ihn noch einmal ein Stück Leben schenken soll, dem durch Krankheit und Verlust all seiner Kraft und Zuversicht beraubten immer noch am Leben hängenden alten Jedermann.
Alle anderen haben Namen, selbst die Krankenschwester, selbst die Geliebten. Die drei Ehefrauen aus dem Leben des Jedermanns, sein Bruder, seine Tochter, seine beiden Söhne, sein Arbeitskollegen aus der Werbebranche. Sie haben Namen, ihr Leben hat einen Namen, bedeutet etwas, aber Jedermann hat Jedermanns Leben und sein Leben leuchtet nicht durch seine Namen, sondern durch die Bedeutung, die sein Leben anfangs durch die fürsorglichen Eltern, später durch die Ehefrauen, durch seinen vor Zuversicht strahlenden Bruder, durch seine ihn liebende Tochter Nancy erhält. Und da ist seine zweite Frau, die Mutter Nancys, von der sein Bruder Howie sagt: "Das ist eine gute Frau für dich. Laß sie nie wieder gehen!"
Aber Jedermmann ist ein Körper, eine fleisschlihce Existenz, die durch den Atlantik stößt ausgetattet mit unangreifbarer jugendlicher Vitalität. Er betrügt Phoebe mit jungen Körpern und er verliert Phoebe, die neben seinem Bruder immer für ihn da war, immer für ihn da gewesen sein würde, auch als er krank war, als sein Körperlicht sich verdunkelt, als seine Körperbedeutung schwach wurde, hätte er sie nicht belogen. Sie konnte nicht mehr an ihn glauben.
Jedermann lebt eine Fleischexistenz, er hängt an seiner Fleischexistenz:

" Das ekstatische Gefühl, einen ganzen Tag lang bis zur Betäubung von der See umhergschleudert worden zu sein, der Geschmack und der Geruch, das alles berauschte ihn so sehr, daß nicht viel gefehlt hätte,und er hätte zugebissen, um ein Stück aus sich herauszureißen und seine fleischliche Existenz ganz und gar auszukosten"

Jedermanns Leben stahlt durch sich selbst, strahlt durch seine egoistische Körperlichkeit und für dieses Strahlen, dieses verführerische Licht seines Körpers, dass seine größte Leuchtkraft durch den fleischlichen Akt erreicht, für dieses unglaubliche Strahlen verrät Jedermann alle anderen, die ihn irgenwann einmal retten könnten, sollte er sein Körperstrahlen verloren haben.
Jedermann wird einsam, er lebt durch Krankheiten seine Körperkraft beraubt in einem Seniorendorf. Er hängt immer noch am Fleisch, er beobachtet eine blutjunge Joggerin an der Promenade und er macht sich lächerlich nur um vielleicht noch einmal die Erfüllung, das Leuchten zu spüren. Er, der 73 jährige spricht die Joggerin an, gibt ihr seine Telefonnummer und hofft auf das Leuchtes des jungen Fleisches, das sein Leben, das schon fast verglimmt ist, wieder zum Leuchten bringt. Die Joggerin meldet sich nie. Jedermann verlässt das Seniorendorf und stirbt wenig später, denn die anderen, seine Tochter, seine Exfrau, sein ihn liebende Bruder sind schon zu weit weg, sind für sein Leben nicht mehr erreichbar, sind auf Distanz gegangen, weil Jedermann sein leben lang nur Körper war und nur durch die Körperlichkeit der anderen existierte. Jedermann ist ein Fleischmann und er ahnt zum Schluß, dass er sein Leben falsch gelebt hat. Er besucht seine Eltern auf dem Friedhof und er spürt ihre Nähe, er stelt sich ihre Knochen vor und es gibt ihm Trost, dass diese Knochen da unten liegen, dass er in der Nähe der entfleischten Körper sein kann. Er ahnt, dass er sein Leben lang nur Fleisch war und dass er die Möglichkeit sein Leben durch die Liebe der anderen leuchten zu lassen verpasst hat und der nicht an Gott glauben kann:

"Die Knochen waren der einzige Trost für einen, der nicht an ein Leben nach dem Tode glaubte und ohne jeden Zweifel wußte, dass Gott eine Erfindung war und dieses eine Leben das einzige, das er haben würde."

Die Knochen der Eltern Jedermanns liegen auf einem heruntergekommenen, verwahrlosten Friedhof, den er kurz vor seiner letzten Operation noch einmal besucht.
Er wacht aus der Narkose nicht mehr auf. Sein Tochter Nancy sucht den Friedhof aus. Sie organisiert die Beerdigung, sie lädt die Trauergäste. Hätte sie es nicht getan, wären nur die gekommen, die an Jedermann geglaubt haben, die ihn mal geliebt haben: Sein Bruder, seine Exfrau Phoebe, seine Tochter.
Nancy wählte den Ort aus, wo auch die Knochen seiner Eltern liegen. Sie sagt auf der Beerdigung, sie hätten ihn auch an schöneren Orte beerdigen können, dort, wo er gelebt hat, dort an der Bucht, wo sein Körper durch den Atantik schoß in den vor Licht gleißenden Sommern seines Lebens.
Nancy wußte, dass er in der Nähe der Knochen liegen wollen würde. Dort, wo das Leben und der Tod eine fleischlose Bedeutung haben. Nancy weiss, wo Jedermann hingehört, denn sie liebt ihren Vater und sie wird in der Nähe seiner Knochen begraben werden wollen.

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leben 

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